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Photo: Teatro La Fanice / Michele Crosera
Auftakt des Meyerbeer-Jahres mit "L´Africaine" in Venedig
Teatro La Fenice, 23. November 2013
Am zweiten Mai kommenden Jahres jährt sich der Todestag des Komponisten Giacomo Mey-erbeer zum 150sten Male. Neben Richard Strauss und Jean Philippe Rameau ist Meyerbeer der wichtigste Jubilar des kommenden Musikjahres. Mit der Neuproduktion seiner Grand Opéra "L´Africaine" kurz vor Beginn des eigentlichen Meyerbeer-Jahrs hat das traditions-reiche Teatro La Fenice in Venedig mal wieder die Nase vorn. Schon im letzten Jahr hatte es im November mit einer Doppelpremiere von "Tristan" und "Otello" als erstes Opernhaus das Wagner- und Verdi-Jahr eingeläutet. Dass man sich in diesem Jahr ausgerechnet in Sachen Meyerbeer stark macht, begründet Fortunato Ortombina, der künstlerische Direktor des Teatro La Fenice damit, dass Meyerbeer seine eigentliche Karriere in Italien begann.
Tatsächlich hat Meyerbeer seine ersten sechs Opern südlich der Alpen komponiert und urauf-geführt, davon immerhin zwei in Venedig: "Emma di Resburgo" und "Il Crociato in Egitto". Letztgenannte Oper hat man vor sechs Jahren am Teatro La Fenice in einer grandiosen Insze-nierung von Pier Luigi Pizzi wieder ans Licht gezogen. Dass man jetzt am Teatro La Fenice die "Afrikanerin", Meyerbeers letzte und unvollendete Oper herausbringt, die erst ein Jahr nach seinem Tod, 1865, in einer stark gekürzten und bearbeiteten Fassung von Francois-Joseph Fétis das Licht der Bühnenwelt erblickte, hat seinen Grund: Sie ist die am Teatro La Fenice am meiste aufgeführte Oper von Meyerbeer. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gab es dort 59 Aufführungen.
„Und da wir das deutscheste Opernhaus Italiens sind, wollten wir natürlich mit diesem Stück das Meyerbeer-Gedenkjahr eröffnen“ (Fortunato Ortombina).
In Deutschland, speziell in Berlin, wo Meyerbeer geboren wurde, wo er aufwuchs und 1842 von Kaiser Wilhelm dem Dritten zum Preußischen Generalmusikdirektor ernannt wurde, hät-te er es weit mehr verdient, dass an ihn erinnert würde, denn gerade in Deutschland wurde er durch Richard Wagner und danach durch die Nazis nachhaltig verunglimpft und verdrängt. Doch in der deutschen Hauptstadt mit ihren drei Opernhäusern sucht man vergebens nach Meyerbeer in den Spielplänen. Es war das Chemnitzer Theater, das schon im Mai dieses Jahres einen mutigen Vorstoß in Sachen Meyerbeer unternommen hat mit der Erstaufführung der erst kürzlich erschienenen kritischen und kompletten Ausgabe der "Afrikanerin", mit allem, was Meyerbeer zu diesem Stück hinterlassen hat. Diese Version wurde Meyerbeers Wunsch entsprechend nach der der männlichen Hauptfigur benannt: "Vasco de Gama.
Es verwundert daher schon, dass man die Oper in Venedig jetzt mehr oder weniger in der alten Fassung spielt. Doch Fortunato Ortombina rechtfertigt seine Entscheidung pragmatisch: Er wolle das Stück als Show geben, die das Publikum nicht überstrapaziere und mit einem Titel, den die Venezianer kennen. Die Grand Opéra würde sechs Stunden dauern. In Venedig dauert die Oper etwas über vier Stunden, inklusive zwei Pausen, exklusive Ballett.
In der von dramatischen Kürzungen gebeutelten italienischen Opernlandschaft ein so auf-wendiges Stück herauszubringen, nötigt Respekt ab. Möglich war das nur, weil man sich in Venedig zu szenischem Recycling entchloß. Regisseur Leo Muscato und Ausstatter Massimo Checchetto haben Dekorationen und (Renaissance- sowie phantasie- Exoten-Kostüme weitgehend aus dem Fundus des Theaters bestückt: Auch Ratssaal mit riesigen Radleuchtern, Schiffsdeck samt Takelage (eigenet sich hervorragend auch für Wagners "Tristan,) , vergit-tertes Gefängnis und Anlegestelle am Meer mit darüber hängendem Baum stammen aus anderen Produktionen. Die ziemlich „werktreue“ Inszenierung mutet daher fast wie eine Aufführung aus dem Opernmuseum an. Sie hat etwas Rührendes in ihrer bemühten Realistik und Exotik jenseits allen Regietheaters. Leider hat der Regisseur nur eine sehr klischeehafte Personenzeichnung vorgenommen. Die eigentlichen, psychologisch interessanten Konstel-lationen werden weitgehen zugunsten von hübschen, aber nichtssagenden Tableaus, allzu grausamen Folterszenen von Statisten im Kerker und geradezu parodistisch anmutendem Gewusel von Seeleuten und enternden Ureinwohnern "Indiens" im Sturm des dritten Akts aufgegeben. Ansonsten wird schön an der Rampe gesungen.
