Frankenstein UA Kampnagel Fabrik Hamburg

Photos: Philipp Stölz -  Hamburgische Staatsoper


Mitleid statt Furcht: Ein tönendes Stationendrama 

„Frankenstein“-Uraufführung der Hamburgischen Staatsoper in der Kampnagelfabrik



Die Kreatur Frankenstein, sie wurde erschaffen aus dem Nichts. Sie ist hässlich und liebes-bedürftig, einzigartig,  fremd, zurückgewiesen und einsam, verletzt, wütend. Schließlich mordet sie, um den eignen Schmerz jemanden spüren zu lassen. – Eine 19-Jährige erfindet 1818 in den Ferien am Genfer See eine monströse Kreatur und ihren Schöpfer: Frankenstein, einen jungen Wissenschaftler, der, getrieben von Wissensdrang ein menschliches Wesen er-schafft, das ihn und sich in den Tod treiben wird. Monster und Macher kreisen in einer absur-den Jagd um die halbe Welt stets um sich selbst. Mary Shelleys Roman ist politisches State-ment, Zukunftsvision, Schau-ergeschichte und Roadmovie zugleich. Zum 200-jährigen Jubi-läum des Grusel-Klassikers erzählen ihn der Berliner Film- und Opernregisseur Philipp Stölzl und der Hamburger Komponist Jan Dvorak als „Gothic Opera“ zwischen Naturklängen, Schauer-Effekten und schwarzer Neoromantik. Ein Uraufführungsauftrag der Hamburgischen Staatsoper. Am 20. 05. 2018 war in der Hamburger Kampnagel Fabrik Premiere.




Die meisten Frankenstein-Bearbeitungen, vor allem die Verfilmungen weichen zum Teil sehr stark von der Romanvorlage Mary Shelleys ab. Vor diesem Hintergrund ist diese Oper, es ist die erste Frankensteinoper, wirklich eine Ausnahme, weil sie die Romanvorlage ernst nimmt,  auf das Wesentliche verdichtet, und der Handlung und der Aussage des Romans treu bleibt. Sie bringt, mehr als die üblichen Frankensteinversionen gerade die moralische Intention Mary Shelleys, und zwar aus der Perspektive des Monsters zum Ausdruck. Es denkt und redet sehr viel in dieser Version. Das Stück ist im Grunde eine Gelehrtentragödie mit philosophischen Fragestellungen, aber eben auch das grausame Entwicklungs- oder Stationendrama eines Aus-senseiters, und nicht in erster Linie ein Gruselstück. -


Da wird einerseits die Grenzüberschreitung eines Wissenschaftlers, Viktor Frankensteins vor-geführt, der den Schlüssel zum Leben gefunden, und sich damit am Leben und den Menschen versündigt hat. Ein sehr aktuelles Thema. Andererseits wird das Schicksal eines Outcasts ge-zeigt, eines ausgestoßenen, hässlichen, einsamen Monsters. So, wie im Roman Frankenstein im Zentrum steht, ein verantwortungsloser  tragischer Held, in dessen Tragik die Tragik un-serer Zivilisation liegt, wird in dieser Version von Jan Dvorak das mitleiderregende Schicksal des Monsters zum Mittelpunkt des Stücks. Es ist bewegend, wie diese  Kreatur ihre Seele, ihr Herz und ihre Sehnsucht nach Liebe zum Ausdruck bringt. Und wie sie begründet, warum sie böse geworden ist: weil die Menschen sie böse gemacht haben.


Philipp Stölzl für die 17 verschiedenen Handlungsorte der vieraktigen Oper, Wald, Labor,  Schlafzimmer, Friedhof, Forschungsschiff,  Schneefeld usw. ... eine Simultanbühne ent-wor-fen, gemeinsam mut Heike Vollmer. Es sind Entwicklungspunkte des Außenseiters in einem Stationendrama. Die Spielfläche ist eine hügelige Sandlandschaft in einem großen Käfig, um den herum die Zuschauertribünen platziert sind. Assoziationen an  Raubtierkäfig und Gefäng-nis stellen sich ein. Das hat etwas Klaustrophobisches, Beklemmendes, Beängstigendes und gibt der Aufführung eine ungemeine Dringlichkeit. Philipp Stölzl gelingt es, dem Abend, obwohl er lang wird, mehr als drei Stunden dauert die Aufführung, eine große Dichte und Spannung zu verleihen. Mit wenigen Requisiten: Baumstämmen, Felsen, Tüchern, krie-chendem Nebel und Licht zaubert er Atmosphäre schafft theaterrealistische Illusion, die einen gefangen nimmt. Und dann gibt es noch sehr schön gearbeitete historische Kostüme von Kathie Maurer aus der Zeit von Mary Shelley.


