Tristan in Mannheim 2021

Photo: Nationaltheater Mannheim / Christian Kleiner


TRISTAN UND ISOLDE

Nationaltheater Mannheim, Premiere 14.11.2021

 

Orchestraler Zauber, "Wagnerische Liebesbrüllerei" und Tod in der Pfütze 

 

Eines der grössten Missverständnisse, um nicht zu sagen Probleme aller heutigen Wagneraufführungen ist die sängerische Besetzung. Wagners Ideal war so etwas wie ein “vaterländischer Belcanto”, nichts desto trotz herrscht heute weithin “Wagnerische Liebesbrüllerei” (Hugo von Hofmannsthal) vor. Auch beim neusten Mannheimer “Tristan” durfte man sich davon wieder einmal überzeugen. Sowohl Frank van Aken (Tristan)  als auch Allison Oakes (Isolde) schrien und stemmten sich stimmlich unschön durch die gewiss anspruchsvollen Partien. Von Belcanto oder zumindest Legatogesang keine Spur. Julia Faylenbogen (Brangäne) hat zumindest die  Warngesänge im zweiten Akt überzeugend vorgetragen. Lediglich der junge Bassist Patrick Zielke hat als König Marke “gesungen”: wortverständlich, klug phrasiert, differenziert gestaltet, gesanglich kultiviert und daher anrührend. Er war der stimmliche Lichtblick der Aufführung und der Einzige, der dem sensationellen “Tristan”-Debüt des Dirigenten Alexander Soddy gerecht wurde. Der hat in nicht zu erwartender Intensität, Präzision und Klangsinnlichkeit eine “Tristan”-Musik vorgeführt, die Wagners Behauptung beglaubigte, diese Musik müsste den Zuhörer verrückt machen. Die “Geburt des Dramas aus dem Geiste der Musik” wurde Ereignis unter seiner Stabführung: Eine dramatische, kraftvolle, sinnliche wie transparente und luzide Lesart des “Opus metaphysicum“ (Friedrich Nietzsche), die überwältigte. Was man von der immer an der Grenze zum Kitsch rangierenden Inszenierung der jungen Hamburger Regisseurin Luise Kautz nicht sagen kann. Sie hat in ziemlicher Unbeholfenheit der Personenführung eine Inszenierung hingelegt, die verärgerte ob ihrer Klischeehaftigkeit, biederen Konventionalität und Geschmacklosigkeit. Dabei war man beim Ansehen ihrer realistischen Bühnenbilder (Lani Tran-Duc) im Programmheft zunächst positiv voreingenommen. Endlich einmal keine Trash-Inszenierung!Doch was man dann auf der Bühne erlebte, machte Einen sprachlos. Im ersten Akt sah man ein zweistöckiges Schiffsskelett mit weißem Vorhang im Unterdeck, der sich auf Deck als Segelandeutung fortsetzte. Das Unterdeck war die mit Bett, Nachttisch (Getränkeschrein) und Tisch die ausstaffierte gutbürgerliche Schlaf- und Wohnstube Isoldes, es fehlte nur der Bottschamber. Die irische Königin trat hochgeschlossen, in weiss, wie Cosima  Wagner auf. Alle Kostüme waren dem Fin de siècle verpflichtet (Kostüme Hannah Barbara Bachmann). Der zweite Akt spielte unter dicht hängendem Laub in einem Garten mit asiatisch angehauchtem Eintrittstor, lauschigem Rastplatz mit orientalischen Kissen und gusseiserner Gartensitzecke, man trinkt Champagner, Isolde raucht, gibt sich mondän, nur Liebeszauber ereignet sich allem Gesinge zum Trotz nicht. Der dritte Akt spielt auf einem kleinen Moos- und Farnbewachsenen, reichlich umnebelten Hügel, der wie eine Insel aus Wasserpfützen herausragt und sich zu allem Überfluss permanent dreht. Kurwenal kocht am Lagerfeuer ein Süppchen. Tristan liegt unter Decken im Dreck (später kriecht auch Kurwenal ins Krankenlager seines “Helden”, der auf dem Felsen unbeholfen herumkrabbelt, während sein Herzensfreund sich zum Gotterbarmen in gefühligem Chargieren ergeht. Dabei ist er stimmlich (Thomas Berau) gar nicht so schlecht. Tristans Monologe stand Frank van Aaken zwar - raffiniert zurechtgelegt -  oft nur gesprochen, durch, nur glaubwürdig (tragisch) war das nicht, zumal er von der Regie mit seiner darstellerischen Hilflosigkeit allein gelassen wurde. Vor dem banalen Liebestod Isoldes in der Pfütze (auftreten durfte Isolde als verschleierte weiße Dame mit weißem Grabgebinde in Händen), mit schwimmenden Kerzen, Lichterketten-Illumination und buddhistisch anmutenden Ritualen spottete das Tohuwabohu des Mordens jeder Beschreibung. Man hatte den Eindruck, einer Schüleraufführung der Jagsthausener Burgfestspiele beizuwohnen. Und über Allem Videos von Simon Janssen mit dichtem Schneegestöber, Flügen durch Asteroidengürtel, Milchstraßenreisen voller auf den Zuschauer zurasender Sternmassen und phantastischen Schlieren-Verschlingungen. Das Universum lässt grüßen. Eine Strapaze, diese Mise en Scène. Aber wenigstens war der Abend orchestral (fabelhaft in Spielkultur und Klangpracht das Orchester des Nationaltheaters Mannheim) und dirigentisch ein von Anfang bis Ende spannendes, ungehörte Details offenbarendes Musikdrama. Selten habe ich Wagners inkommensurables Werk in seiner musikalisch radikalen Romantik an der Schnittstelle zur Moderne so suggestiv, so rauschhaft erlebt.


Beitrag auch in "Das Orchester"