Turandot in Turin Stefano Poda

Photo: Alberto Ramella


Teatro Regio di Turino, Premiere 16.01.2018

 

Stefano Podas unkoventionelle, überwätigende "Turandot":
Eine negative Männerphantasie als Traumspiel in Weiss


Ist es  Zufall, dass die Oper  „Turandot“ nach dem Tod der Sklavin Liù endet? Der Tod hatte Puccini  die Feder aus der Hand genommen. Der Komponist hatte sich mit dem letzten Akt seiner letzten Oper schwer getan. Fünfmal ließ er das Libretto zum dritten Akt verändern. Er wollte das Werk mit einem Happyend beschließen, mit einer Szene „in der die Liebe explo-diert“, wie in der Korrespondenz mit seinem Librettisten nachzulesen ist, was aber nur schwer verständlich, um nicht zu sagen unwahrscheinlich ist. Der Dirigent Arturo Toscanini hatte im Oktober 1924 einen von Puccini improvisierten Schluss am Klavier gehört und schlug nach dem Tode des Komponisten Franco Alfano als Vollender der Partitur vor. Alfano, seinerseits ein erfolgreicher und geachteter Opernkomponist, schrieb die Musik zu dem ausstehenden Happyend auf der Grundlage der vorhandenen Skizzen im Sinne Puccinis. Doch bei der Ur-aufführung an der Mailänder Scala am 25. April 1926 verzichtete Toscanini mit gutem Grund auf dieses Finale und legte den Taktstock nach dem Tod der Liù nieder mit den Worten „Hier endet das Werk des Meisters“.


Viele haben sich in der Folge schwer getan mit dem Schluss der Oper, mit der Musik wie mit dem Szenario. Einige Alternativen von Alfano-Kürzung bis Neukomposition durch Luciano Berio wurden ausprobiert.  Jede Neuinszenierung des Fragments steht vor der Frage: Wie halt ich´s mit dem Schluss der Oper? Über zwei Akte hindurch breitet Puccini das gewalttätige Herrschaftssystem der männermordenden, eisumgürteten Prinzessin Turandot vor dem Zu-schauer aus. Am Ende dann sollen  Menschlichkeit und Liebe siegen? Regielich ist das kaum glaubhaft zu realisieren.


Stefano Poda lässt das Stück denn auch mit dem Tod Liùs enden, was um so folgerichtiger ist, als seine Inszenierung weniger eine gefühlige altchinesische Austattungsoper als ein zeit- und ortsloses, grausames Ritual des Kampfes zwischen Tod und Leben, Mann und Frau darstellt. Ein Traumspiel, das Poda in weissem, abstraktem Raum aus Papierwänden entfaltet. Körper-skulpturen, phantastische Kostüme, Lichtzauber und und virtuose Chorführung machen den Abend zu einem mitreissenden theatralischen Spektakel von grosser  Sinnlichkeit wie gleich-zeitiger Strenge zwischen Rausch und Askese. Die Aufführung ist so unrealistisch wie schon Puccinis Komödienvorlage von Gozzi. Ein Ballett enthüllter Menschen spiegelt den atavisti-schen Kampf der Gegensätze überzeugend im Körperlichen, ohne aufgesetzt zu wirken Alles gehört zusammen. Da das Multitalent Stefano Poda für Regie, Bühnenbild, Choreographie und Licht verantwortlich zeichnet, darf man von einer stimmigen theatralischen Performance, ja einem Gesamtkunstwerk sprechen, das die Worte eines der Minister ernst nimmt und zum Mittelpunkt der  Konzeption macht: "Turandot existiert nicht." Poda demonstriert: Turandot ist nichts als eine negative Männerphantasie. Die uralte Angst des Mannes vor dem männerver-schlingenden, männermordenden Weib kommt in dieser Inszenierung zu ihrem Recht.


Turandot ist das Weib an sich, Archetyp zwischen Eros und Thanatos. Sie geht als individuelle Persönlichkeit unter im Geschlechtsrollen-Kollektiv und unterscheidet sich szenisch nicht von den Choristinnen, jedes Weib ist eine Turandot, Turandot ist wie alle Frauen sind. Alle tragen die gleichen wallenden weißen Kostüme und die weißen Kurzhaar-Perücken. Nur Kalaf und sein Vater tragen Schwarz. Im dritten Akt dreht sich die Farbsymbolik, die mit subtilem ästhe-tischem Feingefühl eingesetzt wird, um, begleitet von vielen mythologischen und literari-schen Anspielungen. Unterstrichen wird diese überwältigende Produktion jenseits von in-tellektuell überfrachtetem deutschem Regietheater wie "altbackenem" Operntheater vom nicht minder unkonventionellen, beeindruckendem Dirigat Gianandrea Nosedas, der das Werk so modern, so wenig verzuckert, so verstörend schroff dirigiert, wie man es nur selten erlebt hat. Seine stark bläser- und perkussionsbetonte Lesart  macht die Zwiespältigkeit, Brüchigkeit, ja Widersprüchlichkeit dieser Weltabschiedsmusik Puccinis hörbar, ohne jene Momente un-widerstehlicher  Gefühlsmusik zu verweigern, auf die man wartet. Chapeau! Das Orchester des Teatro Regie spielt technisch tadellos und klingt phantastisch. Dem brillianten Chor des Hauses gebührt besonderes Lob.


Aber auch die Besetzung  lässt sich hören. Die  Sopranistin Rebeka Lokar singt eine beißende  Turandot, die über die geforderten Trompetentöne der Partie verfügt.  Durchschlagend  in Höhe wie in Attacke der Tonbildung, weniger in belcantischer Kantabilität. Letzteres gilt auch für den  Kalaf von Jorge de Leon. Erika Grimaldi singt eine anrührende, bezaubernde Liù.  Über schöne Gesangskultur und Stimme verfügt  auch In-Sung Im als Timur. Mit Spiel und vokalen Mitteln überzeugen Marco Filippo Romano als Ping,  Luca Casalin als Pang und  Mikeldi Atxalandabaso als Pong. Stürmischer Beifall des mindestens zur Hälfte erstaunlich jungen Publikums im großen Teatro Regio bescherte der Produktion einen glänzenden Erfolg.


Wann endlich entdecken (abgesehen von Erfurt und Wuppertal) deutsche Intendanten das Operngenie Stefano Poda, der abseits des heute üblichen, austauschbaren Regisseursthe-atertrashs traditionelle Opernkulinariker mit neugierigen Jungen zu versöhnen und zu begeistern weiss? Diese "Turandot" in Turin ist eine Reise Wert.


Beitrag auch in Operalounge.de