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Dreiecksgeschichte im faschistischen Rom
Karen Stones Neuinszenierung der "Tosca"in Magdeburg
Die Oper "Tosca" ist seit ihrer Uraufführung im Jahre 1900 ein Kassenschlager und ein Opern-Klassiker. Im Theater Magdeburg ist er nun nach langer Abstinenz wie-der auf die Bühne gekommen. Die Hausherrin persönlich, Intendantin Karen Stone, hat ihn inszeniert. Premiere war am 20.10.2016
In dieser Oper geht es um eine fatale Dreiecksgeschichte, die eigentlich im Jahre 1800 spielt und vor dem Hintergrund der Schlacht bei Marengo zwischen zwischen Napoleons Revolutionsheer und österreichisch-päpstlichen Truppen angesiedelt ist.
Karen Stone hat das Stück ins faschistische Italien des zwanzigsten Jahrhunderts verlegt, wo es ja parallele Konflikte zwischen Revolution und Reaktion gibt. Ein sehr spezieller Fall ist wohl der Hintergrund ihrer Inszenierung, eine Begebenheit aus den 40er-Jahren, der Konflikt zwischen dem damals noch unbekannten Filmre-gisseur Lucchino Visconti, der als Sympathisant der verbotenen Kommunistischen Partei galt, der Schauspielerin Maria Denise und einer faschistischen Gruppierung, der Banda Koch, die bekannt war für ihre menschenverachtenden Verhörmethoden.
Man sieht also in Magdeburg keine Napoleonischen Kostüme und auch nicht die klassischen, tatsächlich existierenden Handlungsorte wie die Engelsburg, den Pa-lazzo Farnese oder die Kirche San Andrea della Valle, sondern eine nicht genau zu verortende Szenerie der Vierzigerjahre zwischen Polizeichefbüro und einem Maler-gerüst, irgendwo. Zum Te Deum dreht sich die Bühne und man sieht ein üppiges, zeitloses Sakraltableau. Die Kostümierung ist allerdings eindeutig die Zeit der Vier-zigerjahre, die Zeit des italienischen Faschismus, in dem Karen Stone den Polit-thriller um Sardous Tosca spielen lässt.
Karen Stone gelingt eine sehr packende Inszenierung des hochpolitischen wie hoch-emotionalen Dramas um die Sängerin Floria Tosca und den Maler Cavaradossi, die beide in die Fänge des skrupellos sadistischen römischen Polizeichefs geraten und beide zu Tode kommen. Ulrich Schulz hat ihr dafür eine veritable, eine variierbare Bühnenrückwand gebaut, die mal den Eindruck von Kirchenwand suggeriert, mal die Vison einer in einen alten Palazzo hineingebauten Kommandozentrale der Polizeibehörde. Im dritten Akt liegt diese Wand auf dem Bühnenboden als Exeku
tionsort Cavaradossis und wird zum Todessprung der Tosca hochgekippt, sodass sie sich quasi aus dem Fenster stürzt. Ein coup de théâtre. Sehr überzeugend. Und vor allem ganz und gar unkonventionell, auch in den Gesten und Gängen, diese Insze-nierung. Die Regissezrin kommt ganz ohne Mätzchen aus. Keine der Steilvorlagen berühmter Tosca-Inszenierungen kopiert Karen Stone. Alles erlebt man wie neu und ausserordentlich fesselnd, auch und gerade im Detail. Die Personenführung ist sehr präzise, konsequent durchdacht und ohne alle Routine. Karen Stone ist nicht nur eine erfolgreiche Intendantin, sie ist auch eine fabelhafte, und eine originelle Regis-seurin, wie sie mit dieser "Tosca" einmal mehr unter Beweis stellt.
Mindestens drei erstklassige Sänger braucht man für „Tosca“. Man hat sie in Mag-deburg. Und auch das muss man Karen Stone hoch anrechnen, dass sie zu den wenigen Opernintendanten gehört, die etwas von Stimmen verstehen. Ihre sänge-rischen Besetzungen überzeugen ja fast immer. Im Fall der "Tosca" hat sie geradezu eine Traumbesetzung engagiert, um die sie jedes hautpstädtische Opernhaus benei-den könnte: An erster Stelle ist da die englische Sopranistin Elizabeth Llewellyn zu nennen, die eine glutvolle, leidenschaftliche schwarze Diva singt und spielt. Der australische Tenor Paul O'Neill schmettert die Tenorpartie des Cavaradossi herzzer-reissend seilbstverständlich heraus und der südkoreanische Heldenbariton Sangmin Lee ist eine stimmächtige Verkörperung des Bösen, vor der einem graut. Aber auch die übrigen Partien sind alle mehr als nur rollendeckend besetzt. Auch der Opern-chor des Hauses lässt keinen Wunsch offen. Wirklich fabelhaft sängerisch, diese Produktion!
Musikchef Kimbo Ishii stand am Pult. Er hat ein Händchen für Puccini. Und was für eines! Er versteht es, mit der bestens disponierten Magdeburgischen Philharmonie für den nötigen musikalischen Adrenalinausstoß zu sorgen, um der Oper ihre drama-tische Wucht zu verleihen, die sie auszeichnet. Wie eine musikalische Droge reißt Einen diese süffig-klangsinnlich tönende und doch klar und unsentimental struk-turierte Lesart Kimbo Ishiis in den Strudel der Leidenschaft und Tragik dieser perfekten Oper. Jeder Widerstand ist zwecklos! Das Premieren-Publikum stand Kopf vor Begeisterung gestern Abend. Eine Reise nach Magdeburg lohnt sich: Man muss diese Tosca gesehen und gehört haben!
Beitrag für MDR-Kultur am 21.10.2016