Briefwechsel Raff Bülow

Nicht nur in Sachen Wagner:

Aufschlussreicher Briefwechsel & musikhistorische Quelle 

Eine editorische Glanzleistung 


Simon Kannenberg: Joachim Raff und Hans von Bülow. Porträt einer Musikerfreundschaft. Briefedition 2 Bände. Band 1: 492 Seiten, Band 2: 714 Seiten.

ISBN: 978-3-8260-7162-1, 125 Euro

 

 

Zeitweise war Joachim Raff persönlicher Sekretär und Assistent Liszts in Weimar. Er hatte vor allem die Instrumentierung von Liszts Orchesterwerken durchzuführen, was ihm zwar keine Lorbeeren, aber reichlich Erfahrung eintrug. Er übersiedelte nach Wiesbaden, schließlich nach Wien. Im Jahre 1878 folgte er der Berufung zum ersten Direktor des Hoch´schen Konservatorium in Frankfurt am Main, das dank seinem Wirken recht schnell einen internationalen Ruf erlangte. Als Pädagoge war er weithin geschätzt, als Komponist (der „Neudeutschen Schule“ gehörte er eher in die zweite Riege. Der weitgehend autodidaktische Komponist und Liszt- sowie Mendelssohn-Verehrer (beide protegierten ihn) lernte in Stuttgart den schon zu seinen Lebzeiten berühmten Pianisten (und Dirigenten) Hans von Bülow kennen. Ein Jahr vor Wagners Tod starb er an einem Herzinfarkt.

Seine Verehrung für Liszt und Wagner, der schließlich zu Liszts Schwiegersohn wurde, als er Cosima, die Tochter Liszts heiratete, war das Scharnier der Freundschaft mit Hans von Bülow, dem ersten Ehemann Cosima Liszts und glühendem Wagnerverehrer und -Dirigent. Hans von Bülow, der mit Clara Schumann und Johannes Brahms befreundet war, gehörte zweifellos zur ersten Riege der international renommierten, auf zahlreichen Gastspielen gefeierten Pianisten und Dirigenten. In Zürich, wo Wagner sein Exil hatte, war er noch „Schüler“ und enger Freund Wagners. Als dieser in den 1860er Jahren eine Beziehung mit seiner Frau Cosima (die Liszt ihm zugeführt hatte, damit sie standesgemäß unter die Haube kam) begann, endete die Freundschaft. Seiner Begeisterung für Wagners Musik tat dies aber keinen Abbruch. Immerhin ist ihm die erfolgreiche Uraufführung des Tristan“ zu verdanken, die er als Königlicher Hofkapellmeister in München (wohin Wagner ihn empfohlen hatte) vollbrachte. Schließlich wurde er 1887 der erste Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, die unter ihm zu einem Eliteorchester wurden. Bülow starb 1894 bei einem Gastspieil in Kairo/Ägypten.


Simon Kannenberg hat in seiner respektgebietenden, zweibändigen Mammutpublikation, die auf seiner Hamburger Dissertation 29019 basiert, zum ersten Mal in aller Ausführlichkeit und wissenschaftlichen Präzision „die freundschaftliche Beziehung zwischen einem der zeitweilig meistaufgeführten Komponisten und einem der führenden Meisterinterpreten des 19. Jahrhunderts“ untersucht und dargestellt.  Erstaunlich die überaus große Wertschätzung des Komponisten Raff durch Bülow, der dessen Werke so oft wie möglich aufführte, wie man erfährt.

Der erste Band ist chronologisch-biographisch angelegt in Bezug auf die beiden Briefeschreiber, deren Lebensstationen sich teils entsprachen oder überkreuzten: Stuttgart, Leipzig, Weimar, St. Gallen, Paris, Biebrich bei Mainz, Berlin, München, Florenz Hannover und Frankfurt. Der Aktionsradius der beiden Musiker war weit, entsprechend weit ist der Horizont vorliegender Untersuchung.


Schon im ersten, noch mehr im zweiten Band, der den Briefen vorbehalten ist, erfährt man sehr viel Privates, Familiäres ja intimes aus dem Leben der beider Briefeschreiber. Durchaus auch Differenzen zwischen ihnen werden sichtbar, beispielsweise war Bülow gar nicht angetan von Raffs seinerzeit vielbeachteten kritischen Schrift „Die Wagnerfrage“ aus dem Jahre 1854.

