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Foto DHM
Vom Berliner Zeughaus zum Deutschen Historischen Museum
Erste Ausstellungseröffnung1994
Dokumentation des Aufstiegs Preußens von der "Sandkiste Europas" zur Großmacht und damit zugleich ein Abriss der Geschichte Deutschlands, speziell Berlins
Es ist ein imposantes Gebäude, zu dessen Errichtung Kurfürst Friedrich III. am 28. Mai 1695 den Grundstein legte. Schon Friedrich Nicolai feierte den Bau als eines der schönsten Gebäude Europas und selbst Heinrich Heine schwärmte vom Anblick des städtebaulichen Ensembles am Berliner Kupfergraben. Noch heute ziert das barocke Zeughaus die historische Mitte Berlins zwischen Schlossbrücke und Lindenoper.
Ursprünglich größtes preußisches Militärarsenal, blieb es Muster- und Trophäensammlung eigentlich bis ins Dritte Reich, das mit dem Haus Größeres beabsichtigte, gottlob blieben das unausgeführte Pläne. In den drei bewegten Jahrhunderten seiner Bau- und Sammlungsgeschichte wurde das Zeughaus mehr und mehr zum Kriegs- und Heeresmuseum, nach den Reichseinigungskriegen und dem Deutsch-Französischen Krieg wurde es von Friedrich Hitzig mit einer kuppelgekrönten Ruhmeshalle für die Hohenzollern und ihre Generäle versehen, ein Ort nationalpatriotischer Selbstvergewisserung, für Jahrzehnte, ein Haus kaiserlicher Zelebritäten und militärischer Riten. Seit den Zwanzigerjahren war es endgültig damit vorbei. Das Zeughaus war, nicht zuletzt angesichts veränderter Waffentechnik, avanciert vom Depot zum wissenschaftlich betreuten Waffenmuseum, zu einer der weltweit größten Militariasammlungen, die im Bombenhagel des zweiten Weltkriegs allerdings weitgehend zerstört wurde. 1948 begann man mit dem Wiederaufbau des stark beschädigten Zeughauses im stalinistischen Neubarock-Klassizismus. In den Jahrzehnten der DDR errichtete man im Zeughaus das zentrale Geschichtsmuseum des Landes, das "Museum für Deutsche Geschichte", konzipiert nach streng marxistisch-leninistischer Auffassung, versteht sich. Dieses Museum wurde im September 1990 von der letzten DDR-Regierung aufgelöst.
Nach der Wende wurde das Zeughaus mit seinen Sammlungen dem Deutschen Historischen Museum übergeben, das derzeit mit dem Aufbau einer eigenen Sammlung befasst ist, mit der Planung einer künftigen Konzeption, denn es harrt ja nach wie vor geeigneter Räumlichkeiten. Nachdem der Bau des Aldo Rossi-Tempels am Spreebogen aufgegeben wurde, soll nun das Zeughaus gründlich saniert, ausgebaut und nach Maßgabe des Denkmalschutzes mit weitgehend barockem Gesicht rekonstruiert werden, sodass man dereinst über etwa 10.000 qm Ausstellungsfläche verfügen wird. Doch wann das sein wird, steht in den Sternen, das heißt, das bestimmen die Politiker, denn die Bedingung des Umbaus ist nun mal Geld - und zwar viel Geld! Christoph Stölzl, Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums, sprach auf der Pressekonferenz von mindestens 250 Millionen Mark, die nötig sein werden. Der ursprüngliche Baubeginn war mit Ende 1995 anvisiert worden. Ob er realisierbar ist, weiß derzeit niemand zu sagen. Um sich selbst und der steuerzahlenden Öffentlichkeit vorab eine Vorstellung davon zu geben, über welche Sammlungen dieses Gebäude verfügt und welche historische Bedeutung dem Haus zukommt, hat man in den vergangenen Jahren erstmals eine wissenschaftlich fundierte Bau- und Sammlungsgeschichte in Angriff genommen. Ergebnis ist eine repräsentative Ausstellung, die bis zur Schließung des Gebäudes, also bis zum Beginn des Umbaus, gezeigt werden soll.
