Apollo e Dafne. Cavalli in Innsbruck

Photos: Rupert Larl


Bedeutende Ausgrabung eines Meisterwerks der frühen venezianischen Oper: Cavallis "Apollo e Dafne bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik


Eine Frühe Oper als Sinnbild der Achterbahn der Liebe und der Triebe



Einmal im Jahr, gegen Ende der Festwochen, wird eine Opernproduktion dem Sänger-nachwuchs gewidmet. "Oper jung" heißt die Veranstaltungsreihe, in der ausschließlich Finalisten und Preisträger des alljährlichen Innsbrucker Cesti-Gesangswettbewerbs auf-treten und sich beweisen dürfen. In diesem Jahr in einer Ausgrabung von Francesco Cavallis "Gli amore d'Apollo e di Dafne" aus dem Jahre 1640.


Zehn durchweg ausgezeichnete junge Sänger gestalten die 25 Partien der dreiaktigen Oper. Unter ihnen herausragend Sara-Maria Saalmann als Dafne, der venezulanische Counter Rodrigo Sosa dal Pozzo als Apollo, Giulia Bolcato als Amore und der Tenor Isaiah Bell in der Travestierolle der alten Cirilla. Auch Eléonore Pancrazi als Aurora und Isabelle Rejall u.a. Als Venere und Filena begeisterten das Publikum. An gutem Sängernachwuchs, so erfuhr man auch in diesem Jahr in Innsbruck, herrscht kein Mangel.


Cavallis Oper wurde in der Karnevalssaison des Jahres 1640 im Teatro S. Cassiano in Venedig uraufgeführt. Wenn man Ehebruch, Lust des Seitensprungs und Promiskuität als karnevaleske Tugenden versteht, handelt es sich um eine Karnevalsoper. Alle mytho-logischen Figuren dieser Oper, frei nach einer Episode aus den Metarmorphosen" des Ovid, haben nur das Eine im Sinn. Götter, Halbgötter und Menschen betrügen sich, belügen sich, verlieben und entlieben sich. Die Frage des Stücks lautet: Wieviel Liebe braucht der Mensch bzw. Ein Gott? Alle rufe: Soviel wie möglich, "solange noch das Lämpchen glüht". Nur Eine entzieht sich, die keusche Nymphe Dafne. Sie weiht ihre ganze Libido der Natur. Aber ausgerechnet ihr stellt der in sie verliebte Gott Apollo nach, der sich mit Gott Amor gestritten hat darüber, wer der mächtigere Gott sei. Amor hat dem prahlenden Angeber kurzerhand einen Pfeil aus seinem Köcher einverleibt, der diesen zum Opfer rasender Liebesleidenschaft machte. Sein erstes Opfer: Dafne. Der Sieg Amors. Die von Apollo verfolgte Dafne will lieber sterben, als sich von ihm zur Wollust zwingen lassen. In ihrer Verzweiflung bittet sie ihren Vater, den Flussgott Peneios, sie in einen Lorbeerbaum zu verwandeln. Alles, was Apollo bleibt, ist der Trost, einen Zweig des Baumes abzubrechen und ewig bei sich führen zu können.


Cavalli und sein Librettist Busenello (der erste große Librettist der Operngeschichte) ha-ben mit dieser Oper ein Sinnbild der Achterbahn der Liebe und der Triebe auf die Opernbühne gebracht und das fragwürdige Karussell der erotischen Leidenschaften (dem sich nur Dafne verweigert), das im Olymp wie auf Menschenerden Freud und Lust, Krankheiten und Leiden provozierte, von allen Seiten beleuchtet. Die Oper ist eine gnadenlose Aufrechnung der Vorzüge und Nachteile der Liebe, eine Abrechnung mit dem (impotenten) Alter und ein Lobpreis der Lendenkraft der Jugend. Bedeutung und Illusion de Liebe, der sich nur Dafne (halb heroisch, halb tragisch) verweigert, werden gegeneinander ins Feld geführt. Eine bewegende philosophische, moralisierende Oper, ein starkes Stück.


Eher schwach und plakativ inszeniert die italienische Regisseurin Alessandra Premoli das Stück vor nackten Arkaden des Innenhofs der theologischen Fakultät als groteskes Krankenhausstück in sterilem Weiß. Dafne macht sie von Anfang an zur Verrückten, unheilbar Kranken auf einem Krankenhausbett, sie hängst am Tropf. Eine sehr partei-ische Interpretation, die der ambivalenten Darstellung Dafnes im Stück nicht gerecht wird. Man wohnt einer sehr einseitigen Parabel über Wohl und Wehe der Liebe aus Hos-pitalperspektive bei, in der Dafne als Verliererin  dargestellt wird. Alle Figuren sind Krankenhausangestellte. Die philosophierende Travestierolle der Cirilla wird zur Putz-frau degradiert. Warum Amor, der doch als Knabe beschrieben wird, eine geflügelte Krankenschwester  sein muss, die statt Liebes-Pfeile abzuschießen, mit der Spritze auf Apoll und das ganze Personal losgeht, wird nicht erklärt.


Der schwerwiegendste Einwand gegen die Inszenierung ist allerdings die Berufung der Regisseurin auf die Licht- und Schatten-Metaphorik des Stücks, die sie zu wörtlich nimmt. Gemeint sind doch seelische, nicht optische Effekte. Die Verpflichtung der vene-zianischen Schattenspiel-Compagnie alTretracce erweist sich daher als an den Haaren herbeigezogen, zumal die drei Darsteller um die Personen herumschwärmen wie Motten ums Licht. Ihre banalen, rein illustrativen Schattenspiele bieten keinerlei Erkenntnis-zuwachs. 


Ein besonderes  Problem der frühen venezianischen Opern sind die Partituren, die ledig-lich als Skelette zu verstehen sind und von Musikern wie Sängern Komplettierung, instrumentale Ergänzungen und Verzierungen, ja Improvisationen verlangen. Die klein besetzte junge Accademia La Chimera, die von Massimiliano Toni einstudiert und geleitet wurde, ist ein Glücksfall.  Man darf von einer Offenbarung sprechen, denn die außerordentlich vitale, ja beswingte, phantasievoll instrumentierte und mit delikaten Begleitungen, Überleitungen und Zwischenspielen versehene Wiedergabe des Stücks hat  ein vergessenes Meisterwerk der frühen venezianischen Oper der Monteverdizeit wiedererleben lassen, das man so schnell nicht vergessen wird. Eine  der lohnenswertesten Opernausgrabungen der letzten Jahre!




Nachtkritik auch in DLR Kultur, Fazit am 21.08. 2018