Vor allem aber über Bülows Gattin Cosima, die ihn in München verließ, wo er auf Empfehlung Wagners das Hofkapellmeisteramt innehatte, um mit Wagner in wilder Ehe zusammenleben und ihn schließlich nach erfolgreicher Scheidung von Bülow zu heiraten, erfährt man viel. Es war ein gesellschaftlicher Skandal ersten Ranges, die schließlich König Ludwigs Verbannung Wagners aus München nach sich zog. Auch von den enormen Honoraren, die Bülow als Dirigent erhielt, schreibt er in seinen Briefen. Am 22. Dezember 1868 berichtet e an Raff: „Himmel was ich jetzt Geld machen kann für Andere. Die zwei Hans Sachs-Konzerte in Nürnberg haben 1500 Gulden zusammen eingetragen. (Das sind umgerechnet etwa 15.000 Euro).


Die Publikation ist aus heutiger Sicht eine wertvolle musikhistorische Quelle, schließlich war Bülow außerordentlich gut vernetzt im Musikbetrieb seiner Zeit. Der Briefwechsel zwischen Raff und Bülow, den Kannenberg zum ersten Mal vollständig, ungekürzt und mustergültig herausgibt, bildet „einen Fortlaufeden Kommentar zur Musikgeschichte des 19.Jahhundertts2, wie schon Hans-Joachim Hinrichsen bemerkte, der Kannenberg zu seiner Arbeit inspirierte. Die 176 ermittelten Briefe zwischen Raff und Bülow werden in einem eigenen, mehr als 700seitenBand abgedruckt und kommentiert. Eine editorische Glanzleistung und eine Pioniertat, denn diese Korrespondenz schließt Lücken und erlaubt manche genauere Beurteilung und Positionierung bedeutender Musiker und Komponisten, allen voran Richard Wagner:


In einem Brief vom 1. Juli 1865liest man: „Es geht drollig her, ich dirigiere die Wagnerschen Opern, trotzdem der Komponist anwesend ist ... und dieser wunderbare König. Zu jeder Aufführung Extrazug hin und zurück von Starnberg“. In einem Brief vom 25. Juli 1865 betont Bülow: „am Tristan ist er nicht verschieden.“ Gemeint ist der Uraufführungs-Sänger der Partie, Schnorr von Carolsfeld. Es hielten sich hartnäckige Gerüchte, er sein den übermenschlichen Anforderungen der Partie gestorben“.  Auch kann man der Entstehung von Bülows herrlicher, heute kaum bekannter Bund gespielter Meistersinger Quintett-Paraphrase beiwohnen, deren Publikation Joachim bei Schott vermittelte. Bezeichnend auch eine Äußerung über sein Verhältnis zu Wagners Verleger: „Zwischen Schott und Wagner stecke ich niemals meinen Vorwitz, sondern höchstens meinen Treppenwitz.“ In einem Brief vom 13.4. 1869 Berichtet Bülow “Rubinsteins Quartett fiel durch, trotz der durch Wagners Broschüre erwachten Sympathie für Judenmusik“ Eine Anspielung auf Wagners folgenreiches Pamphlet „Das Judentum in der Musik“. Bülow war übrigens überzeugter Antisemit. Er gehörte zu den Erstunterzeichnern der Petition, die 1880/81 deutsche Antisemiten der Berliner Bewegung an den Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck richteten, um die Rücknahme wesentlicher Gleichstellungsgesetze für Juden zu erreichen. Wagner, den bedrängt wurde, auch zu unterzeichnen, wollte damit allerdings nichts zu tun haben. Die dunkle Seite Hans von Bülows, auch sie wird In diesem Briefwechsel sichtbar. Aus seiner kritischen Haltung gegenüber Wagners Schriften macht Bülow keinen Hehl, beispielsweise schreibt er am 2. Februar 1870, dass es in Wagners Aufsatz „Über das Dirigieren“ „nicht an fachlichen Irrtümern fehlt“. Dieser Briefwechsel ist hochinteressant!


Man kann ihn auch als Musiker-Lexikon benutzen. Entsprechend stabil und gediegen sind die beiden fadengehefteten Bände mit insgesamt mehr als 1200 Seiten ausgestattet. Eine herausragende Edition, die nicht nur die Freundschaft Raff – Bülow besser verstehen lässt, sondern auch das ganze Musikleben des 19. Jahrhunderts, nicht zuletzt Richard Wagner, seine Persönlichkeit, sein Werk und dessen Aufführungen in seiner Zeit. Kannenberg hat in seiner Arbeit (er bekennt: „es sei „fast mehr eine Arbeit über Bülow als über Raff geworden“) keine Mühen gescheut, Lebenswege, Reisen, Begegnungen mit Musikern, Konzertprogramme, Werke und Interpretationen Bülows (auch Raffscher Werke, die er sehr schätzte) aufzuspüren und zu dokumentieren. Es gibt neben vielen Abbildungen sehr aufschlussreiche Kommentare, nützliche Orts- und Personenregister, Werk- und Aufführungsverzeichnisse und ein vorbildliches Quellen- und Literaturverzeichnis: Ein Standardwerk in Sachen Raff und Bülow schon jetzt.


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