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Photo: Teatro La Fenice
Zum Aschermittwoch die Erinnerung an eine vergessene Tradition:
Die Karnevalsstagione
Seit dem 19. Jahrhundert finden in vielen Gegenden des Rheinlandes schon am 11. November, ab 11.11 Uhr Karnevals-Veranstaltungen statt, zu denen insbesondere die Vorstellung des Prinzenpaars gehört. Das hat mit der magischen Narrenzahl zu tun. Seit dem Mittelalter gilt die Zahl Elf als Zahl der Sünde, die mit dem Narren in Verbindung gebracht wurde. Es gibt aber auch einen christlichen Hintergrund des Datums. Das Geburtsfest Christi, also Hl. Abend, sah im Mittelalter eine vorangehende 40-tägige Fastenperiode vor. Vor deren Beginn pflegte man, wie vor Karneval, ebenfalls die später verbotenen Fleischvorräte aufzuzehren.
Mit Peitschenknallen und Schellengeläut zogen am Martinstag in manchen Gegenden junge Männer maskiert und lärmend durch die Gassen, um böse Geister zu vertreiben. Vor allem im alpenländischen Raum. Denn im Volksglauben geht an Martini, dem Martinstag das „Wilde Heer“ um. Auch das ein Anknüpfungspunkt an Karneval, das Fest der Masken, Dämonen und des Narren, der seit dem späten Mittelalter zur zentralen Karnevalsfigur wurde, die geltende Ordnung infragestellte und sich lustig machte über alles Vorherrschende. Im letzten Jahr fiel es schon aus, und auch in diesem: Corona hats verschuldet.
Mit „Weiberfastnacht“ beginnt sie recht eigentlich, die sogenannte „fünfte Jahreszeit“, jedenfalls im Süden und Westen Deutschlands, der Karneval. In Süddeutschland heißt er Fasching. Der Faschingsmontag oder „Rosenmontag“ – dieses Jahr am 15. Februar - ist der Höhepunkt der närrischen Tage, die nach katholischer Tradition am „Aschermittwoch“ – also heute - mit „Buß und Reu“ – und einem vom Priester auf der Stirn des Gläubigen aufgetragenen Aschekreuz - beendet werden.
Karneval, die „närrische“ Zeit, erschöpft sich hierzulande meist in mehr oder weniger alkoholseligen Zusammenkünften, bei denen unterm Deckmantel der Narrenfreiheit alle Tabus fallen und die Grenzen der sogenannten bürgerlichen Wohlanständigkeit überschritten werden. Von den Überbleibseln heidnischer Bräuche – man denke an die Hexen und Beschwörungen böser Geister – einmal abgesehen. Dass Karneval auch etwas mit der Kunstform der Oper zu tun hat, ist weithin in Vergessenheit geraten.
In seiner Operette „Eine Nacht in Venedig“ hat Johann Strauss dem venezianischen Karneval ein musikalisches Denkmal gesetzt. Karneval das ist aber nicht nur ein attraktives Sujet auf der Opern- und Operettenbühne, sondern auch in der Realität des Musiktheaterlebens seit Anbeginn der Oper die produktivste Zeit, um nicht zu sagen die begehrteste Opern-Saison. Jedenfalls war es bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein so.
In Italien und auch in einigen deutschen Städten wie München oder Mannheim war im achtzehnten Jahrhundert die von der Opera seria geprägte Opernsaison der führenden ersten Häuser, in Rom, Turin, Mailand, Venedig und Neapel, identisch mit dem Karneval, der allerdings in Italien am zweiten Weihnachtsfeiertag, Santo Stefano, also am 26 Dezember begann und bis Fastnachtsdienstag andauerte. Diese „stagione carnevale“ war die begehrteste der Opernstagioni, es war die prunkvollste und gesellschaftlich gefeiertste. Und natürlich wurde für den Karneval alljährlich eine neue Oper in Auftrag gegeben. Bei den erfolgreichsten Modekomponisten, der Zeit. Gioacchino Rossini beispielsweise schrieb für die Karnevalssaison des Teatro La Fenice in Venedig im Jahre 1813 seine Oper „Tancredi“:
„Tancredi“, eine Karnevalsoper für das Teatro La Fenice, nicht ohne Grund schrieb Rossini für die Uraufführung, also die erste Fassung dieser Oper, ein Happy End. - Die Karnevalsstagione wurde in Italien übrigens oft verlängert um die Fastenzeit, die sogenannte Quaresima-Stagione. Daneben gab es noch die Frühlings-, die Sommer und die Herbstspielzeit, also die Primavera-, die Estate- und die Autonnostagione. Man spielte – wie noch heute in Italien - nicht Repertoire, sondern Zyklen, Aufführungsserien. Das garantierte immer Premierenbesetzungen, rechnete sich besser und ließ sich besser planen. Es gab in diesen Stagioni jeden Tag Opera Seria, auch Opera buffa und Ballette, oft mehrere Stücke hintereinander, die Vorstellungen dauerten fast immer bis weit nach Mitternacht.
Das Opernleben spielte im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, zumal seit es fürs Bürgertum zugänglich war - eine bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Leben! Und da Italien, das Geburtsland der Oper, tonangebend war, ahmte man an den Opernhäusern in ganz Europa die Opernstagioni nach. Wer etwas auf sich hielt, vergab auch an deutschen Hoftheatern Kompositionsaufträge. Für die Karnevalsspielzeit des Jahres 1781 in Mannheim schrieb der junge W.A. Mozart seine Opera Seria „Idomeneo“
Karneval, das war in der Blütezeit der italienisch bestimmten Oper die Hoch-Zeit der Opernproduktionen. Zur Karnevalssaison gehörte allerdings auch eine prächtige Festa da ballo, ein Maskenfest am Ende der Saison. Es fand in der Regel am Ende einer Vorstellung statt, und dauerte bis in den Morgen hinein.
Hierzulande untergegangen, existiert diese Ball-Tradition in Italien, im Grunde wie schon zu Zeiten Monteverdis, noch heute. In diesem Jahr fiel auch das weitgehend ins Wasser der Lagune. Wohl nur noch in Italien hat sich im Bewusstsein einer breiten Bevölkerung das Wissen darum erhalten, dass Oper im Grunde nichts anderes ist als ein Fest. Ein Fest gespiegeltes Lebens, kondensierter Innerlichkeit, sublimierter Sehnsüchte. Im Maskenball kann jeder Teil einer Oper werden. Die Grenzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit verschwimmen. Hoffen wir, das sie im nächsten Jahr wieder möglich sind, die überschäumenden Maskenbälle.
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