Bayreuthbilanz 2016

Photo: Dieter David Scholz

 

 

Während die Fassade des Festspielhauses in diesem Jahr nach jahrelanger Sanierung in neuem Glanz erstrahlt, bleibt ein Großteil des alten Publikums weg. Noch nie war es so leicht, an Karten zu kommen. Die Bayreuther Traumfabrik hat gewaltig an Anziehungskraft, Aura und Nimbus eingebüßt. Der Mythos Bayreuth bröckelt.


Ein neuer "Parsifal" nach zwei Absagen. Eine regieliche Notlösung und ein dirigentischer Glücksfall

140 Jahre Bayreuther Festspiele. Bilanz  2016      


Am 25 Juli begannen die diesjährigen 105. Bayreuther Festspiele, am 28. August gehen sie  zu Ende. Seit 140 Jahren, finden sie statt, die Bayreuther Richard Wagner Festspiele, das älteste und wohl bedeutendste Festival überhaupt.


Es war am 13. August 1876, als in Bayreuth die ersten Richard Wagner Festspiele eröffnet wur-den. Auf dem Programm stand die erste komplette Aufführung des „Rings des Nibelungen“. Die Tetralogie wurde dreimal wiederholt. Das gesellschaftliche Echo war zwiespältig. Die Presse-reaktionen waren überwiegend ablehnend. Ein gewaltiges finanzielles Defizit liess künftige Festspiele in weite Ferne rücken. Erst sechs Jahre später, 1882, wurden sie mit der Uraufführung des „Parsifal“ zum international gefeierten Erfolg. Ein Jahr später starb Richard Wagner. Seine Ehefrau Cosima übernahm die Leitung der Festspiele, die sie 1908 an ihren Sohn Siegfried abtrat. Cosima hatte aus dem Familienbetrieb ein florierendes Unternehmen entwickelt. Doch Erster Weltkrieg und Inflation veränderten die Situation. Die alten Wagnerianer blieben weg. Man spielte nur noch mit oft jahrelangen Unterbrechungen. Als Siegfried Wagner 1930 starb, waren die Bayreuther Festspiele nahezu bankrott. Siegfrieds Witwe Winifred wurde Herrin des Hügels und machte sich bewusst zum Steigbügelhalter für Hitler. Der revanchierte sich und stellte die Bayreuther Festspiele unter seinen persönlichen Schutz. Er rettete die Bayreuther Festspiele vor der Pleite und finanzierte sie bis zu deren Schließung 1944 in beträchtlichem Maße.   


1951 wurden mit einem neuen "Parsifal" unter Leitung von Hans Knappertsbusch die soge-nannten "Neubayreuther Festspiele" aus der Taufe gehoben. Die Siegfried-Söhne Wieland und Wolfgang leiteten sie, nachdem ihre Mutter wegen ihrer Naziverstrickungen abdanken musste. Neue Sänger, neue Dirigenten und neue Regiekonzeptionen zogen ins Bayreuther Festspielhaus ein. Man sprach von „Entrümpelung“. Es war eine szenische Revolution der Wagnerbühne. Mit erstklassigen Sängern und Dirigenten gelang den Brüdern aber noch einmal die Verwirklichung dessen, was Richard Wagner ursprünglich vorgeschwebt hatte: modellhafte, mustergültige, maßstabsetzende Produktionen.


Als Wieland Wagner 1966 - kaum 50 Jahre alt – starb, fiel seinem Bruder Wolfgang das alleinige Erbe der Festspielleitung zu. Wolfgang machte Bayreuth zum Spiegel des europäischen Opern-marktes. Er bescherte in seiner selbsternannten „Werkstatt Bayreuth“ viel Mittelprächtiges, aber auch Sternstunden des Musiktheaters,  nicht zuletzt Patrice Chéreaus „Jahrhundertring“. Unter  Wolfgang Wagner avancierten  die  Bayreuther Festspiele zu einem der erfolgreichsten Festspiel-unternehmen der Welt. 10 Jahre betrug im Durchschnitt die Wartezeit auf eine Karte. 2008 erklärte Wolfgang Wagner nach langen Querrelen um seine Nachfolge seinen Rücktritt als Festspielleiter. Er gab das Amt an seine Töchter Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner ab. Die beiden  Festspielleiterinnen haben vor allem mit der Auswahl ihrer Regisseure einen Großteil  des treuen, wagnerinteressierten Publikums verärgert und vertrieben. Das Publikum hat sich gewaltig verändert.  Langjährige Bayreuthkenner beklagen, dass die treuen Wagnerianer längst Wagner im Rest der Opernwelt aufsuchen, während Bayreuth heute überwiegend von einem uniformierten, oberflächlichen Eventpublikum aufgesucht wird. 


