Herheims Walküre in Berlin

© Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin

 

Menschen im Transit
oder Die überstrapazierte Metapher des Reisekoffers


Stefan Herheims und Donald Runnicles´ enttäuschende „Walküre“


Premiere 27.09.2020


Die Premiere des „Rheingolds“ wurde dem Corona-Chaos geopfert und es war lange unsicher, ob „Die Walküre“ zum geplanten Premierentermin überhaupt stattfinden würde. Nun fand sie also statt, wenn auch mit Mundschutz und unter Corona bedingten Abstandsregeln (die freilich inkonsequent eingehalten wurden, mein Vordermann saß mal gerade 50 cm von mir entfernt, dafür waren meine Nachbarsitze unbesetzt…). Alle Mitwirkenden, Sänger, Musiker und Statisten hatten sich täglichen Corona-Tests zu unterziehen. Immerhin etwa 800 Zuschauer durften in die Deutsche Oper Berlin. Was hatte man sich gefreut, wie war man gespannt. Doch welche Enttäuschung!


Stefan Herheim, dem ich jahrelang nachgereist bin wegen seines subtilen, phantasievollen, anspielungsreichen und doppelbödigen Zauber- und perfekten Maschinentheaters, ihm scheint endgültig die Luft ausgegangen zu sein, er scheint sein Pulver verschossen zu haben. Das zeichnete sich ja schon seit einiger Zeit ab. Traurig. Aber alles hat eben seine Zeit, auch regieliche Genialität. Was er in dieser „Walküre“ bot, war langweiliges, arg kopfertes Theorie- und Bekenntnistheater ohne Schmiss und Überzeugungskraft. Da kann Dramaturg Alexander Meier-Dörzenbach im Programmheft – das freilich nur als PdF-Datei oder im Internet zu haben ist - den gedanklich verschwurbelten Überbau noch so elaboriert nachliefern. Was man auf der Bühne sah, hatte streckenweise mit dem Stück wenig zu tun. Herheims Grundidee (die nach wenigen Minuten erschöpft war) bezieht sich darauf, dass Richard Wagner zeitlebens unterwegs war- meist auf der Flucht vor Polizei und Gläubigern. Er war eine Reiseexistenz, ein Nomade, ein Europäer auf der Flucht auch vor dem konkreten Deutschland. Herheim zeigt daher in seiner „Walküre“ Menschen im Transit, den heimatlosen Göttervater Wotan (der bekanntlich zum Wanderer wird, aber erst im nächsten Teil der Tetralogie) inbegriffen, in einer Landschaft aus Reisekoffern. Koffer über Koffer, Kofferwände hinter einer Halbrundarchitektur aus gestapelten Koffern, Zu guter Letzt schweben sogar noch Koffer vom Himmel herab. Nie hat man so viele Koffer auf der Bühne gesehen. Die heutige Flüchtlingstragödie hat Herheim offenbar gar nicht im Blick gehabt. Die reisen ohnehin nicht mit Koffer!


Herheim überfrachtet seine Inszenierungsidee, um nicht zu sagen sein „Konzept“, mit verbrauchten, teilweise unfreiwillig komischen Bildeinfällen, und erotischen Zoten, Klischees, allerlei theatralischem Hokuspokus und szenischen Geschmacklosigkeiten.

Die verbrauchteste Idee war der zentrale schwarze Flügel im Mittelpunkt der Bühne, aus dem kommt und geht man, er ist illuminierte Versenkung und Fahrstuhl. Wir verstehen: „Die Geburt des Dramas aus dem Geist der Musik“. Dabei sah man diese szenische Metapher schon im Leipziger „Ring“ und schon – lang ist es her – in Béjarts „Ring um den Ring“ an der Deutschen Oper.


Ein Riesenlaken, das mal Wasser, mal Feuer sein soll, auch eine Art umgedrehter Lampenschirm spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Darauf wird projiziert: pflanzliches Lenzesgrün, Mond und Augen, die zum Kopf eines Wolfs mutieren. Schon zu Anfang schleicht ein dressierter Wolfshund seine Runden über die Bühne. Wälse lässt grüßen. Am überflüssigsten ist die Erfindung einer zusätzlichen, stummen, gnomartigen Figur „Hundingling“, er ist der Sohn Hundings und Sieglindes.  Sieglinde und Siegmund kopulieren in weißer Unterwäsche auf dem Flügel. Zuvor schneidet die Mutter ihrem Sohn die Kehle durch. Welche Geschmacklosigkeit am Ende eines ernüchternden ersten Akts.


