Bäuerliche Kapellen in Südtirol

Margot Schwienbacher:

Bäuerliche Kapellen in Südtirol


Fotos von Armin Huber, Josef Gutmann

Herausgeben von der Südtiroler Bäuerinnenorganisation

Folio Verlag, 400 Seiten, 2023, Euro 45,00

 

Wenn man im schönen Tirol über Land fährt, stechen sie einem schon von Weitem ins Auge, die bäuerlichen Kapellen. Sie scheinen zur Landschaft zu gehören, zum bäuerlichen Leben, zur Kultur des Landes wie die Bergwelt, die alten Städte, das Brauchtum, die historischen Bauernhäuser und die Klöster mit ihren oft prachtvollen Kirchen.


Im Folio Verlag (Wien / Bozen) ist jetzt ein wahrhaft prachtvoller Band im Großformat erschienen, 400 Seiten stark und luxuriös bebildert. Er ist konkurrenzlos, denn er beschreibt hunderte bäuerlicher Kapellen, die auch alle in brillianten Fotos abgebildet sind.


„Meist gehören diese Kapellen „zu einer ganzen Hofstelle. Eine andere scheint die meiste Zeit des Jahres in Vergessenheit geraten Zu sein, aber beim jährlichen Patrozinium findet sich wieder die gesamte bäuerliche Gemeinschaft eines Weilers Zum großen Fest ein. Eine dritte steht vielleicht versteckt im Wald, doch um sie rankt sich eine besondere Sage oder eine Anekdote, die von der Großmutter überliefert Wurde. Wieder eine andere ist - als Ausdruck persönlicher Spiritualität - erst vor Kurzem errichtet Worden. Jede bäuerliche Hofkapelle ist somit auf ihre Weise etwas Einzigartiges.“ (Landesbäuerin Antonia Egger)


Bisher gab es keine umfassende und aktuelle Erhebung, wie viele bäuerliche Kapellen es überhaupt gibt. Die Südtiroler Bäuerinnenorganisation hatte daher die Idee zu diesem Buch. Diese Organisation ist die Interessensvertretung aller Bäuerinnen und Frauen im Land. Immer schon waren die Bäuerinnen die treibende Kraft für ein Entwicklungsmodell in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum. Die Südtiroler Bäuerinnenorganisation (SBO) ist eine 1981 gegründete Teilorganisation des Südtiroler Bauernbundes mit Sitz in Bozen. Sie umfasst über 16.700 Mitglieder. Über 1.000 Funktionärinnen sind in 152 aktiven Ortsgruppen und sechs Bezirken innerhalb der Südtiroler Bäuerinnenorganisation organisiert.

Man hat sich vorgenommen, alle Südtiroler Hofkapellen zu erfassen, Zu fotografieren und ihre Geschichte zu dokumentieren.


Antonia Egger, eine der Südtiroler Landesbäuerinnen bekennt im Vorwort: „Es waren Fachleute und viele unermüdliche Helferinnen und Helfer am Werk, um sämtliche Kapellen aufzuspüren. Dabei half uns zunächst die Datenbank des Südtiroler Denkmalamtes, die alle denkmalgeschützten Kapellen verzeichnet. Auch die Landeskonservatorin, der Direktor des Diözesanmuseums und Kunsthistoriker wurden zu Rate gezogen. Unverzichtbar neben vorhandener Literatur war die Zusammenarbeit mit Hofbesitzern, mit Ortsbäuerinnen, mit sachkundigen Dorfchronistinnen und Heimatkundlern. Schließlich sind uns auch selbst bei Wanderungen und Fahrten durchs Land immer wieder Kapellen aufgefallen, deren Geschichte wir in der Folge erkundet haben.“


Zuallererst galt bei dem ungeheuren Unternehmen, zu definieren, was überhaupt eine bäuerliche Hofkapelle ist. Manche Kapellen sind nämlich kaum größer als ein Bildstock, andere präsentieren sich als kleine Kirchen. Einige gehören eindeutig zu einer Hofstelle oder einer bäuerlichen Interessengemeinschaft, andere hingegen einer Pfarrei oder sonstigen Besitzern.


Ausschlaggebend für die Auswahl des Buches war, dass es einen nachvollziehbaren Bezug der Kapelle zu einem Bauernhof oder einer bäuerlichen Gemeinschaft gibt. Außerdem mussten die Besitzer ihr Einverständnis geben, dass ihre Kapelle in dieses Buch aufgenommen Wird. Was in einzelnen Fällen verweigert wurde, wie man im Vorwort des ehrfurchtgebietenden Buches liest. Ziel war natürlich Vollständigkeit, doch es liegt in der Natur der Sache, dass es Lücken gibt. 


Rund 630 bäuerliche Kapellen sind im Anhang des Buches abgebildet und mit knappen Eckdaten vorgestellt. Die Fotografen Armin Huber und Josef (Pepi) Gutmann waren monatelang unterwegs, um die Gebäude und viele interessante Details abzulichten. Ihre Fotos der Kapellen mitsamt ihrer Innenausstattung, vor allem aber ihre Fotos der Landschaften, in die die Kapellen malerisch eingebettet sind, beeindrucken, ja überwältigen. Eine Liebeserklärung an Südtirol.


Die Journalistin Margot Schwienbacher hat mit Akribie und spürbarer Leidenschaft die Hintergrundgeschichten der Kapellen, ihre historische und religiöse Bedeutung und die Gründe für ihre Entstehung erkundet und den für Jeden verständlichen und leicht zu lesenden Text des Buches geschrieben. 

Er ist in sieben Kapitel untergliedert: Es geht um die Vielfalt der Kapellen, ihre Baumaterialien, um Stil und Architektur. Aber auch die Variationen der bäuerlichen Kapelle werden dargestellt: Ansitzkapellen (Kapellen in adligen Besitzungen) , Klosterhofkapellen, Badlkapellen (Kapellen bei Bädern und Thermen, die in der Region seit der Römerzeit geschätzt wurden, speziell aber Bergbädern und Schwitzstuben, also Volks-Saunen), Wegkapellen, Alm- und Bergkapellen sowie Hauskapellen. Schließlich wird Himmlisches und Heiliges thematisier: Fürsprecher, Nothelfer, Beschützer bäuerlichen Lebens und last but not least die Muttergottes, denen Kapellen oft gewidmet wurden. Entstehungsgeschichten und Bauanlässe wie Wassergefahr, Ernteerfolg, Krieg und Leid, Kindersegen und Familiensorgen sind Thema. Auch Neubauten als Neubelebung alter Traditionen werden beschreien.  Gelebtes Brauchtum steht mit Bittgängen, Prozessionen und Pilgerwegen, Totengedenken und Patroziniumsfesten im Fokus. Besonders eindrucksvoll ist das angefügte Verzeichnis sämtlicher bäuerlichen Kapellen  in Text und Bild.

Überwältigend, diese profunde wie anschauliche Darstellung.


In der Begegnung mit den Bäuerinnen und Bauern und ihrer Verbundenheit mit ihrer Hofkapelle, werden gelebte Tradition und persönliche Spiritualität, Geschichte, religiöses Brauchtum und Volkskultur real erkennbar. Insofern ist dieses Buch nicht nur die längst überfällige Monographie eines Gebäudetyps, sondern auch ein Stück Kulturgeschichtsschreibung Südtirols. Das Buch ist   nicht nur informativ, es ist auch eine Augenfreude. Wer sich für bäuerliche Kultur interessiert, kommt an diesem Buch nicht vorbei.