Großherzogin in Nürnberg

Foto: Bettina Stöss / Staatstheater Nürnberg.

Im Hintergrund: Eleonore Marguerre und Chor

Im Vordergrund: Pius Maria Cüppers, Martin Platz


Mitreißende Grotesk-Revue der Pilzköpfe
Entpolitisierte, pazifistische Opéra bouffe


Wie die Nürnberger Zeitung am 28. Februar 2023 schrieb:”Am Richard-Wagner-Platz wagt man es wieder: Wenn am 4. März Jacques Offenbachs ... “Großherzogin von Gerolstein” im Opernhaus Premiere hat, soll dieses Mal alles klappen.”


Zur Erinnerung: In der Spielzeit 2004/2005 habe das Staatstheater Nürnberg “den größten Reinfall seiner jungen Geschichte” mit diesem Werk in der Inszenierung von Susanne Boetius und Jürgen Tamchina erlebt, so Thomas Heinold. Ein Großteil des Publikums habe in Scharen die Premiere verlassen, der Rest habe die Produktion gnadenlos niedergebuht. Der damalige Intendant wurde vor den Kulturausschuss zitiert, setzte die Inszenierung ab und bat Helen Malkowski um eine “gründliche szenische Überarbeitung”. Ein Skandal. Die Rede vom “Geröll von Gerolstein” machte die Runde und schlug hohe Wellen, man bezahle den Kopf des Intendanten und nicht sein Gesäss, hiess es. Das abgewatschte Inszenierungsteam verklagte die überarbeitete Version als “Korsett für ‘eine Mitklatschoperette für Silvester’ ”, sie sei ein unzulässiger Eingriff in die künstlerische Substanz der Inszenierung, so zu lesen in besagter Zeitung. Das Gerichtsverfahren endete in einem skurrilen Vergleich: Fast 40 Punkte mussten akribisch abgehandelt werden, es ging um Kostüme, Perücken, Farben, Regiegags und um den Hodensackhalter des General Bum. Eine theaterjuristische Farce, die selbst fast wie eine Offenbachiade anmutete.


Die wollte man beim jüngsten Versuch, die beißende Satire auf Militarismus und militärisches Brimborium, Günstlingswesen, Kleinstaaterei, Männlichkeitsgehabe, aufgeblasene Anmaßung von Amtsträgern und Herrscher(innen)allüren auf die Bühne zu bringen, unbedingt vermeiden, zumal angesichts gegenwärtiger kriegerischer Konflikte, ob in der Ukraine oder im Nahen Osten.


Um in kein Fettnäpfchen zu treten, um politisch korrekt zu sein und alle brisanten Anspielungen auszuschliessen, haben sich Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Team entschlossen, diese ironische Soldateska, die erfolgreichste “Opéra bouffe” nach „Orpheus in der Unterwelt“ quasi zu entpolitisieren. Erfreulich, dass endlich ein Theater einmal die korrekte Gattungsbezeichnung Offenbachs verwendet. Das Werk ist ja weiß Gott alles andere als eine “Operette”, wird aber oft so bezeichnet. Kriegenburg verlegt Offenbachs Handlung aus dem Soldatenmilieu in die Amtsstube, genauer: in das Staatsarchiv des Großherzogtums Gerolstein. 


Diese Entpolitisierung, so genial man die Inszenierungsidee auch finden mag, kommt gewissermaßen einer Kastration des Stücks gleich, das ja eine Verspottung konkreter Pariser politischer Zustände war, des Hofes Napoleons des Dritten und seiner Politik nämlich, gespiegelt in einem deutschen Provinzstaat.


Viele gekrönte Häupter, unter ihnen auch Zar Alexander II., Wilhelm I. von Preußen, sogar Otto von Bismarck strömten damals ins Pariser Théâtre des Variétés , um sich die subversive Opéra Bouffe  über die Zwergstaat-Regentin mit der Vorliebe für Uniformierte anzusehen. Diesen beispiellosen Run auf das Stück versteht man in Nürnberg nicht.


Aber schon der Beginn von Kriegenburgs Inszenierung ist ein Coup de théâtre. Der Schauspieler Pius Maria Cüppers verheddert sich als Oberarchivar Nepomuk in das Kabel des Mikrophons, das er gerade aufstellt. Da bleibt kein Auge trocken. Totaler Nonsens, aber gekonnt!


Bei der morgendlichen Mitarbeiteransprache erklärt er den versammelten Mitarbeitern (und den Zuschauern): Man wolle in diesem Archiv, einer “letzten Oase der Glückseligkeit” Ordnung ins Chaos der Welt bringen, indem man es abhefte, schubladiere, archiviere, wo man die Welt schon nicht besser machen könne.


