John Dews Parsifal in Chemnitz Nachruf

Photo: Barbara Aumüller


Neuerliche Gedanken zu Richard Wagners „Parsifal“ im Theater Chemnitz

"Denken statt Beten": Ein blasphemisch-ironisches Bühnenweihfestspiel von John Dew



Zu Karfreitag 2018 gab es am Theater Chemnitz wieder eine Reprise des Wagner-schen Bühnenweihfestspiels „Parsifal“ in der 2013 aus dem Staatstheater Darmstadt als Koproduktion übernommenen Inszenierung von John Dew. Ich habe die Premie-re damals im MDR rezensiert. Doch auch ein neuerlicher Besuch einer  Wiederauf-nahme hat mich begeistert.


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John Dew ist einer der Regisseure, die nicht gerade dafür bekannt sind, dass sie "werktreu" inszenieren, eher doch gegen den Strich, frech und unkonventionell. Ist er diesem Ruf auch bei Wagners "Weltabschiedswerk" gerecht geworden? Ja und nein, denn einerseits hat er - was wirklich ungewöhnlich für ihn ist - Wagners Büh-nenweihfestspiel wie ein solches zelebriert, mit weihevollen Tableaus von fast "oberammergauerhaftem" Zuschnitt, statuarisch in der Personenführung und mit zum Teil pedantischer Befolgung von Wagners Regieanweisungen, etwa beim Schwanentod im ersten oder bei Kundrys  Fußwarschung Parsifals im dritten Akt. Es gibt viel Weihrauch schon in der ersten Verwandlungsszene. Da ziehen Minis-tranten - ähnlich wie am Karfreitag in der Kathedrale von Santiago de Compostela - ein gigantisches Weihrauchfass an einem Seil hoch und lassen es durch den ganzen Raum hin und her schwingen. Andererseits hat John Dew aber auch sehr viel nach-gedacht über Wagners Weltabschiedswerk und das zeigt er auch.


Dew hat über die vordergründige Handlung eine Schicht kritischer Auseinander-setzung mit dem Stück, seiner Bedeutung, auch seiner Entstehungsgeschichte ge-legt. Eine Inszenierung mit These und Antithese. Also eins zu eins sieht man das Stück dann doch nicht.


Den Zuschauer erwartet auf der Bühne eine Sakralshow von suggestiver  Bildkraft, von atmosphärischen Lichtstimmungen und von einem beinahe verliebten Spiel mit religiösen Riten und Symbolen. Teatrum sacrum von „faulem Zauber“. Im ersten Akt wohnt man einer Art  Religionsunterricht im Kloster bei, wo Ministranten auf einer Schultafel die die christliche Symbolik des Werks erklärt bekommen, von Pa-ter Gurnemanz in schwarzer Soutane. Und das hinter einer Chorschranke, auf der die Namen der vier Kirchenlehrer zu lesen sind: Augustinus, Hieronymus, Grego-rius und Ambrosius. In der Gralsszene senkt sich dann vom Bühnenhimmel ein gigantisches Kruzifix auf die Bühne herab und schwebt über einem Kreis aus glä-sernen Speeren, die magisch aufleuchten. Pikantes Detail: Titurels Sarg sieht aus wie die Bundeslade. Der zweite Akt veranschaulicht gewissermaßen die Religionskritik.

Auf der Chorschranke liest man dann vier Namen religionskritischer Philosophen der Neuzeit: Spinoza, Voltaire, Marx, der die Religion als Opium des Volkes bezeichnete, und Nietzsche, der Gott für tot erklärte und den wunderbaren Apho-rismus in die Weltsetzte: "Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken. Er starb zwar nicht daran, aber er entartete zum Laster." Das eben zeigt John Dew eigentlich im zweiten Akt, der auf einem aufgeschlagenen Buch spielt. Die Männerverführerin Kundry entsteigt diesem Nietzsche-Schmöker unter einem riesigen Kreuz, um das sich nun die Satansschlange mit aufgerissenem Maul windet. Und Professor Nietz-sche persönlich tritt als Zauberer Klingsor auf. So fromm der erste Akt, so blasphe-misch ist der zweite, an dessen Ende das gewaltige Kruzifix, das über der Bühne schwebt, desillusionierend gekippt und als hohle Kulisse entlarvt wird. 


Obwohl zwiespältig, ja widersprüchlich, überzeugt diese Inszenierung, denn John Dew veranschaulicht in ihr ganz ungeniert seine Hassliebe zum Christentum, zu christlichen Traditionen und Symbolen. Mit ins Auge springenden, gelegentlich auch augenzwinkernden Anleihen aus der Inszenierungsgeschichte, von der Ur-aufführung über Wieland Wagner bis zu Harry Kupfer. John Dew spielt mit der Parsifal-Aufführungstradition wie mit kirchlichem Ritus. Er liebäugelt mit Kirche als Himmelstheater, macht aber doch eher ein pseudo-religiöses, ein ironisches  Kirchweihfestspiel daraus. Dew zeigt den Parsifal als kritisch gebrochenen, melan-cholisch-religiösen wie fragwürdigen Erlösungs-Traum. Statt Erlösung senkt sich am Ende ein Schleier über die Bühne, auf der man Wagner Ausspruch liest: "Wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten". Man soll denken in dieser Inszenierung für Fortgeschrittene (Wagnerkenner) , so Dew, und nicht beten! Das ist das Motto der von Marcelo Buscaino reanimier-ten Inszenierung Dews (Bühne Heinz Balthes, Kostüme José Manuel Vázquez). Es ist zweifellos eine der intelligentesten und sinnlich-sinnigsten Parsifal-Inszenierung, die derzeit auf den Opernbühnen zu sehen ist.


Musikalisch war die neuerliche Aufführung bei Guillermo García Calvo, dem neuen GMD in Chemnitz, in besten Händen. Dramatisch, sinnlich, rasant und doch klug disponiert und sensibel sein Dirigat. Klangopulent die Robert-Schumann-Philhar-monie. Der erste Akt dauerte nur 1 Stunde 30 Minuten! Mit Thomas Mohr hat man den gegenwärtig vielleicht am natürlichsten und am wortverständlichsten singenden Wagnertenor engagiert. Katherina Hebelkovas Debüt als Kundry war superb! Michael Bachtadzes Amfortas hat großes Format  Hervorragend auch Martin Bártas balsamischer Klingsor.  Man hängt ihm an den Lippen. Aber auch alle übrigen Solisten, samt exquisit besetzten Blumenmädchen und die Chöre der Oper Chem-nitz ließen nichts zu wünschen übrig. Ein großer Abend. Karfreitagszauber eben.