Werner Herzogs Parsifal / Valencia

Gralskelch im Polareis


Werner Herzog inszeniert Richard Wagners "Parsifal" in Valencia, 2008



Man kennt Werner Herzog als Filmemacher. 1982 drehte er Fitzcarraldo mit Klaus Kin-ski, ein Film über Einen, der besessen ist von der Idee, im peruanischen Dschungel ein Opernhaus zu errichten. Aber Werner Herzog findet gelegentlich auch vom Film zur Oper. In Bayreuth inszenierte er 1987 Wagners „Lohengrin“. In Valencia inszenierte er jetzt  „Parsifal“, unter der musikalischen Leitung von Lorin Maazel.


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Valencia steht zur Zeit ganz im Bann des Heiligen Grals. Man feiert die 1750ste  Jahres-feier der ersten Ankunft des heiligen Grals in Spanien. In Valencia befindet sich ja eine der kostbarsten Reliquien der Christenheit, der als Hl. Gral bezeichnete vermeintliche Kelch des letzten Abendmahls, in dem Joseph von Arimathia den Legenden nach das Blut des gekreuzigten Heilands aufgefangen hat. Dieser Gralskelch steht in der Kathe-drale von Valencia. Er ist alljährlich das Ziel von Millionen pilgernder Christen. In diesem Jahr, wie gesagt, ist Jubiläum. Der Anlass für einen ersten internationalen Kon-gress zum Hl. Gral, und zwar vom 7.-9. November. Und Anlass für die Neuinszenierung des Wagnerschen "Parsifal" in Valencia.


Wagners "Parsifal" ist im wagnerbegeisterten Valencia seit langem ein Thema. Auch der örtlichen Literatur übrigens. Der aus Valencia stammende Wagnerianer Eduardo López-Chavarri hat schon 1913, als Wagners "Parsifal" freigegeben wurde, einen wichtigen Aufsatz geschrieben über Legende und Wirklichkeit des Hl. Grals in Valencia.


Nach dem "Ring", den man am dortigen Opernhaus, dem Palau de las Arts gegenwärtig herausbringt, hat es die Intendantin des Opernhauses, Helga Schmidt, sie war vorher 14 Jahre Intendantin an Covent Garden, in ihrem Ehrgeiz, neben Barcelona und Madrid Valencia zur dritten, wo nicht ersten Opernstadt Spaniens aufzubauen, geschafft, den nicht leicht zu gewinnenden Filmemacher Werner Herzog dazu zu bewegen, in diesem riesigen, futuristischen Opernhaus, das ja in einer gan­zen Landschaft futuristischer Bauten des Architekten Santiago Calatrava  in einem zum üppigen Park umgestalteten trockengelegten Flussbett liegt, Wagners "Parsifal" zu inszenieren. Es dürfte ein Kunststück an Überredung gewesen sein.


Entsprechend groß ist der Ansturm auf diese Inszenierung. Wer glaubt, Werner Herzog inszeniere den "Parsifal" filmisch, der irrt allerdings. Herzog gibt sich bis auf die letzte Pointe der Schlußszene im Grunde sehr opernhaft. Maurizio Balò hat ihm perfekte, plastische Bühnenbilder gebaut. Die Regie ist eher statuarisch. Die Personen  werden sängerfreundlich arrangiert, zumeist an der Rampe, sie bewegen sich konventionell, Die Kostüme von Franz Blumauer spannen eine Bogen vom Hohepriesterlichen übers derb Folkloristische was Parsifal und Kundry angeht, bis hin zu sehr distinguierter, eher damenhafter als verführerischer Abendgarderobe der Blumenmädchen. Dennoch ist die Inszenierung  faszinierend. In den Gralsszenen lässt Werner Herzog eine vergrößerte Kopie des  Gralskelchs, der in Valencia aufbewahrt wird, herein tragen, sehr zur Freude des örtlichen Publikums. Aber Herzog lässt so blasphemisch viel Qualm bzw. Theater-Weihrauch hinter dem Kelch gen Himmel aufsteigen, dass manchem frommen Zuschauer womöglich die Luft zum Atmen ausgehen könnte. 


