Hoffmanns Erzählungen in Hamburg

Abbildung des Programmhefts der Hamburgischen Staatsoper (Photo Monika Rittershaus)


Verharmloster Offenbach, vertane Chance

Le Contes


Premiere 4.September 2021


Die Entstehungs-, Werk- Aufführungs- und Editionsgeschichte der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ ist ein komplizierter Krimi Es gibt keine endgültige Fassung letzter Hand von Jacques Offenbachs "Weltabschiedswerk" über den phantasierenden Dichter, Säufer und glücklosen Liebenden auf der Suche nach Sinn und Zweck seins Seins. Die Varantwortlichen jeder Neuinszenierung der "Contes d' Hoffmann" haben die Entscheidung zu treffen, was für eine der möglichen Fassungen gespielt werden soll. In Hamburg spielt man eine Fassung, die auf der Schott-Partitur von 2009, herausgegeben von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck beruht, einschließlich des großen Chorfinales des Giulietta-Aktes, wie es 1999 an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt wurde.

 

Als Regisseur hat man Daniele Finzi Pasca, den Schweizer Theaterautor, Regisseur, Clown, Choreograph und Theatergründer mitsamt seinen zahlreichen Mitarbeiter für eine aufwendige Neuinszenierung gewonnen. Der aus Uruguay stammende Bühnenbildner Hugo Gargiulo (Ausstatter und Mitbegründer der Compagnia Finzi Pasca) setzt vor allem auf „schöne“ Dekoration.


Er zeigt bei Auerbachs Keller einen langen Bar-Tresen, eine aufklappbare überdimensionale Spieldose mit sich drehendem Püppchen (Olympia), einen Turm mit Schmetterlingssammlungen, in dem Antonia als blauer Riesen-Schmetterling thront und schließlich im Giulietta-Akt ein Beifall heischendes Venedigbild mit Markuslöwe, den antiken Pferden des Doms und den Glöcknern des Uhrenturms samt astrologischem Uhrenziffernblatt als Boden einer Drehbühne. Agierende Personen bewegen sich opernhaft in silbrigen Rokokokostümen, überflüssige Vogelmenschen (Komparsen) huschen durch die Szene. „Es kommt gegangen, es kommt geschwebt“: Neben arg konventionelle Gängen, Auf- und Abtritten dürfen Akrobaten  immer wieder als Doubles der Mutter Antonias, der Muse und Hoffmanns vom Bühnenhimmel herabgleiten und durchs Bild fliegen. Auch Klein Zack schwebt herab und macht Faxen. Von den immer am Rande des Kitschs rangierenden Licht- und Videospielerein (Daniele Finzi Pasca, Marzio Picchetti und Roberto Vitalini),Komparsen, Fahnen- und Schleierschwenker ganz zu schweigen.


Viel Wind um Nichts. Der Inszenierung fehlt alles zwingend Notwendige, jede innere Logik und Psychologie. Finzi Pasca wollte alles Düster-Deutsch-Dämonische eliminieren, wie er im Programmheft bekennt. So verharmlost er das Stück. Von (Personen-) Regie keine Spur, alles ist bloßes Arrangement. Der regielichen Verharmlosung entspricht auch die musikalische: Schon 1996 hat Kent Nagano, damals noch Musikchef an der Opéra National de Lyon, seit 2015 ist er GMD an der Hamburgischen Staatsoper, „Hoffmanns Erzählungen“ in Angriff genommen, allerdings nicht so weichgespült wie in Hamburg, wo er jetzt einen völlig temperament- und kraftlosen „Hoffmann“ dirigiert, ohne Dramatik, ohne Spannung, ohne Delikatesse und in einschläfernder Langsamkeit.


Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg spielt akkurat. Der zuverlässige Chor der Staatsoper singt teils auf der Bühne, teils in den Logen. Die Sängerbesetzung ist allerding nicht mehr als mittelprächtig. Der mit Vorschusslorbeeren bedachte Tenor Benjamin Bernhemi, der in der Titelpartie debütiert, singt ordentlich, aber keinesfalls brilliant, und trotz Bemühens um Differenzierung eher Verdi als Offenbach. Bezwingend, bewegend, außerordentlich ist seine Rollengestaltung nicht.  Die russische Diva Olga Peretyatko ist in allen drei weiblichen Hauptpartien zu hören.  Obwohl sie Koloratursopranistin ist, gerät ihre Olympia singschauspielerisch zur blassen Nummer. Was hat man schon für Olympias gehört! Für die Antonia fehlt ihr stimmlich das dramatische Kaliber. Am überzeugendsten ist ihre Giulietta. Nicht nur in diesem Akt hört man manche selten gehörte Musik und – man wundert sich – gesprochene Dialoge.


Enttäuschend leichtgewichtig sind auch die Bösewichter von Luca Pisaroni, der mal als Offenbach auftreten darf, mal als Nosferatu, dann als Rokokogalan à la Casanova. Auch das Couplet des Franz (Gideon Poppe), ein Kabinettstück offenbachscher Singkarikatur, wird verschenkt. Das sängerische Glanzlicht der Aufführung ist die Mezzosopranistin Angela Brower als Muse, ihre Partie wurde deutlich aufgewertet. Kristina Stanek als Mutter verströmt samtigen Wohlklang. Aber Hand aufs Herz: Man hat eigentlich alle Partien selbst an kleineren Häusern schon besser besetzt gehört!


Wie auch immer: Spätestens mit der finalen, unwiderstehlich zu Herzen gehenden chorischen Künstlerapotheose, die vor desillusionierter Bühne dargeboten wird, ist man   mit der Hamburger Aufführung versöhnt oder zuminest milde gestimmt. Das konservative Staatsopernpublikum hat diese Premiere ohnehin widerspruchslos gefeiert, es war ja auch in den zurückliegenden 20 Jahren weiß Gott nicht mit „schönen“ Produktionen verwöhnt worden. Dennoch ein verlorener Abend.


Besprechung auch in der Zft. "Orpheus"