Katharina Wagners Tristan in Bayreuth 2015

Photo: Bayreuther Festspiele GmbH / Enrico Nawrath

„Tristan“ ohne Liebestrank und Liebestod

Katharina Wagners absurde, unlogische Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen 2015


Gespräch in MDR Figaro am 26.Juli 2015


Moderator: Gestern nachmittag wurden in Anwesenheit von viel Prominenz die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth eröffnet, die bis zum 28. August andauern. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr gibt es in Bayreuth 2015 wieder eine Neuproduktion: Katharina Wagner inszeniert «Tristan und Isolde». Auf sie, die umstrittene Regisseurin und ab September nun alleinige Festspielleiterin, richten sich aller Augen. Vom Erfolg oder Mißerfolg ihres  „Tristan“ hänge, so glauben viele, ihre Zukunft in Bayreuth ab. Der „Tristan“  ist Katharinas  zweite Regie-Arbeit am Grünen Hügel, nach den vom überwiegenden Publikum ungeliebten „Meistersingern“ , die sie 2007 herausbrachte. Unser Wagnerexperte Dieter David Scholz ist für uns in Bayreuth.


Herr Scholz, Sie waren gestern abend in Katharinas „Tristan“. Katharina Wagner stand unter enormem Erfolgsdruck. Deshalb gleich zu Anfang die Frage: War es ein Erfolg? Ist das vielleicht sogar endlich ihr großer Durchbruch als Regisseurin?


Von Durchbruch als Regisseurin kann man wirklich nicht reden. Erfolg, wenn man mal vom üblichen Jubelsport der glamourösen, very important guests der Premieren absieht, der ja mehr über das Publikum als über die Aufführung aussagt, wohl eher nicht. Das wagner-informierte Publikum, das wegen Wagner nach Bayreuth kommt, dürfte wohl nicht gerade amused sein über die Inszenierung von Katha-rina Wagner, denn sie ist, mit Verlaub gesagt, unlogisch, dumm, naiv und langweilig. Dumm deshalb, weil sich die Urenkelin Richard Wagners derart unbekümmert über den Text ihres Urgroßvaters hinwegsetzt, dass das Stück, wenn man es ernstnimmt, nicht mehr funktioniert, nicht mehr glaubwürdig ist.


Moderator: Dann fragen wir Mal etwas genauer nach: Was hat Katharina Wagner gemeinsam  mit ihren Ausstattern  Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert konkret  auf die Bühne gebracht?


Im ersten Akt sieht man eine Holzkonstruktion von Treppen, Absätzen und Fahrstühlen, so eine Art moderne Version von Piranesis berüh-mtem Kerkerbild. Darauf fahren Tristan und Isolde,  schlicht zeitlos-modern und blau gekleidet auf und ab und küssen sich inbrünstig, lange bevor der Liebestrank getrunken werden soll. Sie kippen ihn kurzerhand weg. Womit eigentlich schon die ganze Dramaturgie des Stücks ad absurdum geführt wird, denn ihre Liebe ist ja nur unter Drogeneinwirkung möglich und unsträflich. Nur weil sie „unzu-echnungsfähig“ sind, verzeiht der gehörnte Dritte, König Marke seinem Vasallen und seiner Gattin. Der zweite Akt spielt in einer Art dreieckigem, schwarzem, mit allerhand Chromstahltrittbrettern  und – Fesselapparaturen ausgestatteten Gefängnis König Markes. Da gibt es eine Galerie, auf der Suchscheinwerfer die Delinguenten Tristan und Isolde permanent verfolgen. Daß die beiden sich  unter den Augen der Gefängniswärter ein Zelt bauen, das sie mit Lämpchen schmücken, um unbeobachtet ihrer Liebe frönen zu können, ist einer der vielen naiven, ja absurden Regieeinfälle Katharina Wagners.


