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Photo: Jochen Quast
Hoffnung, die schlimmste aller Foltern
Ein aufrüttelnder Abend, der an die Nieren geht
Als letzte Premiere der Spielzeit (30.06.2017) brachte die Dresdner Semperoper einen außergewöhnlichen Doppelabend heraus. Man kombinierte das Opern-Oratorium „Oedipus Rex“ von Igor Strawinsky mit Luigi Dallapiccolas einaktiger Oper „Il Prigioniero“. Der amerikanische Dirigent Eric Nielsen, Chefdirigent des Bilbao Symphony Orchestra und Musikalischer Direktor des Theaters Basel, hatte die musikalische Leitung. Elisabeth Stöppler, Hausregisseurin am Staatstheater Mainz, inszenierte beide Stücke.
Das Opern-Oratorium „Oedipus Rex“ frei nach der antiken Tragödie „Oedipus tyrranos“ von Sophokles wurde 1927 konzertant in Paris uraufgeführt, szenisch 1928 in der Wiener Staats-oper, und schon ein Jahr später zeigte man es erstmals in der Dresdner Staatsoper. Dort wurde das Stück jetzt, nach 90 Jahren erstmals wieder aufgeführt, in Kombination mit der 1950 szenisch uraufgeführten Oper „Il Prigioniero“ (der Gefangene) von Luigi Dallapiccola. Er hatte in Italien die Zwölftonmusik eingeführt, ein italienischer Klassiker der Moderne.
Warum man in der Dresdner Semperoper, zum Saisonende zwei so selten aufgeführte, fürs überwiegende Opernpublikum eher unbekannte Werke kombinierte und gemeinsam an einem Abend zeigt, begründet die Regisseurin, Elisabeth Stöppler folgendermaßen:
„Die beiden Stückesind deshalb so ein unschlagbares Doppel, und deshalb eben verbunden hier, weil sie beide absolut zeitlose Metaphern sind, dem Gefühl der Ohnmacht mit Hoffnung, mit Widerstand, mit Widerstandsgeist zu begegnen.!
In der Tat sind beide Stücke deprimierende Tragödien zweier ohnmächtiger Protagonisten, die - wenn auch vergeblich - hoffen: Bei Strawinsky ist es König Oedipus, der hofft, seine Stadt Theben von der Pest zu befreien. Das Orakel von Delphi verpflichtet ihn, den Mörder seines Vaters zu ermitteln und zu bestrafen, dann werde die Seuche weichen. Das Schicksal wollte es, dass er selbst, ohne es zu wissen, zum Mörder seines Vaters geworden war. Nach-dem ihm Jokaste, seine Mutter und Ehefrau, diese furchtbare Wahrheit enthüllt, zieht er die Konsequenzen und blendet sich. -
Bei Dallapiccola geht es um einen zur Zeit des spanischen Königs Philipps des Zweiten in einem Inquisitionsgefängnis Inhaftierten und Gefolterten, dem vom Kerkermeister Hoffnung auf Befreiung gemacht wird, bis sich am Ende herausstellt, dass der Kerkermeister der Groß-inquisitor selbst ist und alle Hoffnung nur Illusion war, die schlimmste unter allen Foltern
Musikalisch ist der Dresdner Doppelabend kontrastreich. Der Dirigent der Dresdner Aufführung, Erik Nielsen, über Strawinsky:
„Strawinsky hat eine neue Klangwelt erfunden mit seinem Neoklassizismus, Seine Musik in Oedipus Rex ist sehr kantig, aber trotzdem spürt man diesen ungehueren Rhythmus. Man versteht vielleicht nicht jedes Wort, der Text ist ja auf Lateinisch, aber man versteht den Sinn durch die Erzählung davor.“
Tatsächlich hat Strawinsky das von Jean Cocteau stammende Libretto ins Lateinische über-setzen lassen, um dem Stück eine quasi mythische Distanziertheit und archaische Ritual-haftigkeit zu geben.
Die Schauspielerin Catrin Striebeck betritt als Conférencière im Lackhosenanzug die leucht-diodenblinkende, computerdisplaybestückte, ein wenig an „Raumschiff Orion“ erinnernde Bühne, die Annika Haller für das Strawinskystück entworfen hat und erklärt den Zuschauern auf Deutsch, worum es geht. Für die Dallapiccola-Oper hat Annika Haller eine weiße Guck-astenbühne bauen lassen, einen sterilen Gefängnisraum mit einem Fenster als Rückwand, in dem der Dresdner Zuschauerraum sich spiegelt, hinter dem aber auch phantastische Vor-gänge zu sehen sind, die Traumillusionen des Gefangenen, gespielt von Vogelmenschen.
„Also für mich ist es eine besondere Herausforderung, auf die Kontraste zu setzen, also auf das Unterschiedliche dieser beiden Stücke. Und so sind wir den beiden Stücken auch ästhe-tisch begegnet. Bei Ödipus zeigen wir eher etwas sehr Technoides, etwas sehr Klares, fast schon Übermodernes als Grundraum, als Grundoberfläche. Prigioniero ist eher poetisch, opulent, verspielt.“ (Elisabeth Stöppler)
Die Regisseurin hat beide Stücke aus ihrem historischen Kontext gelöst und in die Gegen-wart verlegt. Die Darsteller tragen heutige Anzüge, Straßenkleidung, Casual wear. Damit beraubt sie die Stücke ihrer eigentlichen Verortung und tragischen Fallhöhe, betont aber ihre Aktualität: das Orakel als quasi abrufbares Datenwissen beherrscht nach wie vor die Welt, ebenso gibt es auch heute Willkürherrschaft, Faschismus, religiöse Fanatiker, Folter und brutale Grausamkeit. Ein aufrüttelnder Abend, der an die Nieren geht.
Auch musikalisch ist diese letzte Produktion der Semperoper vor der Theaterpause eindrucksvoll, da beide Stücke, Strawinskys wie Dallapiccolas, energiegeladene, bewegende Kompositionen sind.
„Es ist ein Klischee, das besagt, Zwölftonmusik sei hässlich. Der Prigioniero bei Dalla-piccola ist zwar formal streng komponiert, aber die Musik ist in jedem Moment reines Herz, totale Emotion.“ (Eric Nielsen)
Sowohl die - trotz Zwölftonkompositionstechnik - ungeheuer dramatisch auffahrende, zuwei-len fast puccini- oder ravelhaft „schöne“ Musik Dallapiccolas, als auch die doppelbödige, ironisch distanzierte, rhythmisch prägnante, zitatenreiche Musik Strawinskys, die zwischen Klassik und Jazz, Zirkusmusik und Abgrund changiert, wird unter der energischen Leitung von Eric Nielsen von der Sächsischen Staatskapelle Dresden fulminant gespielt. Auch das rundum überzeugende Sängerensemble, aus dem Stephan Rügamer als Oedipus, Claudia Mahnke als Jokaste und Lester Lynch als Gefangener herausragen, hat zum starken Ein-druck des Abends beigetragen.
Beitrag auch im DLF / Musikjournal