Schlingensief Parsifal

Fotos: © Bayreuther Festspiele GmbH


„Hasifal“ oder Das Bayreuther Scheitern des

Christoph Schlingensief


Selten war schon im Vorfeld der Premiere die Spannung höher, die Erwartung größer als beim diesjährigen Bayreuther „Parsifal“ von Christoph Schlingensief. Das Medieninteresse ist schon Wochen vor der Premiere gigantisch gewesen. Die Gerüchteküche nicht weniger. Alle redeten vom Skandal in Bayreuth.

Aber der Skandal fand nicht statt. Dazu hatte die Aufführung viel zu wenig provozierendes Potential. Dazu war sie zu brav und zu langatmig. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Wagnerschen Weltabschiedsdrama gab es eigentlich nicht. Die wollte Schlingensief ja auch gar nicht, wie er von seinem Dramaturgen Carl Hegemann in Pressetexten vor der Premiere erklären ließ. Er hat im Grunde das Stück, seine Handlung mitsamt der Personenpsychologie ignoriert. Wagners dramatischer Versuch über Sexualität und Triebverzicht, gesellschaftliche Erstarrung und pseudoreligiöse Erlösung findet bei Schlingensief nicht statt. Schlingensief hat stattdessen seinen persönlichen, ganz subjektiven Bild-Kommentar zu Wagners „Parsifal“ gezeigt, eine rein assoziative Bilderfolge zum Thema Tod und Schmerz. Von gedanklicher Durchdringung des Stücks und Personenregie kann keine Rede sein. Er wolle, so hat Schlingensief wortreich erklärt, eine Art Sterberitual zeigen, eine theatralische Nahtod-Erfahrung von heute, mit mythischen Erfahrungen, die er in Afrika gemacht habe. Das sind interessante Lippenbekenntnisse, die sich auf der Bühne aber nur in Ansätzen zu erkennen geben. Auf einer mit Kulissengerümpel, Stacheldraht, Campingzelt, Wachturm und Papp-Häuserfassaden vollgemüllten Drehbühne, die unentwegt im Einsatz ist, sieht man hilflos agierende Gestalten unterm Sternenhimmel herum-staksen. Sie gestikulieren pathetisch wie in Opas Oper. Ein konventionelles Todesritual von multireligiöser, multi-ethnischer Besetzung. Es sind vor allem afrikanische, aber auch asiatische Bildmotive, die Kostüme und Requisiten, Kultgegenstände und Filme dominieren. Anstatt psychische Zusam-menhänge als dramatische Vorgänge zu inszenieren, kapriziert sich Schling-ensief gemäß seines erweiterten Theaterbegriffs umso mehr auf Video- und Filmprojektionen. Auf den sich drehenden Zivilisationsmüll samt „Friedhof der Kunst“ projiziert er Naturfilme: mikroskopische Amöben-Aufnahmen, Beobachtungen freilebender Robben, aber auch afrikanische Voodoo-Rituale, immer wieder Voodoo-Symbole und allerlei kultische Vorgänge anderer Couleur. Nichts gegen Film- und Video-Projektionen. Wie gewinnbringend das auf der Opernbühne sein kann, hat uns Peter Greenaway gelehrt. Aber Schlingensief ist nicht Peter Greenaway. Seine Projektionen auf die sich drehende Bühne wirken amateurhaft, unpräzise und verlegen, sie bringen permanente Unruhe und störendes Dauer-Geflimmere ins ohnehin schlecht ausgeleuchtete Bildgeschehen. Bildbeherrschend ist übrigens das Symbol des Hasen, das Schlingensief von seinem Idol Joseph Beuys entlehnt. Als Stallhase, als Stofftier, als gefilmter Hase, lebend, tot, sogar verwesend im Zeitraffer gefilmt, ist der Hase Zentrum der ganzen Aufführung. Aus Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ wird so Schlingensiefs Bilder-Orato-rium „Hasifal“. Ein statuarisch spannungsloses, handwerklich dilettantisches, ein langatmiges und für die meisten Besucher wohl auch rätselhaft und unverständliches Oratorium.



Musikalisch hat man das Stück Pierre Boulez anvertraut, der nach fast 40 Jahren ans Pult der Bayreuther Festspiele zurückkehrte. Er hat den „Parsifal“ zuletzt mit Wieland Wagner erarbeitet. Und hat sich nun gewissermaßen selbst Konkurrenz gemacht, denn er hat den „Parsifal“ völlig unbeirrt von dem, was da auf der Bühne vor sich ging, ja im Grunde gegen die oberlehrerhafte und erstickend symbolüberfrachtete "Inszenierung" dirigiert, einen sehr unpathetischen, schlan-ken, im Affekt sehr zurückhaltenden, auch sehr schnellen „Parsifal“. An Struktur, an Klang, an Sinnlichkeit der Musik vermisste man viel. Es war gewissermaßen eine esoterische, eine vege-tarische, eine blutleere Lesart des „Parsifal“, die - ob bewußt oder unbewußt sei dahingestellt - über den großen Reichtum der Partitur souverän hinwegsah, eher sinfonisch als szenisch gedacht. Das war so wenig Theatermusik wie das, was auf der Bühne zu sehen war, wirkliches Theater war.


Was die sängerische Besetzung angeht: Man hat das Stück schon sehr viel besser gesungen ge-hört in Bayreuth, aber auch anderswo! Robert Holl, der als Kreuzung aus Johannes dem Täufer und Rübezahl mit langem Bart und in zotteliges Fell gewandet auftrat, sang einen Gurnemanz im Finalstadium eines Bassisten. Endrik Wottrich als Jesusdarsteller im Heiligen-bildchen-Format mit langen blonden Haaren und im Nachthemd war stimmlich alles andere als die Verkörperung von Unschuld und Reinheit. Michelle de Young ließ als Kundry alle erotischen und stimmlichen Verführungskünste vermissen, die die Rolle eigentlich erfordert. Dafür durfte sie im zweiten Aufzug als Holly­wood-Diven-Parodie auftreten und im dritten, wo Schlingensief sie nach ihrer Taufe tot zusammenbrechen lässt, wiederauferstehen als Negerinnen-Karikatur, die dem Publi-kum Anlass zu heftigem Gelächter gibt. Eine Über-raschung ist auch John Wegener, der mit muskelbepacktem Bodybuilderkörper und großem Baritonorgan einen schwarz angemalten Bühnen-Tarzan von Klingsor zu spielen hat. Nicht wie bei Wagner vorgesehen, ein Möchtegern-Gralsritter, der sich selbst wegen seiner unbe-herrschten Triebhaftigkeit kastriert hat, sondern eher das Gegenteil, ein Sexprotz, der sich gern öffentlich ans Gemächt greift. Auch das ein grobes Missverständnis Wagners und ein Einfall Schlingensiefs, der einen leider nicht erlöst von der gähnenden Langeweile der Aufführung. Man hatte nach all den Vorschuss-Lorbeeren und Voraberklärungen Christoph Schlingensiefs mehr erwartet. Die Enttäuschung war groß. Das Publikum hielt ich mit Buhs und Pfiffen denn auch nicht zurück.    


Frühkritik in MDR-Info & in MDR Figaro am Morgen, 26.7.2004