Hillmes Cosimas Kinder

Zwischen großer Oper, deftigem Boulevardstück und absurder Posse 


Oliver Hilmes: Cosimas Kinder 


Selbst glühende Verehrer Richard Wagners, seines Werks und seiner Familie fühlen sich angesichts dessen, was sich nicht nur zwischen Ende Juli und Ende August alljährlich am Grünen Hügel in Bayreuth abspielt, an populäre Seifenopern des amerikanischen Fernsehens erinnert. Die erste Generation des Bayreuther Familienunternehmens, das seit 133 Jahren existiert, hat Oliver Hilmes in seinem beim Siedler Verlag erschienenen Buch in aller Breite dargestellt. „Cosimas Kinder“ ist es betitelt, und es ist gewissermaßen die Fortsetzung seiner großen Biographie der zweiten Wagner-Gattin, Cosima, die er 2008 herausbrachte.


Nicht nur Wotans Göttersippe in Richard Wagners Nibelungen-„Ring“ läßt an den Denverclan denken, auch die Familie Wagner selbst. Schon 1914 schrieb der Journalist und Autor Maximilian Harden, im so hehren Bayreuth der "wahnfriedlich weihfestlichen Edelmenschen" herrschten Geldgier, Betrug, Lügen, Meineid, Ehebruch und "Dynastenwahn". Daran hat sich bis heute im Grunde nichts geändert. Und alles begann mit der Wagner-Witwe, mit Cosima, die ihren Mann um 47 Jahre überlebte. Oliver Hilmes stellt die Gründung der Wagner-Dynastie denn auch als die „Geschichte von Cosimas Kindern“ dar. Cosima hatte aus erster Ehe mit dem Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow zwei, mit Wagner drei Kinder. „Wagner und die Seinen sind ein Kosmos für sich“ schreibt der Autor zurecht und er gibt dem Leser eine „Sternkarte“ zur familiären Orientierung in die Hand. Für jeden, der sich an pikanten Details erfreut, bringt Oliver Hilmes, der aufwendige Recherchen und Quellenstudien in vielen Archiven und Privatsammlungen betrieb, viel Licht in die Geschichte dieser deutschen Familiensaga.

Oliver Hilmes widmet sich außerordentlich kenntnisreich, zuweilen mit süffisanter Ironie den so unterschiedlichen, von Cosima zum Wohle Bayreuths lancierten  Lebensläufen und Eheschicksalen von Cosimas Töchtern aus erster Ehe mit Hans von Bülow, Daniela und Blandine, aber auch über Richard Wagners Kinder aus zweiter Ehe (mit Cosima also) Isolde, Eva und Siegfried.


Er macht nicht vor detaillierten Ehe- und Erbschaftsangelegenheiten halt und seine Beschreibungen reichen vom Salon über die Bankkonten bis ins Schlafzimmer. Oliver Hilmes breitet genüsslich selbst pikante Details aus dem Liebesleben der Cosima-Kinder aus, ob bei Daniela, die den Kunsthistoriker Henry Thode heiratete, ihm aber jeglichen Ge-schlechtsverkehr verweigert habe, oder beim Thronfolger Siegfried, dessen Homosexualität ein peinliches Familienproblem darstellte. Blandine heiratete einen bankrotten italienischen Grafen, der sie ruinierte. Isolde ehelichte den Musiker Franz Beidler, der von ihrem Geld lebte, weshalb Mutter Cosima sie in einem regelrechten Schlafzimmerprozess enterben ließ. Eva wurde mit einem alten englischen Admiralsohn, dem Privatgelehrten, Houston Stewart Chamberlain verheiratet, der sich zum Chefideologen Cosimas mauserte und mit seiner ekelhaften, deutschnationalen, antisemitischen Wagnerliteratur die nationalsozialistische Wagnervereinnahmung vorbereitete.


Die Kinder Cosimas, so macht Oliver Hilmes deutlich, waren mehr oder weniger verkorkste Existenzen. Mutter Cosima hat das Glück ihrer Kinder der Raison des Festspielbetriebs geopfert. Dennoch drohte nach Cosimas Tod 1930, ihr Sohn Siegfried starb nur wenige Wochen später, der Bankrott der Festspiele. Die Stunde der Siegfried-Witwe Winifred hatte geschlagen. Sie rettete Bayreuth mithilfe von Adolf Hitler. Aber das ist ein anderes, ein neues Kapitel in der Geschichte der Wagnerdynastie. Zu ihm hat die Historikerin Brigitte Hamann in ihrem Buch „Winifred Wagner – Hitlers Bayreuth“, das vor sieben Jahren erschien, alles gesagt. Oliver Hilmes hätte dieses Kapitel nicht auch noch noch einmal aufschlagen müssen. Und dass er sein Buch mit einem die aktuelle Bayreuther Situation reflektierenden Epilog schließt, ist ebenso überflüssig.


Doch was er über die Dynastie im Zeitraum von Wagners bis zu Cosimas Tod  bienenfleissig aufgearbeitet hat, ist eine hochinteressante, unterhaltsame, aber auch tragische Kindergeschichte,  die – wie er zurecht schreibt - mal „ganz große Oper, manchmal aber auch nur eine beschwingte Operette, ein deftiges Boulevardstück, ein tieftrauriges Passionsspiel oder eine absurde Posse“ ist.


MDR 2009