Koskys Meistersinger in Bayreuth

Fotos: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath



In der Post-Holocaust-Spaßgesellschaft angekommen


Barrie Koskys verstörende „Meistersinger“ in Bayreuth 2017



"Wollt ihr den totalen Spaß?" So titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 30. Juli einen kritischen Artikel über die diesjährigen Bayreuther Festspiele. Ein treffender Titel, denn noch nie war so viel Spaß auf dem Grünen Hügel wie heuer. In den "Meistersingern", um es genau zu sagen. Barry Kosky hat die Oper inszeniert, "der erste jüdische Regisseur", der das Werk in Bayreuth auf die Bühne brachte, wie allenthalben betont wurde. Warum eigentlich? Geht es hier um die Sache oder um was? Die Frage ist doch, ob ein Regisseur gut ist oder schlecht, ob er sein Handwerk versteht, verantwortungsvoll mit einem Werk umgeht, es dem Zuschauer verständlich machen kann, oder nicht? Ob er Jude, Christ, Buddhist ist oder was auch immer, sollte heute, nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts  doch wohl egal sein!


Was das Werk, also die "Meistersinger" angeht: Barrie Kosky hat eine handwerklich und bühnentechnisch tadellose, beeindruckende Inszenierung hingelegt, aber es ist ein psychologischer, entstehungs- und wirkungsgeschichtlicher Kommentar zum Werk, nicht das Werk selbst, das er dem geneigten Publikum präsentiert. Ob das heutige Bayreuther Publikum das Werk versteht, es hat sich seit Wolfgangs Tod ja grund-legend verändert, die Pausengespräche legen Zeugnis davon ab, muss bezweifelt wer-den. Aber will es das Werk überhaupt verstehen? Man hat den Eindruck, es will sich einfach nur amüsieren, einem Event beiwohhnen, will vor allem Spaß haben, jene anspruchsloseste Form von Freude, die ja laut Seneca durchaus "eine ernste Angele-genheit" ist.  Nie wurde so viel gelacht in einer  Bayreuther "Meistersinger"-Aufführung.


Barrie Kosky zeigt während der "Meistersinger"-Ouvertüre einen Geburtstag in der Villa Wahnfried. Das Publikum erfährt es durch Textprojektionen auf dem Gaze-Zwischenvorhang. Rebecca Ringst hat Wagners Salon detailgenau nachgebaut. Man erfährt das exakte Datum dieser biogra-phischen Begebenheit, sogar die Uhrzeit der gezeigten Begebenheit und das Wetter: Das Publikum lacht. Franz Liszt und Hermann Levi haben sich angesagt, Cosima hat Migräne. Richard kost seine beiden Neufund-länder: Das Publikum lacht schon wieder. Immer wieder im Laufe der Inszenierung lacht es, über jeden noch so banalen Klaumauk. Die Gäste kommen an, Kaffee wird serviert, Wagner packt Geschenke aus: Schuhe, Stoffe, Parfum. Er setzt sich mit Franz Liszt ans Klavier. Hermann Levi, dem Hofkapellmeister König Ludwigs erläutert er seine Musik. Dann plötzlich formiert man sich zum Choralsingen in Wahnfried, als wäre man in der Nürnberger Katharinenkirche, in der Walther von Stolzing mit Eva anbandelt. Der Chor kommt indes aus dem Off.



Man spielt "Meistersinger" im Salon: Cosima ist Eva, das Hausmädchen deren Amme Magdalene, Liszt ist der Goldschmied Veit Pogner. In den Figuren des Stolzing, Sachs und dessen Lehrbuben David vervielfältigt Wagner sich selbst. Hermann Levi muss Beckmesser spielen, den Kosky gnadenlos als Pedanten und Versager zeigt, vor allem aber als Judenkarikatur. Dann fällt eine verrückte Karnevalsgesellschft von überdrehten Blödelheinis in den Wahnfried-Salon ein, so scheint es. Es sind die kin-dischen Meister. Da darf chargiert werden, dass sich die Bühnenbalken biegen. Das Publikum quittiert es mit Schmunzeln, Kichern, Lachen und Schenkelklopfen. Mit albern pennälerhaftem Schlagen der Löffel an die Kaffeetassen wird jeder Meister begrüßt. Wieder Lachen.   


