Ringe von Swarowski u.Neuhold

Es muß nicht die MET, Bayreuth, Berlin, Mailand oder London sein...


Verblüffende „Ring“-Gesamtaufnahmen von Hans Swarowsky und Günter Neuhold im Vergleich

 

Richard Wagner "Der Ring des Nibelungen"

Großes Symphonieorchester - H. Swarowsky - Weltbild-CALIG - 703 769(14 CDs)

Richard Wagner "Der Ring des Nibelungen"

Badische Staatskapelle Karlsruhe - G. Neuhold - Bella Musica SCH 00.3090 (14CDs)



Es gibt Dutzende von „Ring“ -Einspielungen auf CD, historische und neue. Oftmals sind es nicht die prominenten, die überzeugen. So konträr wie nur denkbar, haben diese beiden zeitgleich erschienenen älteren "Ring"-Gesamtaufnahmen eines gemeinsam: Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf die Wagneraufführungen unserer Tage! Hans Swarowskis in nur vier Wochen unter abenteuerlichen Bedingungen entstandene Studioproduktion aus dem Jahre 1968, aber auch der Livemitschnitt seines Schülers Günter Neuhold vom Badischen Staatstheater Karlsruhe (zwischen 1993 und 1995 aufgezeichnet), relativieren alle neueren "Ringe" des Schallplattenmarktes und auch so manche als hochkarätig gerühmte und verkaufte Bühnenproduktion.


Noch immer ist eine Aufführung des kompletten Nibelungen-Vierteilers eine der größten Herausforderungen eines jeden Opernhauses und einer jeden Schallplattenfirma. Gute Wagner-Sänger sind teure Mangelware geworden. Von Inszenierungskonzepten und Ausstattungskosten ganz zu schweigen. Allzu viele Weltreisende des Wagner-Fachs haben ihre Stimmen aus mangelndem sängerischem Gewissen und schonungsloser Gewinnsucht verschlissen. Selbst die Besten können bekanntlich der Vermarktungs-Versuchung nicht widerstehen. Und es sind ja fast immer dieselben Jet-Set-Interpreten, die herumgereicht werden, von einer Inszenierung zur nächsten. Wodurch sich Gesicht und Niveau des Wagnergesangs, ob in Bayreuth oder in Chicago, kaum mehr voneinander unterscheiden. Umso erstaunlicher, dass ein Haus wie das Badische Staatstheater Karlsruhe einen eigenen "Ring" auf die Bühne zu bringen imstande ist, der alles in allem sehr respektabel genannt werden darf. Der Beweis dafür, dass es eben auch ohne das Dutzend altbekannter Wagner-Stars geht!


Carla Pohls Brünnhilde ist eine zuverlässige, stand- und stimmfeste Interpretin der Partie, Wolfgang Neumann und Edward Cook sind als Siegfriede den meisten ihrer gegenwärtig teuer gehandelten Kollegen ebenbürtig. Erstaunlich in Präzision der Gestaltung wie Stimmführung ist der kasachische Bassbariton Oleg Bryjak als Alberich. Gabriele Maria Ronges Sieglinde hat großes Format! Die Erda-Partien sind mit Ortrun Wenkel und Mette Ejsing hervorragend besetzt. Und selbst die zentrale Partie Wotans/Wanderers ist mit dem australischen Bassbariton John Wegner mehr als nur überzeugend besetzt. Was Höhensicherheit und Durchhaltevermögen angeht, ist er John Tomlinson und Robert Hale, um nur zwei seiner prominenteren Kollegen in diesem Fach zum Vergleich heranzuziehen, überlegen.

Nur wenige Ensemblemitglieder Neuholds wird man als sensationell bezeichnen wollen, aber es sind auch kaum Stimmen darunter, die das Prädikat "verschlissen", "fehlbesetzt" oder "überanstrengt" verdienen. Und schließlich demonstriert Neuhold einen mit unalltäglicher Souveränität überzeugenden "Ring"-Alltag an einem Haus, das weiß Gott nicht zu den großen Wagner-Bühnen gerechnet werden darf. Wie beschämend nimmt sich dagegen so manche musikalisch mittelmäßige Aufführung an sogenannten großen Häusern aus, die sich gegenwärtig zu den führenden Wagner-Theatern zählen.

 

Hans Swarowsky schließlich, der Doyen unter den Pult-Altmeistern, Lehrer und Erzieher so prominenter Dirigiergrößen wie Claudio Abbado oder Zubin Mehta, aber auch weniger populärer, gleichwohl vorzüglicher Dirigenten wie Ralf Weikert etwa oder Günter Neuhold, dokumentiert mit seiner in Nürnberg aufgenommenen Tetralogie nichts weniger als die Krise heutigen Wagner-Gesangsstils anhand seines Füllhorns vorzüglicher Wagnersänger, wie sie in den Sechzigerjahren offensichtlich noch so reichlich existierten.