Die ganze Inszenierung bewegt sich denn auch vor unüberschaubar vielen Schubladen eines gigantischen Archivs, das ausgeklappt und gedreht, zum Ballsaal, zum Büro der Großherzogin und zum Aufmarschplatz der maoistisch-soldatisch anmutenden 60erJahre-Archivar: Innen wird. Harald Thor hat eine Bühnen-Welt der Karteikästen, Rohrpost-Rohre, Schreibmaschinen und Schaltknöpfe geschaffen.  Kai Luczak leuchtet sie immer wieder suggestiv aus.


Die Archivar: Innen und Kopist: Innen , Schreib: Innen, Tippmannsen sowie -Weibsen und Telefonist: Innen (die Verspottung der Genderei zieht sich durch den ganzen Abend), sind alle in grauen Anzügen und zweiteiligen grauen Kostümen mit Faltenrock im Stil der Sechzigerjahre gehalten. (Die hübsch spießig anmutenden Kostüme hat Andrea Schraad entworfen). Männlein und Weiblein werden schon deshalb fast ununterscheidbar, weil alle Mitwirkenden ihrer uniformen Frisur wegen wie Mireille Mathieu aussehen, was der Aufführung etwas grotesk Komisches verleiht. Running Gag der Aufführung ist ein verzottelter und vertrottelter Hausmeister im Blaumann (und schlecht sitzender Perücke), der ständig über die Bühne schlurft und irgendetwas wegfegt oder -wischt. Die unvermeidlich militärischen Szenen des Stücks sind karikaturistische Kabinettstücke, die souverän mit Requisiten wie Orden, Gürtel, Ärmelschonern, Schärpen, Betrassung und Degen spielen. Der Degen wird schließlich mit dem Hinweis, er gehöre ins Nürnberger Germanische Nationalmuseum, in den Souffleurkasten hinabgereicht. Hier werden keine Schlachten mehr geschlagen. Mit Krieg und Kriegsverherrlichung will man in Nürnbergs Großherzogtum Gerolstein nichts mehr zu tun haben. Es ist die unmissverständlich pazifische Stoßrichtung einer turbulenten Inszenierung, die mehr auf die nymphomanischen als die politischen Tugenden der Landesfürstin setzt, die mehr ihrem Unterleib, als ihrer Staatsräson gehorchend, Militärs degradiert und befördert, ganz nach Belieben. Das Stück ist denn auch eine Abrechnung mit der Willkür der Mächtigen gegen die Machtlosen, die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat


Aus ihrer Vorliebe für Soldaten macht die Großfürstin keinen Hehl. Liebesaffäre, Militärsatire und Hofintrige sind angesagt.


Das Stück spielt im fiktiven Herzogtum Gerolstein um 1840. Die Großherzogin liebt Männer in Uniform. Sie inspiziert ihre Truppen und verliebt sich dabei in den feschen Soldaten Fritz.  Hasuhofmeister Baron Puck protegiert aber den Prinzen Paul als Zukünftigen der Großherzogin, doch der ist ihr zu dumm. Die Großherzogin degradiert kurzerhand General Bumm und befördert ihren Fritz vom Schützen zum General. Dann muss er ins Feld, denn die Hofschranzen General Bumm, Baron Puck und Baron Paul haben einen Krieg angezettelt. Aber nur damit die lebenslustige und liebeshungrige Großherzogin sich nicht langweilt und sich nicht allzu sehr in die Politik einmischt. Schon bald kommt Fritz aber als siegreicher Held wieder zurück. Jetzt will ihm die Großherzogin ihre Liebe gestehen, aber Fritz heiratet lieber seine Wanda. Das ist der Regentin dann doch zu viel und während die Hofschranzen noch beraten, wie sie Fritz erledigen (eine Intrige wird geschmiedet), wirft die Großherzogin schon ein Auge auf Baron Grog. Fritz wird degradiert und muss seinen Abschied nehmen. General Bumm erhält seinen Rang zurück und die Großherzogin heiratet nun doch den dummen Baron Paul.


Gegen Wanda, die Geliebte von Fritz, kommt sie nicht an, deshalb schließt sie eine politische Ehe nach dem Motto „Wenn man nicht kriegt, was man liebt, dann liebt man eben, was man kriegt.“ Die Lebensweisheit einer pragmatischen Liebhaberin wie Landesmutter. Eleonore Marguerre spielt sie hinreissend elegant wie frivol als mondäne Schnapsdrossel, die oft und gern zur Flasche greift.  Sie darf sogar ein rotes Krinolinenkleid à la Hortense Schneider (der legendären Uraufführungssängerin) tragen, wenn sie nicht im weissen Anzug mit Hut auftritt. Mit grosser schöner Stimme begabt, singt sie leider eher Oper als Offenbach und das überwiegend wortunverständlich!


