Salome Dresden Schulz

Photo: Monika Forster

Kabarettbühne, Brettl und Revue im Kinderzimmer:

Salome als quasi-psychologische Groteske in Dresden

Premiere 24. 09. 2016


Es ist einhundertelf Jahre her, dass in Dresden einer der skandalösesten wie nachhaltigsten Erfolge des Musiktheaters über die Bühne ging: Die "Salome" von Richard Strauss. Das sinnliche, "amoralische", blutrünstige Stück gehört längst zum Kernrepertoire der Spielpläne landauf, landab. Zumal in Dresden. Die letzte "Salome"-Produktion stammte von Peter Mussbach. Sie kam vor 11 Jahren heraus.


Peter Mussbach hat diese Orientoper zum hundertsten Jahrestag ihrer Dresdner Uraufführung an einem Swimmingpool irgendwo spielen lassen. Nur nicht im Orient! Es war eine sterile und befremdliche  Veranstaltung, in der man das eigentliche Stück kaum mehr erkannte. Steril ist die Inszenierung von Michael Schulz nicht, befremdlich schon, und  mit dem Stück hat sie auch nur im psychologischen Sinne zu tun. Schulz zeigt nämlich auch nicht das Orientstück von Wilde und Strauss, sondern eine bürgerliche Kinderzimmergeschichte von heute. Er will quasi psychoanalytisch die seelische Disposition um nicht zu sagen Deformiertheit Salomes veranschaulichen, um diese monströse Kindfrau zu verstehen, die so mir nichts, Dir nichts dem Objekt ihrer Begierde, dem Propheten Jochanaan, den Kopf abschlagen lässt, um ihn wenigstens einmal zu küssen. Der wird ihr in der Inszenierung von Michael Schulz in einem Geschenkkarton überreicht, nicht in  einer Silberschüssel, wie es im gesungenen Text heißt.


Das Regiekonzept ist durchaus nachvollziehbar, aber die Realisierung ist doch derart holzh-ammerhaft, dass es schwer verdaulich ist, was Einem da an Schauvergnügen geboten wird - gar nicht davon zu reden, wie der gesungene Text, soweit man ihn versteht - immer wieder Lügen gestraft wird. Narraboth als singender Teddybär, der Page als singende Porzellanpuppe, erster Soldat als Cowboy, zweiter Soldat als erzgebirgischer Nussknacker .... alle kindlich herum hampelnd, das nimmt den Figuren jede Glaubwürdigkeit auf der  Bühne. Das Stück wird zur Groteske.


Schulz will überzeichnen, will  übertreiben, um Seelisches zu verdeutlichen.  Er will nach eige-nem Bekunden im Programmheft Kabarettbühne, Brettl und Revue zusammenbringen. Es wird tatsächlich  allerhand an bühnentechnischem Aufwand getrieben, um das Kinder-zimmer der Salome in immer neue Seelenräume zu verwandeln. Aber die Personenführung lässt doch sehr zu wünschen übrig.  Und die Kernszene, der Tanz der sieben Schleier, der gar nicht von Salome getanzt wird, sondern von gleich sechs sich entblößenden, busen- und hinternwackelnden Sexshowdarstellerinnen – Schulz spricht von Grotesktänzerinnen -  veran-staltet wird, hat etwas von Moulin Rouge „in billig“, von Vorstadt-Glitzer-Tingeltangel und grenzt ans Peinliche.


Um es auf den Punkt zu bringen. Diese Inszenierung ist ein quasi psychologischer Kommentar zur „Salome“. Aber das eigentliche Salomestück wird nicht erzählt. Und was Michael Schulz und sein Ausstattungsteam (Bühne Dirk Becker/Kostüme Renée Listerdal) dem Publikum geschmacklich zumuten, finde ich grenzwertig.


Am Pult dieser neuen "Salome" steht der junge israelische Dirigent Omer Meir Wellber, ehe-maliger Assistent Daniel Barenboims und seit 5 Jahren gern gesehener Gast am Pult der Sächsi-schen Staatskapelle Dresden. Mich hat seine Lesart des Stücks nicht überzeugt. Man hat die  „Salome“-Musik gerade auch in Dresden schon weit besser gehört. Natürlich spielt und klingt die Sächsische Staatskapelle prachtvoll, aber Wellber geht das Stück viel zu harm-los, zu weich, zu vorsichtig an, auch wenn er immer wieder sehr laut aufspielen und ordentlich Krach machen lässt. Aber das ungemein Moderne,  das ausgeklügelt Spannende, das klang-sinnlich Raffinierte, der geradezu drogenhafte Sog dieser Musik, all das hat sich mir am Premierenabend  nicht wirklich vermittelt. Dazu war das Dirigat zu unausgegoren und die Struktur dieser Partitur zu wenig klar und schlüssig herausgearbeitet. Auch das Zusammenspiel von Graben und Bühne war problematisch.


Die Oper „Salome“ steht und fällt mit der Sängerin der Titelpartie. In Dresden kann man das Rollendebüt der amerikanischen Sopranistin Jennifer Holloway erleben.  Sie ist eine sehr mäd-chenhafte Salome. Sie tritt übrigens auch wie ein kleines Mädchen im Tütü auf. Eine Sensation ist ihre Salome nicht.  Denkt man an andere Stimmen, die man in dieser Partie gehört hat. Jennifer Holloway  fehlt das stimmlich Erotische, das Sinnlich-Berauschende, das Ekstatische. Sie singt eher schlicht, immer wieder auch schöne Töne, gewiß. Aber die Stimme ist nicht sehr groß, nicht sehr charakteristisch, und schon gar nicht hochdramatisch. Und wenn man sich das Repertoire der Sängerin anschaut, sie sang ja bisher vor allem Händel, Mozart und Italienisches, und kommt aus dem Mezzofach,  dann muss man sich doch fragen, ob sie gut beraten ist, diese Partie zu singen. Verstehen kann man die amerikanische Sopranistin übrigens nur in ihren fast gesprochenen Passagen.

 

Auch das übrige Ensemble finde ich nicht wirklich beglückend. Christa Mayer orgelt eine ständig besoffene, ordinäre Alte (sehr unvorteilhaft gekleidet!), die sich nur für ihren Lustsklaven zu interessieren scheint. Der schon als Wagnertenor schwer erträgliche  Lance Ryan singt einen singschauspielerisch hoffnungslos überforderten Herodes. Und der ehren-werte Bariton von Markus Marquardt, der übrigens wie ein alternativer Philosophieprofessor und nicht wie ein starker Mann aus der Wüste auftritt, ist ein Jochanaan fern aller sinnlich erotischen Verführungskraft. Dazu ist diese Stimme, mit Verlaub gesagt,  zu oratorienhaft, zu intellektuell, zu wenig animalisch, wohlgemerkt für diese Partie! In anderen Partien überzeugt  Markus Marquardt durchaus. 


Unterm Strich finde ich diese Neuproduktion der Salome für ein Haus wie die Semperoper ziemlich enttäuschend. 


Beitrag auch in MDR Kultur 25.09.2016