*

In diesem Jahr wurden die Wagner-Festspiele  mit einer Notlösung eröffnet, denn eigentlich sollte der umstrittene Aktionskünstler Jonathan Meese den neuen „Parsifal“ inszenieren. Nach-dem der mit Naziparolen auf sich aufmerksam machte, hatte die Festspielleitung ihn - mit der Begründung zu hoher Kosten seiner Inszenierung  - gechasst. Der Lückenbüsser wurde  Regis-seur Uwe-Eric Laufenberg. Das war – nach dem uvergessenen „Parsifal“ von Stefan Herheim eine ziemliche Enttäuschung,  denn Laufenberg hat das „Weltabschiedswerk“ Wagners, das ja „Erlösung“ durch Entsagung und Mitleid predigt, als  Religionsdrama über bedrohtes Christen-tum zelebriert, irgendwo zwischen Oberammergau und Nahost,  Harem und Herrgottswinkel.


Das ist eigentlich ein Mißverständnis des Stücks, denn in ihm geht es um Eros und Verzicht, nicht um Religion. Wer das Libretto genau liest, weiß das.  Wagner hat sich dazu  eindeutig und unmißverständlich äßert. Davon abgesehen, ist die Inszenierung Laufenbergs ins allzu Stadtthe-aterhaft-Konventionelle abgedriftet, wie man es schon lange nicht mehr gesehen hat. Schaurig zum teil, an Kitsch grenzend. Die Aufführung stiess denn auch beim Publikum nicht auf große Begeisterung, von der  Kritikerzunft ist sie ziemlich einhellig verrissen worden. Laufenberg holte übrigens auf der Internetplattform „nachtkritik“  zum Gegenschlag aus und hielt Kritikern wie Kollegen des sogenannten „Regietheaters“ eine gepfefferte Gardinenpredigt.  Nicht gerade ein zeichen von Größe.



Auch der Dirigent dieses „Parsifal“ war eine "Notlösung", da nur wenige Wochen vor der Pre-miere der Dirigent Andris Nelsons das Handtuch geworfen hatte. Angeblich, so hörte man,  habe ihm der neue Musikdirektor Christian Thielemann zu viel reingeredet. In letzter Minute sprang der Dirigent Hartmut Haenchen für Andris Nelsons ein. Das war tatsächlich alles andere als eine „Notlösung“, sondern ein großer Glücksfall, denn Haenchen, der in Paris und Brüssel, Amster-dam und andernorts "Parsifal" dirigierte, das Stück so gut kennt, wie nur wenige Kollegen,  rette-te die Produktion und dirigierte einen fabelhaften, ich möchte fast sagen üverwältigenden „Parsi-fal“, wie man ihn in Bayreuth so noch nicht hörte. Haenchen wurde zurecht von Publikum wie Presse gefeiert für sein schlankes, flüssiges, unpathetisches, unweihehaftes Dirigat, und erstmals in der Geschichte Bayreuths wurden bei diesem Dirigat Erkenntnisse der "historischen Auffüh-rungspraxis "aufgegriffen, das gab´s noch nie in Bayreuth. Haenchen geht mutig und in Kenntnis der Uraufführungsbedingungen wie auch Wagners Absichten gegen schlampige und verkrustete Aufführungstraditionen und Spielkonventionen an. Großartig kann man nur sagen. Das war  über-fällig.  Man kann nur hoffen, dass Haenchen auch in den kommenden Jahren weiter daran arbeiten darf in Bayreuth.


 

Mit Klaus Florian Voigt in der Titelpartie, der neuen Hochdramatischen Elena Pankratova als Kundry und dem überragend wortverständlichen Georg Zeppenfeld als Gurnemanz war dieser „Parsifal“ gesanglich bestens besetzt. Leider kann man das von den übrigen Aufführungen nicht  sagen. Es gab allerhand Um- und Neubesetzungen bei den diesjährigen Festspielen, Licht und Schatten. Im "Fliegenden Holländer“ von Jan Philipp Gloger, eine ziemlich belanglose,  kaum erwähnenswerte Inszenierung, wurde immerhin die Partie des Erik mit dem sensationellen Tenor Andreas Schager neubesetzt, der im nächsten Jahr den Parsifal singen wird. Er ist übrigen einmal für den erkrankten Kollegen Voigt eingesprungen und erntete Bravostürme. Dann gibt es ja noch Katharina Wagners  wenig inspirierte, vom Publikum wenig geliebte „Tristan“- Inszenierung. In der war  Petra Lang die neue Isolde. Sie sang bisher in Bayreuth nur tiefe Partien.