Der folgende eigentliche Diskurs über Neue und Alte Musik, die Singschul, geht unter im allgemeinen Remmidemmi. Stattdessen darf man sich über Wagner im Krei-se kleiner Klone amüsieren, die aus dem Konzertflügel entsteigen. Die Lehrbuben, kostümiert wie ihre Lehrherren, platzen durch die Salontür herein und trollen  umher wie Kinder. Es darf wiederum gelacht werden. Nur warum eigentlich? Comedy halt.  Kosky bekennt sich dazu. Dass es sich in diesem ersten Akt um eine der ernsthaf-testen Szenen Wagners handelt, einen Diskurs um Tradition contra Innovation, geht völlig unter. Aber wen interessiert das schon? Hauptsache, man kann Lachen!


Während Stolzings Gesang im Gezetere der Meistersinger untergeht, fährt der Wahn-fried-Saal nach hinten. Ein amerikanischer Soldat nimmt Aufstellung vor der offenen Verwandlung. Plötzlich steht Sachs/Wagner im Saal der Nürnberger Prozesse im Zeugenstand. Zu Beginn des 2. Ak-tes ist der Boden des Gerichtssaals mit Rasen ausgelegt. Picknickszene Wagner-Cosima.  Am Aktschluss, wenn Beckmessers groteskes, von Sachsens Hammerschlägen immer wieder unter-brochenes Ständchen, das man seit den Naziaufführungen, die auf  CD dokumentiert sind, nicht so antise-mitisch karikiert hörte, führt der Lärm zum Aufruhr der aggressiven Spießbürger und damit zur Prügelfuge. Beckmesser muss nun einen Pappkopf tragen, der verdächtig den fratzenhaften Judenkarikaturen des „Stürmers“ gleicht. Der Rasen wird nach oben weg gezogen.  Beckmesser vollzieht einen Grotesktanz, während sich über dem Zeugenstand ein bühnenfüllender „Juden“-Kopf-Ballon mit Hakennase und bösem Blick zu den Schläfenlocken aufbläht, eine Judenfratze, ein Popanz, der einen er-schaudern lässt angesichts der Erinnerung an das braune Kapitel deutscher Geschich-te. Richard Wagner weicht entsetzt zurück. Während der Nachtwächter aus dem Off „Bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk“ singt, sinkt der Riesenkopf in sich zusam-men, bis nur noch die Kippa mit dem Davidstern zu sehen ist. Pause. Und dann zum grandiosen, leider gänzlich verharmlosten Vorspiel des dritten Aktes der projizierte schriftliche Hinweis auf die tückische Abwehr des nächtlichen britischen Bomber-angriffs auf Nürnberg, unter dem Codenamen "schräge Nachtmusik".



Der Nürnberger Schwurgerichtssaal ist nun komplett  und modern eingerichtet, Sitz-ungspause, Akten liegen auf den Tischen, die vier Fahnen der Alliierten stehen vor der Rückwand. Der Kunstdisput  wird als Zwiegespräch zwischen den beiden Richard Wagners (Sachs in heutiger und Stolzing in Renaissancekleidung) ausgetragen. Das Meisterlied wird geschmiedet. Der arg demolierte Beckmesser tritt auf, den Arm in der Schlinge, mit Verbänden und zerrissenem Hemd. In seiner Pantomimenmusik läßt Wagner ihn noch einmal die Qualen des Ständchens und der Prügelfuge durchleiden. Fünf kleine Ostjuden treten auf und begleiten ihn in den Zeugenstand. Sie sind seine Kronzeugen. Und doch malträtieren sie ihn. Leiden am Judentum.


Nebenbei in Erinnerung gerufen: Das Amt des Stadtschreibers in Nürnberg war aus-schließlich Christen vorbehalten. Auch gibt es eine Äußerung Richard Wagners vom 16. März 1873 gegenüber Cosima, die es in ihrem Tagebuch festgehalten hat, die jeden Verdacht, Beckmesser sei die Karikatur eines jüdischen Kritikers, ad absurdum führt: "mit der ehrwürdigen Pedanterie, dacht ich mir den Deutschen in seinem wahren Wesen, in seinem besten Licht."



Schließlich die „Festwiese“, auch sie spielt im Schwurgesichtssaal. Zunftaufmarsch der Renaissancefiguren. Heftig werden Zunftfahnen  im Gerichtssaal geschwenkt, Wagner umtanzt Lenbachs Cosima-Bild im Zeugenstand, wieder Auftritte der Wag-nerminis (Symbole von Wagners Narzissmus), die Renaissancechorgesellschaft nimmt Platz , Beckmesser singt sein verzerrtes Preislied im Renaissancehabit, Wag-ner  singt seine Ansprache im Zeugenstand. Dann verschwinden Schwurgerichtssaal und Volk. Bei den Worten „zerging in Dunst das Heil‘ge röm‘sche Reich..“,  fährt von hinten auf einem Podest Chor und Statisten-Orchester auf die Bühne. „…uns bliebe gleich die deutsche Kunst!“  Will sagen, es bleibt die Musik. Sie hat das letzteWort in dieser Inszenierung. Wagner dirigiert Schlußchor und Orchester, leidenschaftlich und weitausholend gestikulierend. Apotheose und Freispruch Wagners? Er bleibt allein auf der Bühne zurück. Beispielloser Applaus, nur vereinzelte Buhs.


