Fritzi Massary

Die beiden besten CD-Publikationen mit den Highlights der Massary

Fritzy Massary, das Zentralgestirn der Operette

Dem Vergessen entrissen von Carola Stern


Carola Stern: Die Sache, die man Liebe nennt. Das Leben der Fritzi Massary. Rowohlt. Berlin 1998, 378 S.

 

Viel ist über sie geschrieben, getrascht und geklatscht worden. Aber noch nie ist die Geschichte der Allerwelts-Soubrette aus Wien, die im Spree-Athen eine beispiellose Karriere als „Kaiserin“ der Operette machte, richtig erzählt worden. Auch bei Carola Stern weiß man nicht, was Fiktion, was Wahrheit ist, ebensoweig wie vor  ihr in den beiden einzigen Büchern über die Massary von Oscar Bie (1920) und Otto Scheidereit (1970). Es macht aber nichts, denn das Buch der Stern liest sich unterhaltsam, interessant und erhebt nicht den Anspruch, ein Werk historisch genauer Dokumentation zu sein. Vielmehr schreibt die Autorin schon im Vorwort - frei nach dem titelgebenden Motto aus einem Brief Ludwig Marcuses, in dem er der Massary das große Kompliment machte, sie sei das Zentralgestirn jener „Sache, die man Liebe nennt“ - ihr Buch sei die Verwirklichung eines Kindheitstraums: In „Fritzis Operettenwelt“ einzutauchen, den betörenden „exotischen Flitter-glanz und farbenprächtigen Kitsch“ ihres Lebens noch einmal aufleben, ihre „Welt noch einmal leuchten“ zu lassen.


Aus dem Buch ist zweifellos mehr geworden. Die Biographie der Fritzy Massary weitet sich zur Beschreibung einer Odyssee, die in galizischen Kleinstädten und böhmischen Dörfern ihren Anfang nimmt und durch ganz Europa bis nach Kalifornien führt. Ein Stück deutsche, europäi-sche (jüdische) Geschichte zeichnet Carola Stern in groben Zügen nach, denn das Leben der 1882 in Wien als Tochter eines Kaufmanns geborene Friederike Massarik alias Fritzy Massary, die 1904 nach Berlin kam, änderte sich 1932 schlagartig, als sie aus Furcht vor den Nazis Berlin verließ. In „Eine Frau, die weiß, was sie will“ trat sie zum letzten Mal in Berlin auf, das ihr damals zu Füßen lag. Die Operettenkönige Leo Fall, Emmerich Kálmán, Oscar Strauss und Franz Lehàr haben für sie geschrieben. 


Der ironische Zungenschlag ihrer Diktion, die Eleganz ihrer Gestaltung, die Frivolität ihres nuancenreichen Ausdrucks, das kokette Lachen ihrer modulationsfähigen, weit mehr als nur soubrettigen Operettenstimme, die frivolen Zwischentöne, zu denen sie in den Schüpfrigkeiten der Dialoge fähig war, machten sie, wie Konstanze Fladischer (in der ÖMZ) ausführt, zu einem neuen, einem modernen Frauentyp, der zwischen "grande cocotte" und "femme fatale" changierte.


"Erotisch anziehend und zugleich unnahbar, sexuell freizügig und doch moralisch unantastbar entlarvt Massary in ihren Frauenfigurn die bürgerliche Dopelmoral der damaligen Zeit." Alles Ordinäre und Billige, Drastische und Gemeine in der Darstellung war ihr fremd. Daher bestach sie nach Meinung von Kurt Tucholsky vor allem durch eine "Erotik hinter tausend Vorhängen".



Die Flucht der bereits 1917, als sie den Schauspieler Max Pallenberg heiratete, zum Protestantismus konvertierten Jüdin ins Exil bedeutete das Ende ihrer Karriere. Zwar spielte die Massary noch in Wien und versuchte sich erfolglos auch in London, doch dort war nicht ihr Publikum, sie sang nicht mehr ihre Sprache. Über die Schweiz und Frankreich emigrierte sie 1932 schließlich  in die USA. Ihr Ehemann Max Pallenberg kam 1934 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Seit 1939 lebte sie bei ihrer Tochter in Beverly Hills. Dort starb sie 1996. 


Carola Stern, die schon manche weibliche Biographie geschrieben hat, erzählt dieses abenteuerliche, glitzernde Leben zwischen schmierigem Wiener Carl-Theater, Danzers Orpheum, zahl-losen Provinztheatern, an denen auch der Ehemann Max Pallenberg zunächst tingelte und dem Berliner Metropoltheater, zwischen glücklichem Eheleben, eifersüchtig erduldeter männlicher Untreue und später Reife und Einsicht in die Relativität aller äußerlichen Dinge und vordergründigen Affekte wie einen Roman. Die Riege der im kalifornischen Emigrantenasyl deutscher Kulturschaffender Beschriebenen reicht von Thomas Mann und Bruno Frank über Max Reinhardt, Ludwig Marcuse, Leopold Jessner und Albert Bassermann, bis zu Franz Werfel und Lion Feuchtwanger. Man war - fast - unter sich. Aber Carola Stern verschweigt auch nicht die - für so viele Emigranten typische - hoffnungsvolle Erfolglosigkeit der Massary, in Hollywood eine zweite Karriere zu starten. Nicht einmal Ernst Lubitsch, Vertrauter und Freund aus den Zwanzi-gerjahren, konnte helfen.


In Hollywood hatte man keine Ahnung von Europa. Wer war Frity Massary? Heute, dreißig Jahre nach ihrem Tod, ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod, fast 90 Jahre nach dem abrupten Ende ihrer Berliner Karriere, ist sie auch hierzulande - wie viele vor den Nazis Geflohene - weithin vergessen, zumal es nicht eben viele, wenngleich eindrucksvolle Tondokumente von ihr gibt. Die Komische Oper Berlin erinnert immerhin mit einem kleinen Salon, einer Lounge an die vergleichslose, unnachahmliche Operretenkönigin des Hauses, in dem sie einst Triumphe feierte. Dass die heutige Komische Oper ausgerechnet Dagmar Manzel quasi zur Nachfolgerin der Massary erhob, kann angesichts der sängerischen Defizite der Schaupielerin und ihres gänzlich anderen Temperaments nicht anders als grotesk bezeichnet werden.


Die Massary dem Vergessen zu entreißen, ist das vorrangige - und geglückte- Anliegen Carola Sterns. Wer ihre lebendige, anschauliche, aber nicht sonderlich tiefschürfende Biographie gelesen hat, wird neugierig auf detailliertere, genauere Informationen aus der Vita der Massary. Diese muß man sich andernorts besorgen.


Verschiedene Print- und ARD-Publikationen 1998



Tip: Konstanze Fladischer: "Frtzi Massary und die 'Delikatesse des Schamlosen' ",

in: Österreichische Musik Zeitschrift ÖMZ 03 /2016