Der sängerische wie darstellerische Mittelpunkt der Aufführung ist der Fritz von Martin Platz. Er ist ein Ereignis an Komödiantik, eine erfrischende Mischung aus Karl Valentin und Charlie Chaplin, aber auch natürlichen, wortverständlichen Singens. Ein idealer Offenbachdarsteller, wie es heute nur wenige gibt. Seine grotesken Körperverdrehungen, die er mit geradezu akrobatischer Wendigkeit vollführt (wie er zum Beispiel aus einer Archivschublade herauskriecht, ist sensationell), seine außergewöhnliche karikaturistische Begabung, mit der er Militär und machohafte Männlichkeit aufs Korn nimmt, hat das Publikum immer wieder zu Begeisterungsstürmen animiert.


Aber auch die übrigen Mitwirkenden überzeugen ausnahmslos: Der General Bumm von Hans Gröning, Prinz Paul, Verlobter der Großherzogin: Sergei Nikolaev (seine Wortverständlichkeit lässt sehr zu wünschen übrig), der Baron Puck, Haushofmeister der Großherzogin von Michael Fischer und der Diplomat Baron Grog von Mats Roolvink.


Der von Tarmo Vaask brilliant einstudierte Chor bezaubert durch rhythmische Präzision des Singens, aber auch durch außergewöhnliche Tanzfreudigkeit (und -Fähigkeit). Kriegenburg hat bei der Einstudierung der Körpersprache, Mimik wie Gestik geradezu bewundernswürdige Arbeit geleistet, beim Chor wie bei den Solisten.


Die Aufführung ist trotz genannter Vorbehalte (in politischer Hinsicht) eine mitreißende Groteskrevue der Pilzköpfe, ein Trippel-Defilee der Schießbudenfiguren, eine Typenparade von latenter, aber nie akuter oder konkreter Gefährlichkeit. Abgründe schimmern nur durch. Der Rest ist Spaß, mit unterhaltsamen Anleihen an Revue und Showbusiness. Die technisch wie regielich perfekt ausgeführte Produktion, die am Ende der Premiere frenetisch bejubelt wird, ist nicht anders als virtuos zu bezeichnen, auch wenn sie im dritten Akt etwas langatmig wird mit der Bettszene von Wanda und Fritz. 


Auch weiß man nicht, welche Texte der biederen deutschen Übersetzung von genanntem Stefan Troßbach stammen, welche vom Regisseur. Sie bleiben hinter der frechen Übersetzung von Edmund Gleede und Tomas Münstermann zurück, deren Situations- und Wortwitz in der Inszenierung der „Großherzogin von Gerolstein“ im Jahre 1980 an der Deutschen Oper Berlin begeisterte.


Auch die Auswahl und Zusammenstellung der Musiknummern aus der Offenbach-Edition-Keck ist natürlich subjektiv. Sie ist ein gewaltiger Steinbruch alles dessen, was zu dem Stück je komponiert und aufgefunden wurde. Keck hat ja die Version, die bei der Uraufführung 1867 ein gespaltenes Echo fand und deshalb vom Komponisten, der ein gewiefter Theaterpragmatiker war, für spätere Aufführungen kurzerhand überarbeitet und teilweise gekürzt wurde, rekonstruiert und erstmals herausgegeben. Immerhin wurden die tollsten seiner Uraufführungsnummern gespielt: Vor allem das großangelegte Finale des zweiten Aktes mit dem abschließenden Carillon der Großherzogin, aber auch der „Choeur de la conjuration“ im dritten Akt, der die „Schwerterweihe“ aus Meyerbeers "Hugenotten" persifliert und das brilliante Galop des letzten Bildes. Selbst bei ihm vermeidet Kriegenburg - wie in der ganzen Produktion - jedes Offenbach-Klischee.


Dass diese Offenbachiade mit ihren Couplets, Tänzen und Rhythmen, den verschwenderischen Melodien und überborden musikalischen Einfällen so zündet, ist Lutz de Veers musikalischer Leitung zu verdanken, Er hat Offenbachs ironische musikalische Dramaturgie begriffen. Sein kraftvolles, glasklares Dirigat hat  Temperament, Esprit und Biss. Es zeichnet sich durch scharfe Konturierung, rhythmische Straffheit und unerbittliche Schärfe der Akzentuierung aus, bei immer auch eleganter Leichtigkeit, Offenbach-Glück!


Fazit:  Diese Aufführung ist ein Hochvergnügen von etwa 3 Stunden und eine Reise wert.