Idomeneo Rattle

 Photo: Bernd Uhlig

 

Old fashioned: "Idomeneo" unter Sir Simon Rattle

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, März 2023


In der Hauptstadt Berlin, einer Hochburg des Euro-Trashs Regisseurstheaters, hat der schottische Regisseur David McVicar eine Oper inszeniert wie in Opas Oper. Er hat das auf der Insel Kreta zur Zeit des trojanischen Krieges spielende Stück in der Antike belassen. Schon die von Gabrielle Dalton entworfenen archaischen Gewänder lassen keinen Zweifel. Er erzählt brav und geradlinig – bei minimaler Personenführung - die Geschichte Idomeneos, des Königs von Kreta, der in Seenot gerät, Neptun aber dadurch zu besänftigen versteht, dass er verspricht, ihm den ersten Menschen opfern, den er am Strand trifft. Es wird sein eigner Sohn Idamante sein. Nach drei Akten aber gibt es dann doch ein lieto fine, siegt dann doch die Liebe: die von Idamante zu seinem Vater wie auch die zur trojanischen Prinzessin Ilia. Der Konflikt um das Menschenopfer ist indes auch ein Stück über die Verantwortung des Menschen über sich selbst. Die arg konventionelle, in altbackenen Operngesten und -Gängern sich ergehende Inszenierung vernachlässigt diese Metaebene großzügig.


Vicki Mortimer hat McVicar das Bühnenbild bebaut. Symbolträchtig dekorativ hängt über der Szene ein großer Totenkopf mit verbundenem Mund.  Man setzt auf Atmosphäre durch reichlich Bühnennebel, Fackeln, auch Anleihen beim No-Theater, szenische Variationen mit sparsamen Requisiten und – zugegeben - eindrucksvolle Beleuchtungswechsel, auf Kriegeraufmärsche, Tableaus und Tanzeinlagen (Choreographie Colm Seery) zu den Zwischenspielen und Balletten. Doch das alles ist reichlich old fashioned und alles andere als aufregend.


Sängerisch war der Abend ausgezeichnet: Andrew Staples lieferte in der Titelrolle souverän seine Koloraturen ab, sang mit sicherem Stilgefühl, blieb aber ein blasser König. Olga Peretyatko singt virtuos ihre Rachearien. Sie ist eine glut- und ausdrucksvolle Elettra, Rattle-Gattin Magdalena Koženà, die die Hosenrolle des Idamante sang, ließ keinen Wunsch offen und Anna Prohaska demonstrierte als Ilia makellosen Schöngesang. Der Staatsopernchor ließ indes zu wünschen übrig und was Sir Simon mit Mozarts nun wirklich aufregend aufgewühlter Idomeneo-Musik anstellte, das war das eigentlich Enttäuschende des Abends. Rattle hat nichts von dem Aufrührerisch Neuen und Unerhörten dieser Musik anklingen lassen, im Gegenteil: er hat einen verschnarchten Mozart der altbackenen Langeweile dirigiert, hat Mozart den Zopf, den ihm Andere abgeschnitten haben, wieder dran geklebt. 


Fazit: Ein vertaner Abend, trotz der beachtlichen Sängerleistungen. Selten hat man einen langweiligeren "Idomeneo" gesehen und gehört. Und was hat man für großartige, starke Produktionen erlebt in den vergangenen Jahrzehnten! Rattle dirigiert, als hätte es die historisch informierte Aufführungspraxis nie gegeben. In lähmender Langsamkeit und Breite. Zelebriert er diese Musik mit größter Hingabe, gewiss, aber ohne Drive. Die Staatskapelle Berlin folgt ihm brav und präzise.  Indes die Aufführungsdauer erstreckt sich auf fast vier Stunden.