Barrie Kosky hat in seiner facettenreichen Meistersinger-Inszenierung Wagner ange-klagt, seine narzisstischen Persönlichkeitsdeformtionen, seine antisemitischen  Obses-sionen, und hat  sie – auf Beckmesser fokussiert - in das Werk implantiert.  Eine schwarze, groteske, bitterböse „verrückte Komödie“ (Kosky), bei der einem allerdings das Lachen im Halse stecken bleibt.


„Ich glaube, die Figur Beckmesser ist Wagners Furcht vor assimilierten Juden wie Heine, Mendelssohn und Meyerbeer. Aber es geht hier nicht nur um Wagners Pro-bleme mit Juden. Für Wagner ist Beckmesser die Personifizierung von allen, die gehasst wurden - die Franzosen, die Italiener und vor allem Musikkritiker“ (Kosky).


Erstaunlich, dass Kosky neben der Zeichnung der Beckmesser-Figur so wenig an re-gielichen Details, an inszenatorischer Phantasie eingefallen ist, die die Aufführung hätten vitalisieren können. Sie ist über weite Strecken statisch und belehrend. Und was gibt es für witzige Szenen in den „Meistersingern“. Sie werden weitgehend verschenkt und bleiben fast alle unbemerkt. Im zweiten Akt herrscht ohnehin fast Stillstand in dieser Inszenierung, von Schusterstube im dritten Akt nicht die Spur. 


Der Dirigent Philippe Jordan wurde viel gelobt für sein Bayreuther Dirigat. Ungea-chtet dessen finde ich seine „Meistersinger“ weithin zu leichtgewichtig, kraftlos und unstrukturiert. Er verschenkt wie die Regie viele Kostbarkeiten der Partitur. Vieles klingt einfach nur routiniert, teilnahmslos, unterbelichtet. Nicht nur bei der Prügel-fuge geriet die Balance zwischen Bühne und Graben ziemlich ins Wanken…


Und die Sänger? Günther Groissböck war ein grandioser Pogner, Johannes Martin Kränzle als Beckmesser ging in seiner Karikatur weit über das in der Partitur notierte hinaus, auf virtuose Weise, gewiss, aber unerträglich in der antisemtischen Verzerrung der Figur,  Anne Schwanewilms als Eva enttäuschte. Sie war die blasseste Sängerin der Aufführung. Was hat man schon für Evas gehört, in Bayreuth, aber auch anders-wo. Wiebke Lehmkuhl als Magdalene trug stets zu dick auf, Klaus Florian Vogt als Ritter Stolzing sang souverän wie immer, aber Abnutzungserscheinungen seiner Stimme sind leider  unüberhörbar. Daniel Behle als David war rollendeckend, aber nicht mehr. Auch da hatte man schon ganz andere Kaliber gehört. Zurecht gefeiert wurde Michael Volle als nobler, stets wortverständlich artikulierender Sachs. Gleich-wohl hat man - Hand aufs Herz - schon weit eindrucksvollere gehört.


Fazit, musikalisch-sängerisch nicht durchweg „erste Sahne“, wie man so sagt. Insze-natorisch ein verwirrendes, teilweise faszinierendes, aber auch immer wieder befremdendes, in seiner  politisierenden Respektlosigkeit,. Würdelosigkeit und Will-kür verärgerndes kommentierendes theatralisches Kaleidoskop, das für den „nor-malen“ Zuschauer (der das Stück nicht genau kennt)  wohl ein Rätsel bleiben dürfte in seinem Beziehungszauber. Es bezeugt zwar Koskys Intelligenz wie szenische Virtuosität als Regisseur. Aber das Werk bleibt auf der Strecke. Es geht Kosky nur um seine Wirkungsgeschichte. Und mit Lachen allein kommt man den "Meistersingern" allerdings nicht bei. Aber für die meisten Zuschauer blieb es beim Lachen…  Bayreuth ist endgültig in der Spaßgesellschaft angekommen. Mit dem, was Richard Wagner einst vorschwebte, jener "Utopie der Alternative", hat es nichts mehr zu tun.