Vor allem aber hat Marius Kob für Philipp Stölzl eine beeindrucke überlebensgrosse Monster-puppe gebaut, die von den gängigen - vor allem natürlich durch Boris Karlovs Filmer-scheinung  geprägten - Gruselgestalten abweicht. Es ist eher eine barocke Todesallegorie, ein halbverwester Leichnam, ein nur knapp verhüllter riesiger Knochenmann, mit stattlich baumelndem Geschlechtsteil,  ein überdimensioniertes „Tödtlein“, das aber auch etwas von einem halbfertigen Roboter hat. Dadurch,  dass dieses Monster eine Puppe ist, die künstlich belebt wird, indem sie von drei Puppenspielern bewegt wird, wird die Künstlichkeit und Fragilität dieser Schöpfung umso anschaulicher. Noch nie hat man ein so mitleiderregendes Frankenstein-Monster erlebt.


Jan Dvorak ist ein Komponist, dessen musikalische Sprache Unterschiedliches  miteinander verbindet: Neue Musik, Klassik, Pop, Filmmusik, Naturklänge…  Die Musik seiner „ersten richtigen Oper“, wie er das Stück bezeichnet, ist eine sehr suggestive, gestische, theatralusche, sehr emotionale, vor allem sehr filmhafte Musik. Sie geht von der Musikalität der Sprache aus. Dvorak verwendet einen großen Orchesterapparat. Neben klassischem Orchester gibt es eine E-Gitarre, ein Hammerklavier, Schlagwerk, Glocken, Celesta, Synthesizer und Geräu-schemacher.  Diem Oper verzeichnet drei sängerische Hauptrollen, drei Nebenrollen und Chorsolisten. Das Geschöpf Victor Frankensteins, es heißt in dieser Oper "Monster", ist eine Sprechrolle, was seinen Außenseiterstatus unterstreicht. Der Gesangsstil der Sänger dieses Werks ist überwiegend Parlando. Arien und Lieder sind die Ausnahme. Sprechgesang herrscht vor. Es gibt eindrucksvolle orchestrale Zwischenspiele, Landschaftsmalereien, feine Stim-mungsmalereien, aber auch martialische, laute Momente. Dvorak bedient sich ungeniert ver-schiedenster Musikstile der Vergangenheit. Neue Musik ist das nicht. Aber es gilt ja längst für viele zeitgenössische Komponisten das Motto: Erlaubt ist, was gefällt. Ich hatte den Eindruck, dem Hamburger Premierenpublikum gefiel diese Musik sehr.


Alles in allem ist das eine sehr beeindruckende Musiktheaterproduktion, schon weil sie großes Theater ist,  grandioses  Puppentheater auch, und weil das populäre Thema Frankenstein, ganz nah an der  Romanvorlage,  ohne Kitsch, ohne Klischees und falsche Gruselromantik ernst ge-nommen wird als Prometheus-Thema  mit einer höchst aktuellen Fragestellung: Wie weit darf die Wissenschaft gehen und in die Natur eingreifen.


Die Produktion ist aber auch musikalisch sehr überzeugend. Dirigent Johannes Harneit gelingt es, den großen Apparat souverän zusammenzuhalten und die Musik Dvoraks geradezu süffig zum Klingen zu bringen. Das Gesangsensemble ist durchweg vorzüglich. Nicht nur Viktor Rud als Victor Frankenstein überzeugt. Die virtuos krächzende, flüsternde und schreiende  Schauspielerin Catrin Striebeck verleiht dem Monster eine anrührend künstliche, aber auch kindliche Stimme. Geradezu hinreissend finde ich, wie dieses Monster sprechen lernt in dieser Frankensteinversion! Ein besonderes Kompliment muss man den drei stummen Puppen-spielern machen, die diesem Monstrum zum Leben verhelfen. Ein großer, außergewöhnlicher Abend, grandioses Frankenstein-Puppenspiel, weniger echte Oper als Melodram, aber im filmmusikalischen Hochformat.


Rezension auch in DLF Kultur, Fazit am 20.05.2018