Music Theatre in Motion

Reflektionen über Tanz in der Oper

 

Music Theatre in Motion

Reflections on Dance in Opera

Hrsg. Von Isolde Schmid-Reiter und Aviel Cahn

ConBrio Verlagsgesellschaft mbH, 232 S. Euro 25,00

 

Der 14. Band der verdienstvollen Schriften der Europäischen Musiktheater-Akademie ist der Interaktion von Tanz und Oper gewidmet. Die Herausgeber weisen schon im Vorwort auf die reiche Geschichte von Tanz und Oper und die Vielfältigkeit des Austauschs und der Zusammenarbeit beider Genres in Musik, Bewegung und szenischer Präsentation hin, bis zur utopischen Verschmelzung im Sinne eines „Gesamtkunstwerks“. Der Band versammelt Texte eines Symposions, das 2018 in der Opera Vlaanderen stattfand und sich historischen wie zeitgenössischen, künstlerischen, aufführungspraktischen, aber auch wissenschaftlichen Aspekten widmete. Elf Texte enthält der Band: Essays, Forschungsberichte, Statements von Theaterpraktikern und Gespräche bzw. Diskussionen.


Arnold Jacobshagen, einer der renommiertesten wie vielseitigsten unter den deutschen Musikwissenschaftlern, steckt das Feld gelehrt und profund ab, indem er schon im ersten Beitrag einen weiten historischen Bogen spannt von Claudio Monteverdi bis hin zu Sasha Waltz und ihrer Berliner Produktion von Purcells „Dido & Aeneas“, in der sie für die Vereinigung von Musik, Gesang und Tanz plädiert. Dem 18, Jahrhundert widmet Rebecca Harris-Warrick einen Essay über Tanz als Konvention und „Interpretation Tool“.


Über das obligatorische Ballett (meist in dritten Akt) in der fünfaktigen Pariser Grand Opéra schreibt David Conway. Grande Opéra sei Geschäft, Unterhaltung und Kunst zugleich gewesen, daher kam kein Komponist an einem Ballettdivertissement (auf das das zahlende Publikum bestand) vorbei, selbst Verdi und Wagner nicht.

Über Wagners „Moving Bodies,“ schreibt der Grandseigneur unter den britischen Musikologen, John Deathridge, über die Synkretie der Künste in Wagners „Kunstwerk der Zukunft“. Er nennt den kauzig-knorzigen, eitel-anmaßenden und mit seinen gedanklichen Abgründen umstrittenen Komponisten einen „self-centred crusader for the german spirit“, der in seinem „Gesamtkunstwerk“ weniger dem Tanz (den er gelegentlich als „Beinschwenkerei“ verharmlost), als der Pantomime und dem expressiven Körperausdruck das Wort redet. Die Tanzkunst des Dessauer Ballettmeisters Richard Fricke, den Wagner für seinen Bayreuther „Ring“ und den „Parsifal“ engagierte (Deathridge weist auf die immens aufschlussreichen Erinnerungen Frickes hin) sei Wagners Ideal gewesen. Aber britische Gelehrte gesteht, dass über die „bewegten Körper“ bei Wagner noch nicht das letzte Wort gesagt sei.


Konkrete Fallstudien zur Rolle des Balletts in der heutigen großen Oper liefert Sergio Morabito mit Blick auf seine „Alcina-“ Produktion und seine Inszenierung von Halévys „La Juife“ in Stuttgart, aber auch auf die legendäre „Aida“ von Hans Neuenfels.


Über die Ausdruckssteigerung der Opernstimme durch Tanz erfährt man Erhellendes in Stephanie Jordans Text. Stephanie Schroedter würdigt den Tanz geradezu als Herausforderung zeitgenössischer Choreographie und zitiert den Balletttheoretiker Claude Francois Ménestrier: Ballett sei eine Imitation. Aber im Unterschied zu anderen Künsten imitiere das Ballett die inneren Bewegungen, die Malerei und Skulptur nicht in der Lage seien zu imitieren. Eine Chance für das Musik- und Tanztheater.


„Das Unsichtbare sichtbar machen“: Um Synergien zwischen Oper und Tanz geht es in Koen Bollens Versuch über zeitgenössischen Symbolismus, wie er in der Produktion des belgisch-marokkanischen Tänzers und Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui und seines Mitarbeiters Damien Jalets von Debussys „Pelléas et Melisande“ an der Opera Vlaanderen mit seinem Ballett Vlaanderen sichtbar wurde.


Susanne Vill räsoniert über Dionysische Mysterien und „Dancing media“ im Musical. Auch sie holt historisch weit aus, von der Griechischen Tragödie über die Florentiner Camerata bis hin zum modernen Ausdruckstanz und stellt überzeugend dar, wie wichtig, ja wesentlich der Tanz in der Gattung des Musicals war und ist.


Der Abdruck zweier Diskussionsrunden fasst die Ergebnisse des Symposions zusammen. Ein Plädoyer für neue Formen künstlerischen Austauschs in Praxis der Choreografie in der Oper. Interessante Ein- und Ansichten sind es, die die 18 Teilnehmer aufbieten.

Das sachlich-informative Buch zum Thema „Tanz und Oper“, das Theater- und Musikwissenschaftler, Operndirektoren, Choreographen und Dramaturgen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet haben, lohnt die Anschaffung. Zahlreiche Abbildungen, Grafiken und ein praktischer Index machen das Buch nützlich. Dass es auf Englisch verfasst wurde, dürfte seiner Verbreitung dienlich sein.



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