Il Viaggo a Reims Amsterdam 2015

Photos: Dutch National Opera /  Clärchen & Matthias Baus


Matapher der Künstlichkeit von Kunst & der Dialektik von Oper und Leben

Rossini-Sternstunde in Amsterdams Niederländischer Nationaloper

 „Il Viaggo a Reims“




Rossinis Oper „Il Viaggio a Reims“ wurde 1825 die für die Krönung König Karls X. von Frankreich  geschrieben. Die Handlung spielt denn auch  auf der Reise zur Königskrönung in Reims. Eine illustre Gesellschaft von Bonvivants findet sich im Luxushotel zur „Goldenen Lilie“ des lothringischen Badeortes Plombières ein. Sie will am nächsten Tag zu den Krönungsfeierlichkeiten nach Reims weiterfahren. Doch da keine Pferde aufzutreiben sind, wird daraus nichts und  man beschließt kurzerhand, auf seine Weise in der „Goldenen Lilie“ zu Ehren des Königs zu feiern, mit Festbankett und Gesang.


Mit der Neuproduktion dieser erst seit den Achtzigerjahren wiederentdeckten und -aufgeführten Oper, stellt die Niederländische Natio-naloper Amsterdam ein neues Team vor, den Dirigenten Stefano Montanari und den Regisseur Damiano Michieletto, der sich in Italien bereits einen Namen gemacht hat. Michieletto hat dieses "Stück aus dem Tollhaus", wie es einmal genannt wurde, vom Hotel in die gleichnamige Kunstgalerie „Zur goldenen Lilie“ verlegt. Man sieht neben Plastiken und Kleinkunst allerhand berühmte Gemälde von Velazquez bis Magritte. Plötzlich treten die Abgebildeten in Natura auf, kunsthistorisch präzise kostümiert von Carla Teti. Immer mehr Kunstfiguren werden zu realen Menschen, die sich auf unterschiedlichste Weise der Besucher der Galerie bemächtigen. Statt Oper sieht man eine dreistündige Kunst-Performance. Sie wird zum  Wachtraum, in dem die Grenzen zwischen Artifiziellem und Realem ver-schwimmen. Bilder und Bildfiguren werden lebendig. Lebende Menschen werden künstlich. Die Inszenierung ist eine Metapher der Künstlichkeit von Kunst, wenn man so will, im übertragenen Sinne aber auch  Oper.


In dieser Parabel wird der Zusammenhang zwischen Bildender Kunst wie Oper (deren Bewegungsrepertoire und deren Kostümfundus ver-schwenderisch prachtvoll wie ironisch vorgeführt wird) und  Leben versinnbildlicht. Das eine inspiriert das Andere. Doch die mitreißende  Inszenierung ist  auch eine Hommage an die vielfältige europäische Kultur, der Rossini in dieser Oper das Wort redet, indem er nicht zuletzt auf den  Einfall kam, am Ende alle Gäste im Stile ihrer Heimat (inklusive zitierter Nationalhymnen) einen Toast auf den König ausbringen zu lassen. Was das Inszenierungsteam zu dem finalen Einfall führte, hinter einer weissen Leinwand eines gigantischen Rah-mens,  die im „Gran Pezzo Concertato“ von 14 Sängern aufgebrochen wird zur weiß verschleierten arkadischen Landschaft, das berühmte Gemälde der Krönung Karls X. von François Gérard als lebendes Bild nachzustellen.   


Bewundernswert, was Damiano Michieletto und seinem Ausstatter Paolo Fantin an Bild- und Inszenierungsideen, an technischen Wun-dern und theatralischen Zaubereien gelungen ist. Aber damit nicht genug.  Auch mit der Sängerbesetzung konnte man trumpfen in Am-sterdam. Es sind ja nicht weniger als 18 Partien, davon 10 Hauptpartien  in diesem Dramma giocoso zu besetzen. In Amsterdam ist das Kunststück gelungen, eine in jeder Partie überzeugende, sozusagen europäische Delegation des Belcanto zu präsentieren, wie man sie beim Rossini-Festival in Pesaro auch nicht hätte besser hören könnte. Herausragend waren  Eleonora Buratto als Corinna, Anna Goryachova als Marchesa Melibea, Carmen Giannattasio als Madama Cortese, Michael Spyres als Conte di Libenskopf, Juan Francisco Gatelli als Cavaliere Belfiore und Nicola Ulivieri als Don Profondo, der in seiner großen, unwiderstehlichen  Arie als Auktionator auftritt und Mueales unter den Hammer bringt. Sogar der  Dirigent ersteigert eine Pickelhaube. Es darf gelacht werden und gestaunt. Denn die Aufführung ist nicht nur ein launiges Sängerfest. 


Auch das, was das niederländische Philharmonische Orchester und die niederländische Kammerphilharmonie zu Gehör brachten, war ful-minant. Der Dirigent Stefano Montanari, der vom Hammerklavier aus dirigiert, er kommt ja aus der Alten Musik, hat mit unglaublicher Verve, mit großer Sensibilität für instrumentale Details, mit gestalterischer Intelligenz, mit handwerklicher Souveränität und historisch informierter Herangehensweise beglaubigt, dass Rossini in dieser seiner letzten italienischen Oper (einer Oper über die Oper mit viel ironischer Musik über Musik), die zum Startschuß seiner Pariser Karriere wurde, noch einmal alle Register seines kompositorischen Kön-nens zog.  Das Orchester der nun wirklich nicht eben auf Belcantooper spezialisierten Amsterdamer Oper spielt brilliant. Montanari läßt einen Champagnerkorken nach dem anderen knallen, schießt eine Leuchtrakete nach der anderen in den großen Opernhimmel der Nieder-ländischen Nationaloper. Er brennt ein Rossini-Feuerwerk der Extraklasse ab.  Eine Sternstunde , diese Produktion, musikalisch, sängerisch und inszenatorisch. 



Beitrag in DLR Fazit, 20.01.2015