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Fotografische Korrektur gängiger Vorurteile und Klischees
Männer, die sich lieben. Fotografien aus den Jahren 1850-1950.Elisabeth Sandmann Verlag.334 Seiten
Ein Blick kann mehr sagen als tausend Worte. Augen gestatten einen „Blick ins Innere“ (Nietzsche). Blicke haben Folgen und sie täuschen nicht. Sie können Balsam oder Gift sein, Hass oder Liebe ausdrücken. Die Augen sind der Spiegel der Seele. Vor allem der Blick der Liebe ist eindeutig, er lässt sich nicht verbergen. Egal welchen Geschlechts die Liebenden sind. Wie ein Mann einen anderen Mann ansieht, das sagt alles.
Das sagten sich auch Hugh Nini und Neal Treadwell, ein homosexuelles Paar seit 30 Jahren, es war das entscheidende Kriterium für sie, Fotographien sich liebender Männer zu sammeln. Über 2800 Originalfotos umfasst ihre“ Zufallssammlung“ von Männerpaaren. Es sind 350 (keusche) Porträts männlicher Freund- und Liebschaften aus der Zeit zwischen 1850 und 1950, die sie jetzt veröffentlicht haben. Jenseits von Pornographie. Alle auch nur harmlose voyeuristische Frivolität ist außen vor. Es geht um Gefühle. Es geht um Liebe, Freundschaft, Zuneigung.
Wie der Sexualwissenschaftler Régis Schlagdenhaufen, Dozent an er École des Hautes Études Sciences Sociales, in seinem Einführungstext zu dem 336 Seiten starken Bildband schreibt „Die Fotografen sind aber auch Zeugnisse von Mut, denn die Mehrheit der Männer, die sich ablichten ließen, war sich bewusst, dass ihre Homosexualität gesellschaftlich geächtet oder strafrechtlich verfolgt werden würde, hätte man sie entdeckt.“ Die Fotografien des Bandes „sind Bilder sich liebender Männer, die bislang fast alle vor den Familien, Freunden und den Rest der Weltverborgen geblieben sind.“ Es sind Zeugnisse aus Zeiten der Diskriminierung, wie die wohl bestentwickelte Schwulenszene verrät, die „im 19. Jahrhundert in New York City ein ausgeklügeltes System aus Codes, Verhaltensmustern, Kleidungsstilen und Musikrichtungen entwickelte, die es Homosexuellen ermöglichte, in einer ihnen feindlich gesinnten Umgebung zu kommunizieren und sich zu erkennen, wie der Historiker George Chauncey in seinem Buch „Gay New York“ schreibt. Ein öffentliches Coming Out war damals unmöglich. Doppelleben im Geheimen, in Subkulturen (Treffen in Parks, Dampfbädern, Tanzsälen, Bars und öffentlichen Toiletten, sogenannten „Klappen“) war „Normalität“ für Homosexuelle, war oberstes Gebot, Promiskuität weithin gesellschaftlich erzwungen.
Und doch gab es, die Fotografien des konkurrenzlosen Bandes dokumentieren es, feste monogame Beziehungen, eheähnliche „longtime relationships“ und es gab das Verlangen nach Fotographischen Dokumentationen dieser Herzensangelegenheiten. So sieht man beispielsweise Paare, mit den Unterschriften „Honeymoon-Special“ und „Nicht verheiratet, aber dazu bereit. Neben Theatralik und Extravaganzen gibt es zahllose diskrete Bezugnahmen auf Topoi klassischer Hochzeitsfotos mit Sonnenschirm, Eheringen oder Brautsträußen.
In einem Foto ist die womöglich erste dokumentierte Eheschließung zweier Männer zu sehen. "Das Bild, ungefähr auf 1900 zu datieren, bildet zwei gut gekleidete junge Männer unter einem Schirm ab, einer steckt dem anderen einen Ehering an den Finger. Ein dritter Mann, der die Trauung vornimmt, steht ihnen gegenüber, und hat die rechte Hand erhoben, so als würde er einen Eid ablegen; in der linken Hand hält er eine Bibel. Ein erstaunliches Foto.“ In der Tat.
Aber es gibt viel erstaunliche, verblüffende, Vorurteile strafenden und gängige Vorstellungen korrigierende Fotos in dem Bildband, in dem es nicht um Sexualität, sondern und Zuneigung, Liebe und Gefühle geht.
