Gounods Cinq-Mars Wiederentdeckung in Leipzig

Fotos: Tom Schulze


Gounods "Cinq-Mars". Eine spektakuläre Ausgrabung der Oper Leipzig


Kulinarische Ausstattungsoper als prachtvoller Abgesang aufs Ancient Régime und ironisiertes barockes Theaterfest dank Anthony Pilavachi


 


Frankreich im Jahre 1642: Der machthungrige Kardinal Richelieu ist als Erster Minister und eng-ster Ratgeber von König Louis XIII. zum unangefochtenen Herrscher im Staat aufgestiegen. Doch die Partei des Königs erhält Unterstützung: Der junge Marquis de Cinq-Mars, einst von Richelieu selbst an den Hof geholt, steigt zum Günstling des Königs auf und schmiedet gemeinsam mit sei-nem Freund Conseiller de Thou und anderen Adligen ein Komplott gegen den Kardinal… am Schluss endet der Rebell des Königs auf dem Schafott. 140 Jahre wurde diese Oper von Charles Gounod nicht mehr aufgeführt. Die Oper Leipzig hat diese weitgehend vergessene Oper „Ding-Mars“ von Charles Gounod ausgegraben. Am 20. Mai 2017 war Premiere der Inszenierung von Anthony Pilavachi. Am Pult stand der belgische Dirigent David Reiland. 


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Der Stoff der Oper  ist für uns heute noch durchaus interessant. So interessant wie bedeutende historische Konflikte sein können. Es ist ja ein beispielhafter politischer Konflikt, der da auf die Opernbühne gebracht wurde. Es geht um den Kampf zwischen dem berühmt berüchtigten Kardinal Richelieu und König Ludwig dem Dreizehnten, verquickt mit einer verhinderten Liebesgeschichte des Marquis Cinq-Mars, der gewissermaßen vom Saulus zum Paulus wird, vom Schlafburschen des Königs zu seinem Rebell. Denn er liebt eigentlich Prinzessin Marie, die aber dem polnischen König versprochen ist. Weshalb er mit seinem Freund dem Conseiller de Thou als Führer einer geplanten Revolution anschliesst, um Kardinal Richelieu zu stürzen, der seine Verbindung mit Marie hartnäckig verhindert. Die Revolution schlägt fehl. Beide werden hingerichtet am Ende. Schon  zu Beginn der Oper zeigt Pilavachi die abgeschlagenen Köpfe. Es geht um blutige Politik in diesem Stück. Um Willkürherrschaft, Bespitzelungsstaat, und um die Mechanismen von Despotie und Diktatur, wie wir sie ja auch heute um uns herum beobachten können. 


Anthony Pilavachi hat die historische Handlung der wiederentdeckten Oper um den hingerichteten Verschwörer Marquis de Cinq-Mars, die Alfred de Vigny 1826 in seinem populären Roman fest-hielt, als historisches Mantel- und Degen-Stück, als kulinarische Ausstattungsoper inszeniert, mit Einsatz barocker Bühnenmaschinerie und romantischer  Prospekte. Es ist eine opulente Kostüm-schau, man denkt an Visconti. Markus Meyer hat eine grandiose Bühne gebaut, einschließlich barocker Kulissenbühne im Waldbild des dritten Aktes. Auch seine historischen Kostüme sind  überwältigend. Last but not least hat Julia Grunwald im zweiten Akt die Ballett- Parodie einer barocken Liebesallegorie samt vom Himmel schwebendem Amor einstudiert. Das fügt sich glän-zend ins  Regiekonzept Pilavachis ein, denn er zeigt diese Oper gewissermaßen als ironischen Abgesang aufs Ancient Régime und als Verklärung eines romantischen Helden und Revolutionärs.  Cing-Mars ist für Pilavachi so etwas wie der Brad Pit des 16. Jahrhunderts.Der scheitert in den intriganten Verwerfungen von Liebe, Macht und Politik. Cinq Mars und sein Freund de Thou versuchen eine erstarrte Gesellschaft zu verändern. Das ist ja durchaus ein aktuelles Thema. Pilavachi zeigt ein hochpolitisches Stück, und das, ohne auch nur im Geringsten zu aktualisieren.


Die Inszenierung ist auf jeden Fall ein Augenfest fürs Publikum. Pilavachi bietet einen Historien-schinken als historisches Potpourri dar. Man sieht siebzehntes Jahrhundert, destilliert durch das 19. Jahrhundert, aus dem Blickwinkel von heute. Barocke Illusionsmalerei, Barocktheater, Architek-turen und Gemälde werden als zauberhafte Collage ineinander montiert. Pilavachi inszeniert den Historien-Thrillerzwischen als Theater auf dem Theater zwischen hintereinander liegenden golde-nen Rahmen bzw. Theaterportalen in weissem Bühnenkasten.  Der schafft Distlanz und lässt die politische Botschaft des Stücks ohne Zweifel sichtbar werden. Trotz historischer Bebilderung und keinerlei Aktualisierung.

 

Die Musik dieser unbekannten Oper von Charles Gounod ist ein wenig sophisticated, stilistisch nicht aus einem Guss, eher Patchwork.  Es geht in dieser Oper um Rebellion, Liebe, Treue und Freundschaft bis in den Tod. Das in bewährtem, hochromantisch pathetischem Zugriff Gounods. Es geht in dieser Oper aber auch um den Blick aufs Ancient Régime, und zwar musikalisch. Gounod zitiert Barockmusik im Geiste des französischen 19. Jahrhunderts. es gibt schwelgerische Kavatinen und Freundschaftsduette a la Perlenfischer, eingängige Chöre, fulminante Ensembles. Eine ausgesprochen dankbare Sängeroper.


Ein Glücksfall ist die sängerische Besetzung in Leipzig. Ein insgesamt sehr überzeugendes En-semble. Um nur die wichtigsten Partien zu nennen: Herausragend ist  der Tenor Mathias Vidal als Marquis Cinq-Mars, er hat diese Partie auch auf der bereits erschienenen Gesamtaufnahme der Oper gesungene, die von der Stiftung Palazetto Bru Zane veröffentlich wurde. Ihr ist letzlich die Ausgrabung des Werks zu verdanken. Mathias Vidal ist ein Heißsporn von tenoralem Liebhaber. Seine Angebetete, Prinzessin Marie wird von der bildschönen Sopranistin Fabienne Conrad  in allerhöchster gesanglicher Kultiviertheit gesungen. Balsamisch singt auch der Bariton Jonathan Michi als Conseiller de Thou und geradezu  imposant ist der Bassist Mark Schnaible als Père Joseph, er ist der diabolische, heuchlerische Strippenzieher, die rechte Hand Richelieus, das menschgewordene Böse, das nur noch von Richelieu getoppt wird. Der tritt im Libretto nicht auf, aber Pilavachi lässt ihn als stumme Rolle herumgeistern, einmal sogar mit Totenkopfmaske. Der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor der Oper Leipzig und das Gewandausorchester zeigten sich in glänzender Verfassung. Der belgische Dirigent David Reiland, Chefdirigent des Orchestre de Chambre du Luxembourg, er hält sich dirigentisch nicht zurück und zieht alle Register! Eine großartige Aufführung, die vom Publikum gefeiert wurde. Es wäre dem Stück zu wünschen, dass es von Leipzig aus vielleicht  Eingang findet ins Repertoire.   



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