Der ganze zweite Akt ist unglaubwürdig, denn die Ehebrecher werden nicht mehr in flagranti erwischt, sondern von Anfang an von den Sicherheitskräften König Markes observiert.  Der tritt fast carnevalesk auf, mit kanariengelbem Anzug, Mantel, Pelz und Hut. Gut sind die Blauen, böse die Gelben. Wir haben verstanden: Kindertheater. Übrigens ersticht Melot den gefesselten Tristan hinterrücks. Eine weitere kardinale Dummheit der Regisseurin, denn damit wird alle Todesüchtigkeit Tristans geleugnet und sein Fiebermonolog im dritten Akt eigentlich überflüssig. Den singt er übrigens quitschfidel stehend vor leerer Bühne. Seine Getreuen sitzen mit Grablichtern in einer Ecke. Als Halluzinationen darf man wohl die schwebenden Dreiecke verstehen, in denen Isolde, zum Schluß  sich wieTosca in den Abgrund stürzend, erscheint, in immer neuen Variationen.  Der Liebestod findet dann aber gar nicht statt, Isolde singt ihn zwar an der aufgebahrten Leiche Tristans, stirbt aber nicht und wird vom energischen König Marke in den Hintergrund abgeführt. Auch diese Regietat ist völlig gegen das Stück. Der ganze sogenannte Liebestod Wagners wird damit lächerlich gemacht. Unterm Strich eine durch und durch unglaub-würdige Inszenierung. Thema verfehlt könnte man sagen. Sie ist aber auch handwerklich naiv und hilflos. Von psychologischer Personen-führung keine Spur,  stattdessen  weithin statuarisches Rampentheater der langweiligen Art. Wenn man nur allein die „Tristane“ zum Ver-gleich hinzuzieht, die in den letzten 40 Jahren in Bayreuth gezeigt wurden, und ich habe sie alle gesehen, dann ist das mit Abstand der unbedeutendste, ja nichtssagendste „Tristan“ der neuern Bayreuther Inszenierungsgeschichte.

 

Moderator: Christian Thielemann, der seit kurzem den Bayreuther Titel „Musikdirektor“ trägt, stand am Pult. Er gilt ja weit als einer der wichtigsten Wagnerdirigenten. Was hat er zu diesem Abend beigetragen?


Noch das Beste. Er hat einen klangopulenten, äußerst dramatisch aufgewühlten „Tristan“ dirigiert, derart dramatisch, dass man schon fast von martialisch sprechen darf. Leider zwischendurch immer wieder von Langatmigkeit und Leerlauf durchsetzt. Thielemann ist halt kein Strukturanalytiker wie Kyrill Petrenko. Er dirigiert vor allem emotional, spontan, aus dem Bauch und gefühlig. Immer wieder war das gestern abend überwältigend, das einzige, was dem Abend „Größe“ gab, leider hatte er keine auch nur annähernd adäquate Regisseurin zur Seite.


Moderator: Bleibt die Frage nach den Sängern. Ursprünglich war ja Eva-Maria Westbroek als Isolde vorgesehen. Dann sagte sie ab und Anja Kampe sollte die Partie übernehmen. Darauf war man sehr gespannt nach ihrer sensationellen Sieglinde im „Ring“. Ganz kurzfristig wurde dann mitgeteilt, dass statt ihrer Evelyn Herlitzius die Isolde singen solle. Die Spekulationen schossen ins Kraut: Hat Christian Thielemann Anja Kampe gechasst, weil sie die Liierte von Kiryll Petrenko ist, dem Thielemann bei der Wahl zum neuen Philhar-monikerchef unterlag? Wir wollen uns an solchen Spekulationen nicht beteiligen. Fragen wir nach den Tatsachen. Wie war denn die bayreutherfahrene Evelyn Herlitzius?


Also Evelyn Herlitzius ist eine imposante Bühnenerscheinung und eine intelligente Sängerdarstellerin, aber wie sie diese Isolde vom ersten bis zum letzten Ton durchgeschrieen hat, das war alles andere als angemessen und akzeptabel. Es war eigentlich eine Zumutung, wenn man Wagners Utopie eines „deutschen Belcanto“ ernstnimmt, den er sich ja ausdrücklich  wünschte von den Sängern seiner Werke.  Auch Christa Mayer als Brangäne hat immerfort geschrieen, was ihre Lungen hergaben. Bei ihren Warnliedern im zweiten Akt,  die ganz von Ferne kommen, hat man gemerkt, dass sie eigentlich eine sehr schöne Stimme hat, wenn sie nicht immerfort so unschön forcieren würde. Phonstärke ist kein Qualitätsmerkmal von Singen. Stephen Goulds kraftvoller Tristan war dagegen erstaunlich. Es gibt derzeit vielleicht keinen anderen Tenor, der die Partie  so mühelos heldisch alle drei Akte hindurch singen kann. Einmal von Andreas Schager abgesehen, der in Meiningen einen sensationellen Tristan sang. Aber der setzt nicht aufs Heldische, sondern aufs Deklamatorische. Sängerischer Lichtblick des Abends war der Bassist Georg Zeppenfeld als König Marke. Er hat eindrucksvoll vorgeführt, was kultiviertes Singen heißt. Er war eigentlich der Star des Abends in einer ansonsten sehr ärgerlichen Produktion, die Bayreuths nicht würdig ist. In vielen kleinen Stadttheatern habe ich unterm Strich überzeugendere „Tristan“ Produktionen erlebt.  Bayreuth ist leider in steiler Talfahrt begriffen, künstlerisch, dieser „Tristan“ hat es einmal wieder demonstriert.



Gespräch in MDR Figaro 2.7.2015

Beiträge u.a. auch in Chemnitzer Freie Presse