Ich muss gestehen, den zweiten Akt pausierte ich, nicht nur aus Entsetzen über das bereits gebotene Künstlerische, auch wegen körperlicher Schwäche. Ich habe gerade eine schwerwiegende Erkrankung überstanden…


Der dritte Akt wurde nicht besser. Die Walküren mit Brünnen und Flügelhelmen tänzeln wie in Opas Oper um den Flügel herum, malträtieren ihn scheinbar klavierspielend, studieren Partituren (als wär' s eine Klavierprobe) und schreien ihre Hojotohos um die Wette, bevor sie von den gefallenen, martialisch bemalten Helden (die wunderbarerweise wieder auferstehen) vergewaltigt werden.


Der Dialog zwischen Brünnhilde (eine unvorteilhaft in Brünne, kurzem weißem Röckchen und mit Federhelm gewandete Mollige) und Wotan im weißen Anzug lässt einen kalt, da können noch so viele Statisten im Reiseaufbruch betroffene Gesichter machen. Auch Wotans Abschied und Feuerzauber (mit allerhand technischem Gedöns und Feuerprojektion auf neckisch gezupftem Rundvorhang, der die Bühne einkreist, ist verschenkt. Beim Feuerzauber sieht man übrigens, wie Mime alias Richard Wagner mit unverkennbarem Barett als Hebamme Sieglindes funktioniert und zum Geburtshelfer Siegfrieds wird. Die Vorgeschichte vom nächsten Teil der Nibelungentetralogie. Na ja… Selten hat mich diese Szene so wenig fasziniert, so wenig berührt. Was natürlich auch am Musikalischen und Sängerischen lag.


Für seine harmlos geschmäcklerische, ja kunstgewerblich „verkofferte“  Inszenierung, die keinerlei  politischen  Biss hat, das revolutionäre Potential des Stücks nicht im Geringsten wahrnimmt und nichts als effekthascherisches  Lippenbekenntnis ist, bekam Stefan Herheim denn auch kräftige Buhs!


Erstaunlicherweise gabs keine Buhs, sondern nur Bravi für Sänger und Dirigenten, dabei war diese Produktion auch musikalisch eine herbe Enttäuschung. Generalmusikdirektor Donald Runnicles hat das Werk ohne jede Spannung, ohne Dramatik, ohne Nervenkitzel, ohne Esprit extrem langsam, um nicht zu sagen langweilig herunter dirigiert, routinemäßig, ohne jede Inspiration. Man ist fassungslos, wie man an so einem Haus, mit einem so guten Orchester dieses Werk, das Nietzsche nicht ohne Grund ein Zirkusstück nannte, so verharmlosen kann. Ich habe manchen „Ring“ Götz Friedrichs (den Vorgänger-Ring am Haus) wesentlich hochkarätiger gehört!

John Lundgren war keineswegs jene heldenbaritonale Sängerautorität von göttlicher Ausstrahlung, die die Rolle erfordert. Brandon Jovanovich ist auch nicht gerade ein Ausbund an schöner Stimme, immerhin hatte er die Kraft für die Partie. Andrew Harris singt einen anständigen Hunding, mit schwarzem Bass, aber brav und ohne diabolische, fiese Virilität. Nina Stemme, ist (mal von ihrer kostümlich lächerlichen Erscheinung im dritten Akt abgesehen) eine souveräne Brünnhilde. Aber nicht mehr. Was für Brünnhilden hat man in Berlin schon gehört, im letzten Ring! Lise Davidsen als Sieglinde bekam den meisten Applaus bei der Premiere, sie war halt die Lauteste! Dass das aber kein sängerisches Qualitätsurteil ist, wurde schon Wagner nicht müde, zu betonen. Aber das weiß ja heute kaum noch jemand auf, unter oder vor der Bühne…. 


Fazit: Eine der unerfreulichsten, uninteressantesten „Walküre“-Aufführungen seit Langem. Selbst in der sogenannten“ Provinz“ sah man bessere.