Auch „homosoziale, männerbündische Gesellschaften, wie sie sich im Wilden Westen entwickelten“, Männerfreundschaften der Cowboys, wo Frauen kaum eine Rolle spielten, sind vertreten. „Die Cowboys tanzten miteinander und schliefen in der Regel zu zweit in einem Bett und unter einer Decke… weshalb junge, alleinstehende Cowboys gar keine andere Wahl hatten, als sich gegenseitig zu trösten. Viele der Fotos sind aber nicht nur Zeugnisse dieses ‚gegenseitigen Aufrichtens‘, sondern auch Hinweis auf intime Beziehungen und männliche Loyalität.“
Es gibt auch Aufnahmen von Paaren mit Auto bzw. Kutsche, die als Symbole eines langen gemeinsamen Weges verstanden werden dürfen. Geradezu Bekenntnischarakter haben Fotos mit Paaren, die sich umarmen, die einander die Hände halten, einer die Hand auf die Schulter des anderen legend, oder auf dem Schoss des anderen sitzend. Die „Intensität der emotionalen Bindung“ berührt.
Es sind Zurschaustellungen „innigster Form menschlicher Intimität“, sie offenbaren „Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt“, um eine Zeile aus einem Gedicht von Lord Alfred Douglas zu zitieren, der bekanntlich „Oscar Wilde zum Verhängnis wurde“. Die zahlreichen Kommentare auf den Rückseiten der Fotos sind Subtexte und lassen keine Fragen offen: “He is my best friend“ oder „David teilte Eddies Gefühle in einer anderen Art von Liebe“, „Woody ist schüchtern, aber er mag es, wenn ich ihn halte“, „Ich schicke Die ein Foto, das wohl den Vorhang von einem kleinen Teil meines Lebens lüftet“, „Mit all meiner Liebe, Harley“, oder schlicht „Küss mich.
Der Band über die Fotodokumente amouröser Männerbindungen dokumentiert die andere Seite der Homosexuellen die es immer gab, jenseits aller rüden Schwulenklischees. Das Buch führt eindringlich vor Augen, dass Homosexualität eben nicht nur eine sexuelle Spielart des Mannes, keine ausschließlich triebgesteuerte Passion ist, sondern auch eine Gefühlskultur!
Die Fotos, immerhin zwischen 70 und 170 Jahre alt, „die bis ins 21. Jahrhundert überlebt haben springen uns an, haben uns etwas zu sagen.“ Sie erweisen der Schwulenbewegung mehr Ehre als so manche Veranstaltungen der Szene oder der Queer-Community. Die Sammler dieser Fotos sprechen denn auch von ihrer „Zufallssammlung“ als einer Art „Rettungsmission“. Es sind Fotos von Angehörigen der Arbeiterklasse aus dem 19. Jahrhundert, modisch gekleidete Geschäftsleute, eleganten Beaus, aber auch von Studenten, Soldaten und Matrosen jeden Altersaus der zeit vom Amerikanischen Bürgerkrieg bis zum Zeiten Weltkrieg und in die 50er Jahre. Sie kommen aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, Bulgarien, Kroatien, Serbien, Ungarn, Australien, Japan, Singapur, China., Tschechoslowakei, Estland, Russland, Portugal und mehreren südamerikanischen Ländern. „Die Männer stehen im Bug eines Bootes, auf einem Baumstamm, einem Fahrrad, am Strand, Im Wald, gegen ein Auto gelehnt, sogar im oder auf dem Bett. Ein breitgefächertes Panorama, in dem allerdings Muster zutage treten, „körperliche Haltungen über Zeiten, Orte und Länder Hinweg“, die sich gleichen „und ein Paar die Pose eines anderen fast exakt nachbildete. Doch diese Posen enthalten verschlüsselte Botschaften. „Über die Botschaft der Liebe hinaus scheinen sie uns zuzurufen“ ‚Wir waren einander wichtig und wollten unseren Gefühlen mit einer Fotografie ein Denkmal setzen.“
Die Sammler betonen: „Unsere Sammlung führt zum ersten Mal in großem Umfang der Öffentlichkeit genau wie uns selbst vor Augen, dass Liebe, persönliche Bindung oder Begehren zwischen zwei Menschen universelle Gefühle sind,- unabhängig von der geschlechtlichen Zusammensetzung des Paars.“ Ihr Buch, wie die darin abgebildeten Fotographien soll einer neuen Sensibilität, einem neuen Humanismus der Liebe jenseits von Schubladen Vorschub leisten. „Ihre Botschaft geht alle an“, wie der letzte Satz des Sammler-Essays lautet. Ihm ist nicht hinzuzufügen.