 

 

Dass Swarowski es vermochte, in weniger als vier Wochen (!) das kühne Projekt einer "Ring"-Gesamtaufnahme zu einem glücklichen Ende zu bringen, ist schlicht erstaunlich, zumal durch den Einmarsch der sowjetischen Truppen in die HCSSR ihm viele Musiker seines "Ring"-Orchesters (Tschechische Philharmonie und Orchester des Prager Nationaltheaters) davonliefen. Ortsansässige Nürnberger Orchestermitglieder halfen aus. Swarowskis eben deshalb nur als "Großes Symphonieorchester" deklariertes Orchester darf sich dennoch mit den besten "Ring"-Orchestern messen lassen in Klang, Spielkultur und technischer Brillanz. Schade nur, dass die Aufnahmetechnik (auf dem Stand veralteter Zweispurverfahren) und die damalige Neigung, die Stimmen in den Vordergrund zu holen und das Orchester gelegentlich in den Hintergrund zu verbannen, die grandiose Leistung Swarowskis etwas verschleiert. Dennoch: schon die Fülle altbewährter Wagner-"Recken" und -"Heroinen", junger Talente und selbstverständlicher Wagnersänger, wie sie damals jedes größere Opernhaus hatte, verblüfft, ja weckt nostalgische Gefühle, begeistert.


Allen voran die Brünnhilde der Tschechin Nadezda Kniplova (Karajan hatte sie 1967 für Salzburg entdeckt) mit phänomenaler Durchschlagskraft, wie sie vielleicht nur Birgit Nilsson noch übertraf! Eine wirkliche Hochdramatische, wie es sie heute nicht mehr gibt. Der sehr präsente, majestätische Wiener Wotan von Rolf Polke (langjähriger erster Heldenbariton der Grazer Oper) war Hans Hotter zum damaligen Zeitpunkt bereits an klarer Diktion überlegen. Otto von Rohrs dämonischer Hagen ist einer der schwärzesten Bässe auf CD. Und selbst der (damals) junge, amerikanische Tenor Gerald McKee (der seinerzeit als Heldentenor in Regensburg, Frankfurt und Kassel von sich reden machte), braucht als Siegfried (und Siegmund) keinen Vergleich mit dem heute wohl meistbeschäftigten Rollenkollegen Siegfried Jerusalems zu scheuen. An stimmlicher Intaktheit und gesanglicher Ausdruckskraft ist er ihm überlegen. Auch Rolf Kühnes Alberich hat Festspielqualität. Und wer nicht weiß, dass Ruth Hesse tatsächlich einmal eine herausragende, eine schöne, große Stimme hatte, höre sich ihre Fricka und Waltraute an! Die Liste der erwähnenswerten Mitwirkenden ist lang, auch die kleineren Partien sind in dieser Aufnahme hervorragend besetzt.


Dass Swarowski die Sänger gleichsam auf Kothurnen singen lässt, sie gewissermaßen auf akustische Piedestale hebt, rechtfertigt - auf Schallplatte jedenfalls - das (wagnergemäße) Bemühen um Textverständlichkeit des Dramas. Schade, dass ausgerechnet seine stimmlich exorbitante Brünnhilde dieser Intention nicht in dem Maße entspricht, wie der Rest des Ensembles.


Bei allem dirigentischen Hang zum Exzessiven, der Eigenwilligkeit seiner Tempokontraste: die Intelligenz und grossbögige Weitsicht seiner außerordentlich dramatischen "Ring"-Deutung, die zwischen analytisch-scharfer Attacke und spätromantischer Verklärung vermittelt, fasziniert. Wie er Strukturen der Partitur herausmodelliert, die Leitmotiv-Beziehungen plastisch hörbar werden lässt, ohne die unter der Oberfläche verborgenen Kostbarkeiten der "Ring"-Partitur zu vernachlässigen, nimmt weitaus mehr für ihn ein als für die aufnahmetechnisch "natürlichere" Aufnahme Neuholds, die sich dagegen interpretatorisch bieder und brav gibt. Der raffinierte Sinn seines Lehrers Swarowski sowohl für den theatralischen Gestus als auch den Klangzauber der Wagnerschen "Ring"-Musik ist dem sachlichen Günter Neuhold fremd. Er befleißigt sich bei weit ausgewogenerer Balance der Gesangsstimmen und des Orchesters einer eher fließend langsamen und nüchtern-ruhig angelegten epischen Lesart der Nibelungentetralogie, konzeptionell das genaue Gegenteil vom dramatischen Swarowski. Zwischen diesen beiden Polen der "Ring"-Interpretation mag man nach eigenem Gusto und Wagnerverständnis wählen, die beeindruckenderen Stimmen hat zweifelsfrei Swarowski aufgefahren.


So wie Neuholds sachlicher Karlsruher "Ring" manchen "Großproduktionen" etablierter Wagner-Bühnen ein Schnippchen schlägt und einige dirigentische wie sängerische Verkaufsgenies des Wagnergeschäfts als Schaumschläger und Scharlatane entlarvt, liefert Swarowskis ekstatisch-heroische Nürnberger Interpretation der Tetralogie ein spätes, aber keineswegs verspätetes Dokument großen Wagnergesangs und -Dirigats alter Schule nach, und damit die passende Ergänzung zu Neuhold. Man wird sehnsüchtig nach den guten alten Zeiten großen Wagnergesangs. Und ärgert sich über die Selbstherrlichkeit weitverbreiteten Mittelmaßes in den sogenannten Wagner-Metropolen. Ganz zu schweigen von Bayreuth, das ja schon längst nicht mehr Modell und Maßstab der Wagnerinterpretation ist.Vielleicht sind diese beiden (preiswerten) "Ringe zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt gekommen. Sie lassen staunen und sie verwundern, sie relativieren und machen nachdenklich. 


(Abgedruckt in „Opernwelt“ Mai 1996)