Im Mittelpunkt der Ausstellung mit ihren 1000 Exponaten im Nord- und Westflügel des Erdgeschosses steht die wechselhafte Geschichte des Hauses je nach militärischer Einstellung der jeweiligen Herrscher, die Geschichte seiner Umbauten, aber auch der Kriegsverluste an Sammlungen. Reiches Photomaterial veranschaulicht dies. Erstmals werden in der Ausstellung auch die Originalpläne von Jean de Bodt, einem der größten Zivil- und Militärbaumeister des Barock in Berlin gezeigt, auch ein Abguss des seit 1945 verschollenen Standbildes das Bauherrn, Friedrich des Dritten, von Andreas Schlüter ist zu sehen, natürlich auch Abgüsse von dessen berühmten "sterbenden Kriegern", daneben gibt es reichlich Militaria, also Waffen, Rüstungen, Orden, Geschützrohre, darunter die legendäre und tatsächlich "Goldenen Kanone" aus dem Jahre 1643. Last not least eine der kapriziösen Schnupftabakdosen des alten Fritz mit einer Zeughausdarstellung im Innern und sogar Napoleons Hut kann man bestaunen. Obwohl man es vermuten könnte, ist diese Ausstellung mit ihren vielen Militaria aus Mittelalter, Renaissance, Barock und neunzehntem Jahrhundert keine ausgesprochene Militärausstellung. Sie ist vielmehr die präzise und gelungene Dokumentation einer historischen Bau- und Sammlungsveränderung während dreier Jahrhunderte, die Dokumentation des Aufstiegs Preußens von der "Sandkiste Europas" zur Großmacht und damit zugleich auch ein partieller Abriss der Geschichte Deutschlands, speziell Berlins, fokussiert auf eines der markantesten Gebäude und Museen der Stadt.
In ihrer schlichten, geschmackvollen Präsentation und in ihrer Perspektivenvielfalt dürfte diese Ausstellung willkommene Anregung sein für eine konstruktive Debatte um ein künftiges Deutsches Historisches Museum! Und wer keine Gelegenheit hat, die Ausstellung zu besuchen, kann das Ergebnis dieser erstmaligen bau- und sammlungsgeschichtlichen Forschungen solchen Ausmaßes in zwei gewichtigen, reich illustrierten Katalogen nachlesen. Sie sind im Brandenburgischen Verlagshaus erschienen und dürfen schon jetzt als Standardwerk zum Thema bezeichnet werden.
Potsdamer Neueste Nachrichten
Ausstellungseröffnung im Deutschen Historischen Museum am 25.März 1994
Nachtrag: Seit dem 30. Dezember 2008 wird das inzwischen "fertige" DHM von der Stiftung Deutsches Historisches Museum getragen, einer rechtsfähigen bundesunmittelbaren Stiftung des öffentlichen Rechts. Diese ist auch Träger der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Im Jahr 2015 verzeichnete das DHM 810.000 Besucher. Seit der Eröffnung der Dauerausstellung 2006 schwankt die jährliche Besucherzahl um 800.000. Es gibt ein Kino, eine beachtliche Bibliothek und ein Bildarchiv. Ständig wechseln Ausstellungen. Gegenwärtig gibt es (vom 8. April bis 11. September 2022) eine umstrittene, recht fragwürdig ideologische, einseitige Ausstellung über „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“. Siehe meine Artikel darüber hier auf meiner HP.
Seit Juni 2021 ist das Zeughaus voraussichtlich bis Ende 2025 wegen Renovierung und Erarbeitung der neuen ständigen Ausstellung geschlossen. Der moderne Erweiterungsbau des DHM von I. M. Pei ist weiterhin geöffnet.