Verdis Otello in Leipzig

Foto: Ida Zenna / Oper Leipzig


Wieder mal ein klischeehaftes "Frauenemanzipationsstück" -
Verdis "Otello“ an der Oper Leipzig


Gestern, am 17. 12. 2022 hatte an der Oper Leipzig Giuseppe Verdis vorletzte Oper „Otello“ Premiere. Christoph Gedschold hat die musikalische Leitung.  Er ist der neue Musikdirektor an der Oper Leipzig im Leitungsteam des neuen Intendanten Tobias Wolff. Die Inszenierung hat die aus Brabant stammende, international tätige Regisseurin  Monique Wagemakers.

Das hochdramatische, tragische Stück über Liebe, Eifersucht, Intrige und zwefachen Tod – frei nach Shakespeare – ist in Leipzig in halbes Jahrhundert Jahre nicht mehr auf die Bühne gekommen. 1971 gab die letzte Inszenierung des Stücks (R: Günther Lohse, ML Rolf Reuter), allerdings in deutschsprachiger Fassung. Zum ersten Mal spielt man es jetzt in Leipzig auf Italienisch. Ein gutes Vorzeichen? Was darf man erwarten von der neuen Intendanz unter Tobias Wolf, der seit 1. August im Amt ist?


Bisher hat er nicht viel von seinem künftigen Repertoire verraten. Nur soviel: volle Vorstellungen erreiche man vor allem mit Kompositionen aus dem 19. Jahrhundert. Das müsse nicht unbedingt Wagner sein. Im Gegenteil: Den Wagner-Hype (den es unter seinem Vorgänger gab) werde er zurückfahren. Lortzing sei viel wichtiger.  Überhaupt soll die deutsche Spieloper wieder mehr in den Focus rücken. Natürlich werde er auch nicht auf Uraufführungen, und auch nicht auf Operette verzichten. Heutige Krisen und aktuelle Themen sind ihm aber nicht nur in der Operette, sondern auch in der Oper wichtig. Es sind Jugendprojekte geplant. Aber wo nicht?

Am dezidiertesten hat er sich geäußert zum Thema Digitalisierung, vor allem im Bereich Marketing und Verwaltung kümmern. Um neue Netzwerke will er sich kümmern. Auch Nachhaltigkeit soll eine wichtige Rolle spielen (von der die veganen Frikadelle in der Kantine bis zu den Kulissen-Bauten und -Transporten).


Nun ist das Stück von einer Frau in Szene gesetzt, von Monique Wagemakers, die ihr Debüt an der Leipziger Oper gibt. Ihre Inszenierung beginnt – ungewöhnlich für eine Oper - mit einer Textrezitation, der Rezitation von Sätzen aus Christine Brückners „Wenn Du geredet hättest Desdemona“ Im Mittelpunkt von Verdis Oper steht für die Regisseurin nicht die Männerwelt mit Macht, Krieg und Heldentum, sondern Desdemona, die Geliebte des schwarzen Titelhelden und Mordopfer seiner unbegründeten, durch Jagos Intrige geschürten Eifersucht. Es geht Monique Wagemakers um die Stellung der Frau. Desdemona ist das Objekt der Begierde und der Bewunderung, sie ist Madonna und Hure zugleich. Wagemakers macht aus der Oper ein klischeehaftes Frauenstück. Es geht ihr um weibliche Sexualität, um die Rolle der Frau in der der patriarchalischen Gesellschaft, um Gewalt gegen Frauen usw. Der Ansatz ist nicht neu und originell. Er ist - mit Verlaub gesagt - etwas banal und plakativ. Am Ende stirbt Otello an einem Herzinfarkt noch bevor er sich erdolchen kann und die tote Desdemona steht plötzlich auf und geht erhobenen Hauptes, ohne einen Blick auf Otello zu werfen, von der Bühne. Sie hat erst Mal genug von den Mannsbildern.