Immerhin kann man bei der sängerischen Besetzung - was die männlichen Partien angeht - mit dem Hausensemble überzeugen. Sowohl Luca Dall´Amico als Don Pédro, als auch Da-vide Ruberti als Don Diégo sind virile Baritone von Format. Auch der Chor singt sehr gut. Die beiden weiblichen Hauptpartien lassen allerdings sehr zu wünschen übrig. Jesssica Pratt mit ihrem feischig-unbeweglichen (aber lauten) Sopran verfügt als Inès nicht ansatzweise über das Legato und die Koloraturenwendigkeit, die die Partie erfordert. Auch die jungeVeronica Simeoni schien sich mit ihrem Mezzosopran in eine Partie verirrt zu haben, die sie eher nicht singen sollte. Der exotisch-wundervollen Partie der Sélika bleib sie Manches schuldig, auch wenn sie sich achtbar und standhaft in den süßen Düften des Manzanilla-Baumes aushauchte, jenem Liebestod der anderen, eben gar nicht wagnerschen Art. In Chemnitz hatte man erstaunlicherweise weitaus angemessenere Sängerinnen zur Verfügung gehabt. Der verdiente Rossini-Tenor Gregory Kunde hingegen (der im vergangenen Jahr schon einen achtbaren Otello sang) verblüffte in der heldischen Partie des Vasco de Gama mit Kraft und souveräner Gestaltung.
Dass man in Venedig die überdimensionierte Pariser Uraufführungs-Orchesterbesetzung - wie schon in Chemitz - nicht realisieren konnte, verwundert nicht. Wer sollte das bezahlen? Meyerbeer wünschte sich ja neben großem Streicherapparat allein 14 Holzbläser, 18 Blechbläser einschließlich Naturhörnern, Naturtrompeten und Ophikleide, zusätzlich 22 Saxophone und vier Harfen, ganz zu schweigen von großer militärischer Bühnenmusik mitsamt Kanonen.
Insofern bekam man im Teatro La Fenice (wie schon in Chemnitz) nur einen gewissermaßen skelettierten Meyerbeer präsentiert. Dass die „Afrikanerin“ seinerzeit das zeitgenössische Publikum von den Hockern riss mit ihrer opulenten wie originellen Musik, in der Berlioz und Offenbach grüßen lassen, aber auch schon Verdi und Wagner-Vorklänge zu hören sind, war nur ansatzweise zu hören. Dirigent Emmanuel Villaume dirigierte die Oper ziemlich hemds-ärmlig, setzte eher auf krachende Vordergründigkeit und militärische Zackigkeit statt auf die delirierenden, halluzinatorischen Farben und die schillernd-exotischen Klänge Meyerbeers. Es ist wie bei Rossini, man muß auch zur Tonsprache Meyerbeers eine besondere Affinität haben, um sie gerade heute zu beglaubigen. Das gelang in Venedig leider nicht ganz.
Man vergesse nicht: Meyerbeer wurde im Todesjahr Mozarts geboren und starb im Geburts-jahr von Richard Strauss. Er repräsentierte vor Wagner den Höhepunkt fortschrittlicher dra-matisch-musikalischer Bühnenkunst des 19. Jahrhunderts. Doch wegen seines Judentums vor allem wurde seine Leistung vielen Verzerrungen und Verleumdungen ausgesetzt, bis ins erste Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts. Was bis heute nicht wirklich korrigiert wurde. Meyer-beer war ein Weltbürger der Musik, zwischen Frankreich und Deutschland pendelnd, jenseits aller Nationalstile. Er hat ähnlich wie Heinrich Heine den Finger an die gesellschaftlichen Wunden seiner Zeit gelegt. Und hat sie auf fast schon moderne patchworkartige Weise zum Klingen gebracht. Mit unverwechselbarem Idiom. Gerade deshalb verdient und benötigt er heute besondere Aufmerksamkeit, gewiss mehr als Richard Strauss, der ja landauf, landab längste etabliert ist.
Dem Teatro La Fenice gebührt - auch wenn man sich sängerisch und dirigentisch etwas ver-hoben hat – zweifellos Dank für diese – wenn auch suboptimale, aber schöne - Ausgrabung der "Afrikanerin", denn in ihr handelt Meyerbeer, gemeinsam mit seinem Librettisten Eugène Scribe ein nach wie vor aktuelles Thema ab, das uns auch heute noch etwas angeht. Es geht in der Dreiecksgeschichte des portugiesischen Seefahrers und Entdeckers, der zwischen zwei Frauen aus Orient und Okzident steht, ein tumber Tor von Liebhaber, um einen Kolonialismus- und Kulturkonflikt: Europäischer Eroberer gegen edle Wilde. Meyerbeer spricht sich in dem Stück eindeutig gegen jede politische wie religiöse Gewalt und Ideologie aus, wie auch in seinen Opern "Die Hugenotten" oder "Der Prophet", um nur zwei weitere Stücke zu nennen. Freiheit und Unterdrückung – von Frauen, gesellschaftlichen Gruppen oder Aussenseitern - im Orient wie im Okzident, bei Juden, Christen und Brahmanen, das sind die Themen Meyer-beers.
"Er erteilt politische, ethische Lektionen auf dem Theater" (Fortunato Ortombina) .
Man sollte seine anspruchsvollen wie gewagten Opern häufiger aufführen. Aber bitte nur in angemessener sängerischer, orchestraler wie dirigentischer Besetzung!
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