Was Katharina angeht: Sie ist ja inzwischen die alleinige Intendantin der Bayreuther Festspiele. Aber ihre Machtbefugnis  ist begrenzt worden. Ihr zur Seite steht seit April dieses Jahres  Holger von Berg als geschäftsführender  Direktor. Katharina Wagner tritt inzwischen kaum noch öffent-lich auf,  nach der Wiederaufnahmepremiere ihres “Tristan“ hat sie sich aber dem Publikum gezeigt und erntete reichlich Buhs. -

 


Im Mittelpunkt der diesjährigen Festspiele stand wieder Frank Castorfs umstrittene „Ring“-In-szenierung. Sie hat auch in ihrem vierten und vorletzten Durchgang das Publikum gespaltet.  Be-sonders am Ende des "Siegfried" buhte das Publikum gewaltig. Die Sänger kamen besser weg, auch wenn das Ringensemble sehr durchwachsen ist. Da gab es übrigens auch eine Reihe von Umbesetzungen. Nach wie vor sensationell ist die Brünnhilde von Catherine Foster. Neu ist die Waltraute von Marina Prudenskaya, und sie war wirklich hinreißend. Eine Sängerin von großem Format! Gespannt war man auf Marek Janowski, den neuen Mann am Pult dieses „Rings“. Der erfahrene Wagnerdirigent, der zuletzt in Berlin einen aufsehenerregenden konzertanten "Ring" dirigierte,  nachdem er sich eigentlich von der Opernbühne zurückgezogen hatte, überraschte mit einem dramatisch-romantischen Dirigat. Nach dem ausgeschiedenen Kiryll Petrenko eine echte Alternative.


Doch die Bayreuther Festspiele waren  in diesem Jahr anders als sonst. Keinen Familienskandal gab es in diesem Jahr.  Und zum ersten Mal gab es keinen roten Teppich. Das traditionelle Schau-laufen von VIPs, Stars, Sternchen und Polit-Prominenz wurde aufgrund der jüngsten Attentate in Deutschland abgesagt. Die Festspiele fanden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und mit großem Polizeiaufgebot statt. –  Aber es ist auch darüber hinaus unverkennbar:  Die Bayreuther Traumfabrik hat gewaltig an Anziehungskraft, Aura und Nimbus eingebüßt. Der Mythos Bay-reuth bröckelt. Katharina und Eva haben, seit sie die Festspielleitung von ihrem Vater über-nahmen, vor allem mit der Auswahl ihrer Regisseure einen Großteil  des treuen, wagnerinteres-sierten Publikums verärgert und vertrieben. Unter Katherinas alleiniger Führung schlingern die Bayreuther Festspiele in komplizierter gewordener Rechtsform durch rauhe See einer ungewis-sen Zukunft entgegen. Während die Fassade des Festspielhauses in diesem Jahr nach jahrelanger Sanierung in neuem Glanz erstrahlt, bleibt ein Großteil des alten Publikums weg. Noch nie war es so leicht, an Karten zu kommen. Im Internet und am Abend. Das gab es zu Wolfgang Wagner Zeiten nicht. Da musste man im Schnitt 10 Jahre auf eine Karte warten. Die Zeiten haben sich gewaltig geändert.


Die Stimmung am „Grünen Hügel“ war in diesem Jahr besonders  trist.  Trotzdem: Ich finde, des Castorfschen Rings wegen lohnte sich der Besuch der Festspiele.  Aller Kontroversen um Cas-torfs politisches Musiktheater zum Trotz muss man  angesichts vieler belangloser „Ringe“ in der jüngeren Bayreuther Vergangenheit doch zugeben, dass Castorfs „Ring“-Deutung, man mag zu seiner Personenführung stehen wie man will, ein  außergewöhnliches, denkanregendes Theater-ereignis ist. 2020 wird es einen neuen „Ring“ geben. Und schon im nächsten Jahr eine neue „Meistersinger“- Inszenierung von Barrie Kosky. Man darf gespannt sein! Wie auch immer diese Produktionen ausfallen werden: Die Wirkung des Narkotikums Bayreuth  hat spürbar nach-gelassen. Schon jetzt müssen die Bayreuther Festspiele um ihr Publikum kämpfen. Aber viel-leicht wird ja bald alles anders. Die Gerüchte verdichten sich, dass Katharinaa Wagner nach 2020 nicht nehr die Leiterin der Bayreuther Festspiele sein wird, wie auch in mehreren Zeitungen zu lesen war...... Aber "Weisst Du, wie das wird?"



Verschiedene Beiträge in  DLF Musikjournal , SWR 2 Cluster und MDR Kultur.