Ein aufgesetzter Schluss, ein fades konzeptionelles Lippenbekenntnis, so wenig überzeugend wie Bühnenbild und Personenregie. Im Programmheft erklärt die Regisseurin, dass sie alle drei Hauptfiguren als Außenseiter und Fremdlinge sieht, als Figuren mit traumatisierter Vorgeschichte versteht und dass Desdemona wie Otello Erwartungen ihrer Gesellschaft nicht erfüllen, weil sie frei sein wollen. Schön und gut, aber davon ist ein der priesterlich uniformen und streng auf sängerfreundliche Tableaus setzenden Inszenierung nichts zu sehen. 

 

Dirk Becker hat ihr einen abgeschlossenen textilen Raum gebaut. Von Venedig, bzw. Zypern, wo Otello ja Gouverneur und Oberbefehlshaber der venezianischen Flotte ist, keine Spur in dieser Inszenierung. Otello sei ort- und zeitlos.  Es gibt eine Spielplattform, drei Eingänge, Neonröhreninstallationen, Schleier, Gazewände, abstrakt alles, das Stück spielt irgendwo und nirgendwo. Von den überflüssigen Videoprojektionen von Cor van den Brink ganz zu schweigen, da sie immer nur Desdemona zeigen, mal nur den Kopf, mal die ganze Figur, mal mit Schleier, mal ohne. Auch die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterrer zeigen Menschen von heute in Unisex Hakamas – also japanischen Hosenröcken auch für Herren - nicht gerade aufregend und schon gar nicht einleuchtend.

 

Nun ist Verdis „Otello“ ist eine Sängeroper. Man braucht für diese Oper drei erstklassige Sänger: einen Tenor, eine Sopranistin und einen Bariton von außergewöhnlichem Format. In Leipzig singt der spanische Tenor Xavier Moreno die Titelpartie des Otello, angestrengt, die hohen Töne missraten ihm gelegentlich. Die Stimme ist alles andere als jugendlich strahlend oder gar heldisch „schön“. Ein Kraftmeier von Tenor. Von seinem etwas onkelhaften Auftreten nicht zu reden. Die Desdemona wird von Iulia Maria Dan gesungen, scharf, schrill, alles andere als lyrisch, im Outfit einer arg selbstbewussten Mischung aus Barbie-Puppe und rothaarigem Vamp. Auch ihre Stimme ist nicht wirklich schön, ein Tick zu dramatisch,zu bemüht um Lyrismus. Sie sollte vielleicht eher das Mezzofach singen. Immerhin: Die Weidenarie und das „Ave-Maria“ hat sie erstaunlich kultiviert gesungen.  Eine sängerische Sensation hingegen und der sängerische Lichtblick der Aufführung ist der Jago. Den singt der Weissrussische Bariton Vladislav Sulimsky, er ist ein stimmlicher Inbegriff des Bösen, ja Dämonischen. Das übrige Ensemble ist rollendeckend. Die drei von Thomas Eitler-de Lint einstudierten Chöre sind überzeugend.


Christoph Gedschold, den neuen Musikdirektor an der Oper Leipzig finde ich recht enttäuschend. Musikalisch ist der „Otello“ ja alles andere als ein romantische oder gar ein „nettes“ Stück, sondern eine gnadenlose, von Seelen- wie Meeresstürmen gepeitschte Liebes- Intrigen- und Eifersuchtstragödie, für die der der alte Verdi eine entsprechend kompromisslose, gewagte Musik geschrieben hat.  Getschold hat sie aber weitgehend „nett“ dirigiert, zu weichgezeichnet, zerdehnt, er hat die Otello-Musik sehr breit genommen, zu langsam über lange Strecken, mal extrem leise, dann wieder lässt er es krachen wie beim Jüngsten Gericht. Dennoch war dieses Dirigat alles in allem dröge, ja langatmig. Eine überzeugende Lesart war das für mich jedenfalls nicht. Und anrührend war sie auch nicht. Das hat aber schon die unterkühlte, sehr theoretische, statisch-rituelle Inszenierung verhindert.

 

Rezension auch in Fazit / DLF Kultur 17. 12. 2022