M Eine Stadt such einen Mörder. UA Komische Oper

Foto: Monika Rittershaus


Überflüssige Fritz Lang-Veroperung

„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ - Uraufführung an der Komischen Oper Berlin. Premiere  5. Mai 2019

 

Fritz Langs Film Eine Stadt sucht einen Mörder  aus dem Jahre 931 ist ein Kindermörderklas-siker und eine Ikone der Filmgeschichte, in der eine Stadt: Bürger, Staatsbeamte und Kriminel-le einen Mörder jagen. Barrie Kosky und Ulrich Lenz (Libretto) machen Fritz Langs berühm-ten Kriminalfilm aus dem Jahre 1931 zum Ausgangspunkt ihrer einaktigen Oper. Anders als im Film steht im Zentrum ihres Werks allerdings der Mörder als von sich selbst getriebenes, ver-folgtes, gejagtes Opfer. Eine Phantasie im Kopf des Mörders soll das sein. Als mitleiderre-gende Kreatur wird er vorgeführt auf schmalem Laufsteg. Hauseingänge und Amtstüren schie-ben sich scheinbar endlos zieharmonikaartig hinter ihm vorbei. Er wird gezeigt als gewöhnli-cher, unauffälliger Mann in Jeans und T-Shirt, zwischen Luftballons und tanzenden, niedlich hüpfenden kleinen Mädchen, singt gelegentlich ein Kinderlied, etwa das vom "Bi-Ba-Butze-mann" und er räsonniert, lamentiert, barmt viel. Nur, was das für ein Wesen ist, wie es zu be-werten ist, bleibt offen. Die Ooper erregt Mitleid mit ihm. Und wo bleibt das Mitleid mit den kindlichen Opfern? Das 100minütige Werk muss sich den Vorwurf gefallen lassen, in moralisch bedenklichem Gewässer zu manövrieren.

 

Moritz Eggert, gewiss einer der fleissigsten und mit vielen Preisen ausgezeichneten Gegen-wartskomponisten  hat die Musik dazu geschrieben. Seine  Vertonung basiert auf einer  Kombi-nation von Textpassagen des Drehbuchs mit Kinderliedern und Gedichten von Walter Mehring. Sie laviert geschickt zwischen Oper, Musical und (elektronischer) Populärmusik. Sie schert sich nicht um „Avantgarde“ oder „Neue Musik“, Begriffe, die ohnehin längst obselet geworden sind. Eggert spricht von "assoziativer" Musik. "Instrumentaklänge, die man in der Kindheit gehört hat. Dazu gehören auch diese 80er Jahr-Synthesizer-Klänge." Er hat sie mit Anklängen an Musik der Zwanzigerjahre verfremdet. Aber auch Texte, vor allem Lieder der Zwanziger-jahre werden vorgetragen, "Warte, warte nur ein Weilchen...“ Ein Ohrwurm aus Edvard Griegs Peer-Gynt-Suiten fungiert als Leitmotiv. Immer wieder denkt man beim Hören an Morita-tengesang, Kurt Weill und die Dreigroschenoper lassen Grüßen.


Die Produktion ist ein geschickt aufgedonnertes „Sing-Hörspiel“, das nicht kleckert, sondern klotzt. Sprache, Geräusche und Musik vereinigen sich zu einem irisierenden, opulenten Klang-gemälde, das den Zuschauer  mithilfe eines elektronisch verstärkten und teilweise verfremdeten Surround-Klangs in den Kopf des Mörders entführen soll. Dazu Voice-over, Stimmen aus dem Off, sechs Schauspieler(Inn)en, singen aus dem Orchestergraben. Ein Mix aus Melodien, sphä-rischen Klangräumen, Drehorgeln, Jazz und Synthesizern ergeben die Sinfonie einer Großstadt, die ein bedrohliches Seelengemälde des Gejagten aus seiner Perspektive sein soll. Nur: Das Seelendrama findet nicht wirklich statt. Weder musikalisch, noch dramaturgisch.


Massen von Kinderstatisten mit Erwachsenen-Wasserköpfen, die zu eindrucksvollen Fratzen mutiert sind, scharen sich um den  Mörder, den der texanische Bariton Scott Hendricks ver-körpert, der einzige Mensch von normaler Statur in Barrie Koskys Inszenierung auf Klaus Grünbergs schlichter Bühne. Kinder spielen  geschrumpfte, verhärmte Erwachsene. Das hat Kosky - zugegeben -  eindrucksvoll in Szene gesetzt. Wahnsinn im Kleinformat? Ihre Stimmen – singend und sprechend – erklingen aus dem Orchestergraben. Eine große Herausforderung für den (erweiterten) Kinderchor der Komischen Oper Berlin (Dagmar Fische). Moritz Eggert schrieb für das Werk den in der Musiktheaterliteratur wohl größten Part überhaupt für einen Kinderchor. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Generalmusikdirektor Ainars Rubikis, der dem Affen Zucker gibt bei der Uraufführung dieser fragwürdigen Auftragskompo-sition, die finanziert wurde von der Ernst von Siemens Musikstiftung. Ein gewaltiger Aufwand. Nur: musste er sein? Was bringt es, den grandiosen Film zu veropern?  Er ist nicht zu toppen, schon gar nicht mit dieser Oper.


Artikel auch in der nmz (Printausgabe)