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Photo: Birgit Gufler
Sternstunde des friederizianischen Opern-Barocks
Die gelungene Reanimierung einer Königlichen Antidiktatoren-Oper
Friedrichs II. und seines Hofkomponisten C. H. Graun in Innsbruck
Bei den Festwochen Alter Musik in Innsbruck hat man die dreiaktige Oper „Silla“ von Carl Heinrich Graun, dem Hofkomponisten Friedrichs des Großen, König von Preußen, ausgegraben. Die Oper erlebte 1753 ihre Uraufführung an der Königlichen Hofoper in Berlin. Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurde sie nicht mehr aufgeführt.
Georg Quander, der ehemalige Intendant der Staatsoper Unter den Linden - jetziger Intendant der Rheinsberger Schlossfestspiele - inszeniert das Stück. Der Innsbrucker Festwochen-Intendant Alessandro De Marchi leitet aus dem Graben das Innsbrucker Festwochenorchester leiten. Das Ganze ist eine Koproduktion mit den Osterfestspielen Schloss Rheinsberg. Dort wird die Produktion im kommenden Jahr gezeigt werden. In Innsbruck hatte sie im Tiroler Landestheater, - erstmals seit knapp 240 - Premiere am 5. 8. 2022 Premiere
Es geht in dieser Oper um den römischen Diktator Sulla (Silla), der durch die blutige Niederschlagung des römischen Bürgerkriegs mit seinem Terrorregime, vor allem aber durch seinen anschließenden freiwilligen Machtverzicht Berühmtheit erlangte. Es ist die Liebe zu Ottavia, die ihn zum Rücktritt treibt, weil er einsieht, dass er seine Macht tyrannisch missbraucht hat. Eine schöne Utopie. In der Wirklichkeit sind Diktatoren nicht so. Das wusste auch Friedrich der Große, der Librettist der Oper. Die antike Figur des Silla diente ihm daher als Paradigma eines Herrschers. Der gute Diktator! Nichts als Hofpropaganda, eine idealisierte Selbstdarstellung Friedrichs.
Viele Komponisten haben den Lucio Silla-Stoff im 18. Jahrhundert vertont, nicht zuletzt auch der junge Wolfgang Amadeus Mozart. Graun, der von Dresden über Rheinsberg an die Hofkapelle Friedrichs des Großen kam, wo er zeitlebens der favorisierte Komponist des Königs wurde, ein Opernstar gewissermaßen, der neben Johann Adolf Hasse das damalige Opernleben Berlin bestimmte, hat ein umfangreiches Œuvre hinterlassen. Allein 32 Opern.
Im Graun-Werkverzeichnis werden Carl Heinrich Graun 152 Kompositionen zugerechnet, darunter 32 Opern, 52 weltliche Kantaten, viele weltliche Lieder, 4 Passionen und Kammermusik. Mit seiner Oper Cesare e Cleopatra wurde übrigens die neuerbaute Königliche Hofoper Unter den Linden am 7. Dezember 1742 eröffnet.
Graun hat gemeinsam mit dem Dresdner Kapellmeister Johann Adolf Hasse die italienische Oper des Alessandro Scarlatti zu ihrem Höhepunkt geführt. Grauns “Silla”, die 28te seiner Opern, ist eine perfekte barocke Opera Seria mit ausladenden Da capo-Arien vor allem für die damaligen Kastraten, die Stars der Oper, aber es ist auch ein Paradestück des preußisch-königlichen Geschmacks, der weniger das Exzessive, als das Elegische und Empfindsame liebte. Das gesamte Panorama der barocken Affekte (Angst, Liebe, Rache, Verzweiflung, Kampfesmut, aber auch Verzeihen und Einsicht) wird bedient. Es ist ein höfisches Berliner Repräsentationsstück, die klingende Visitenkarte eines aufgeklärten Monarchen, ein Meisterstück prachtvoller preußischer Hofoper, mit allem, was sie auszeichnet, vielleicht der Höhepunkt des Schaffens Grauns.
Zwei der weltweit besten und gefragtesten Countertenöre unserer Tage, Bejun Mehta und Valer Sabadus stehen auf der Bühne, neben so namhaften Sängern wie Hagen Mastzeit, Eleonora Bellocci, Roberta Invernizzi, Samuel Mariño und Mert Süngü, ein Großaufgebot an erstklassigen Barocksängern. Alle sind Spezialisten Alter Musik, die Crème de la Crème des Barockgesangs. Alles Meister des virtuosen, barocken Ziergesangs, an Stilsicherheit, Ausdruck und Emotionalität ein vokales Feuerwerk, das von Alessandro de Marchi am Pult des Innsbrucker Festwochenorchesters, das natürlich historisch informiert spielt, so einfühlsam wie feurig abgebrannt wird.
Regisseur Georg Quander hat schon in seiner Berliner Zeit mit „Montezuma“ und „Cleopatra e Cesare“ zwei Graunopern auf die Bühne verholfen. Da ging es vor allem um Krieg und Liebe. Das Diktatorenstück „Silla“, übrigens seine 5. Koproduktion mit den Festwochen Alter Musik in Innsbruck, versteht er gewissermaßen als theatralische Umsetzung von Friedrichs aufgeklärter Schrift „Antimachiavell“, die auch von Voltaire inspiriert wurde, den Friedrich sehr verehrte. Quander hat der Versuchung widerstanden, das Stück zu aktualisieren, was sich ja anböte angesichts gegenwärtiger politischer Konflikt mit Diktatoren. Stattdessen spiegelt er Friedrich in Silla und inszeniert die Oper als Traum Friedrichs vom ersten (diktatorischen) Diener seines Staats, der sich zurückzieht und die ihm verliehene Gewalt in die Hände von Senat und Volk zurückgibt. Bühnen - und Kostümbildnerin Julia Dietrich hat ihm dazu eine zwischen Realismus und Illusionismus vermittelnde Kulissenbühne gebaut, die einen Spagat wagt wischen altrömischer und barocker Architektur, Preußentum und Antike, Potsdam und Pompeji, Sanssouci und dem Kapitol gewissermaßen.
Man darf von einer sehr theatralischen, prachtvoll konventionellen Oper als gelungener Ausstattungsshow sprechen, die den quasi historisch kostümierten Sängern beste Auftrittsmöglichkeiten bot und die das Publikum zu Jubelstürmen animierte.
Beiträge in DLF Fazit 5.8.2022 & Orpheus