Violeta Urmana ist der Star des Abends in Herzogs Inszenierung. Sie singt – wie alle Mitwirkenden – nicht nur außerordentlich wortverständlich, sondern auch – ihrem äuße-ren Mummenschanz zum Trotz – makellos schön.


Dieser "Parsifal" ist überhaupt eine musikalisch erstklassige Aufführung, auch wenn Noch-Musikdirektor Lorin Maazel  (er wird nach dieser Saison Valencia verlassen) sich enorm viel Zeit läßt. Er setzt auf Breite und Langsamkeit. Und da bricht er alle Rekorde. Zwei Stunden dauert allein der erste Akt. Doch er zieht alle Register seiner raffinierten Klangmagie und bietet trotz mangelnder Innenspannung und einiger äußerlicher Effekt-haschereien einen im Sound brillianten, in vielen Details geradezu betörenden "Parsifal" auf. Das Orchester spielt und klingt fabelhaft! Es ist ein handverlesenes Spitzenorches-ter. Dessen Musiker verdienen, wie man erfährt, so viel wie die Berliner Philharmoniker. Erste Liga eben!  Aber auch die Sänger sind erste Wahl: Stephen Millings Gurnemanz agiert mit schwarz samtenem Bass, Evgeni Nikitin ist ein Amfortas von heldenbarito-nalem Großformat, auch Sergej Leiferkus kann Einen als Klingsor das Fürchten lernen. Christopher Ventris, zur Zeit einer der gefragtesten Wagner-Tenöre singt einen  strahlenden Parsifal. 


Werner Herzog hat sich bei seinem "Parsifal" durch seinen letzten Antarktis-Dokumen-tarfilm „Encounters at the End of the world“ inspirieren lassen zu seiner ungewöhnli-chen, aber einleuchtenden szenischen Deutung. Er lässt den ersten und den letzten Akt in eisiger Landschaft spielen, gewissermaßen in einer seelischen Polarstation. Ein sinniges Bild für das Prinzip Entsagung und Askese. Polarlichter scheinen auf. Und zu den Grals-szenen senkt sich vom Schnürboden herab eine gigantische Radio-Teleskopschüssel und illuminiert die Szene mit dem Feuer ihres reflektierenden Lichts. Der mittlere Akt spielt in einer felsigen Höhle mit kreisförmigem Ausblick. Korallenbäume fahren zu den Blu-menmädchenszenen herein. Rotes Licht verwandelt die Bühne in ein vulkanisch anmu-tendes Kraftwerk der Triebe. Auch das ein einleuchtendes Bild für das andere Prinzip: Eros und Sinnlichkeit. Für den zentralen Konflikt des Stücks, den Kampf zwischen Sexualität und Entsagung, zeigt Werner Herzog allerdings kaum Interesse. Er interessiert sich mehr für die Erlösungssehnsucht jenseits der Erotik, als die Sehnsucht einer in Ei-seskälte gefangenen Hightec-Zivilisation. Herzog veranschaulicht diese Sehnsucht als die Suche nach dem Sinn im Außerirdischen.


Am Ende, also in der letzten Szene des Bühnenweihfestspiels, wenn Parsifal mit dem wieder gewonnenen Hl. Speer zur Erlösung der maroden Gralsritterschaft antritt, ver-schwindet denn auch das bühnenfüllende Gralsteleskop und gibt den Blick frei auf das im Hintergrund sichtbare Opernhaus von Valencia, das Palau de las Arts. Das hebt schließlich wunderbar leuchtend und sich drehend, elegant vom Boden ab und ver-schwindet – unbemerkt von der Gralsritterschaft- als UFO in den Weiten des Weltalls, während die priesterlich gewandeten Ritter ratlos und unerlöst zwischen den Eisblöcken stehen und alle Fragen offen bleiben. Ein filmisch perfekt computer-animierter Coup de Théatre, mit dem Werner Herzog das Publikum verblüfft und seiner Inszenierung eine unerwartete, eine  ironische Schlusspointe aufsetzt. Man darf sie aber auch als augen-zwinkernde Hommage an dieses einzigartige Opernhaus und seinen genialen Architek-ten, Santiago Calatrava verstehen. Alles in allem ein "Parsifal" der Extraklasse,.

 


Beiträge in SWR, NDR


Photo: Palau de las Arts / Valencia