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Fotos Birgit Gufler / Festival Alter Musik Innsbruck
Respektable, aber keineswegse mitreißende Reanimierung einer vergessenen Oper bei den Innsbrucker Festwochen Alter Musik:
Geminiano Giacomellis „Cesare in Egitto“
Macht, Liebe und Intrigen walten im alten Ägypten. Gleich drei Herrscherhäuser sind in die politischen Gefälle des Landes verstrickt in der weithin bekannten Liebesgeschichte zwischen dem römischen Kaiser Cäsar und der Pharaonen-Herrscherin Kleopatra.
Opernstoffe aus der römischen Geschichte sowie „exotische“ Schauplätze waren im 18. Jahrhundert vor allem in der Handelsrepublik Venedig – deren Kaufleute ständig mit fremden Kulturen in Kontakt kamen – äußerst beliebt, wobei sich das ägyptische Sujet als außerordentlich populär erwies. Die Liebesgeschichte zwischen Julius Caesar und Kleopatra (die aus Makedonien stammte und somit Griechin aus dem früheren Imperium Alexanders des Großen war) wurde bereits in den Schriften der antiken Historiker Plutarch und Sueton erwähnt und war dem venezianischen Publikum bereits gut bekannt. Sie wurde unzählige Male von Librettisten bearbeitet und von Komponisten vertont, unter anderem auch von Geminiano Giacomelli.
Der heute fast vergessene Komponist (geboren am 28. Mai 1692 in Piacenza, gestorben am 25. Januar 1740 in Loreto) hat etwa 10 Jahre nach Georg Friedrich Händels „Masterpiece“ seinen „Cesare in Egitto“ herausgebracht. Giacomelli schuf ungefähr zwanzig Opern, Pasticci, Arien und Intermezzi für verschiedene italienische Städte. Bis vor einiger Zeit war Geminiano Giacomelli nur wenigen Kennern der Barockoper ein Begriff. Doch in den letzten Jahren hat die Musik dieses zu Lebzeiten hochgeschätzten Komponisten, der regelmäßig für die größten Häuser Italiens und die bedeutendsten Gesangsvirtuosen seiner Generation schrieb, eine bemerkenswerte Renaissance erlebt, sowohl auf der Konzertbühne als auch in Gesangsrezitals und Einspielungen.
Zu seiner Biografie: 1727 wurde Giacomelli auf ausdrücklichen Wunsch des Herzogs Francesco Farnese auf Lebenszeit zum Kapellmeister von San Giovanni in Piacenza ernannt. Dazu erhielt er das Vorrecht, nach Belieben abwesend zu sein, sofern er für eine Vertretung sorgte und Kompositionen lieferte. Außerdem war er Kapellmeister am Hofe von Parma, ausserdem an der dortigen Kirche San Giovanni della Steccata sowie später Kapellmeister an der Kirche Santa Casa in Loreto, wo er auch starb.
Uraufgeführt wurde Giacomellis „Cesare“ 1735 als Karnevalsoper im Teatro Regio Ducale in Mailand, dann wurde die Oper schon im November desselben Jahres im Teatro San Giovanni Crisostomo in Venedig, nachgespielt. Es folgten Florenz, Graz und Verona. Die Vorstellungen der Oper am venezianischen Teatro San Giovanni Crisostomos schienen besonders erfolgreich gewesen zu sein. Schon in zeitgenössischen biografischen Artikeln zu Giacomelli wird „Cesare in Egitto“ als eines der Meisterwerke des Komponisten hervorgehoben. Von Venedig verbreitete sich das Werk in ganz Europa.
Sein wachsender Ruhm als Opernkomponist ermöglichte Giacomelli zahlreiche Reisen und Tätigkeiten auch nördlich der Alpen. So war er 1737 Theaterdirektor in Graz, wo er unter anderem Aufführungen seines schon damals recht populären “Cesare“ aufführte.
Auch wenn Domenico Lalli offiziell als Librettist des „Cesare“ gilt, darf vermutet werden, dass verantwortlich für viele textliche Details und Arientexte, kein anderer als der junge, aufstrebende Carlo Goldoni war. Am Teatro San Giovanni Crisostomo war Goldoni Lallis Assistent, daher wurde Goldonis Arbeit an den Textbüchern nicht einmal mit einer eigenen Signatur gewürdigt. „Cesare in Egitto“ ist mit dem Namen Domenico Lalli unterzeichnet, ohne Erwähnung Goldonis. Dieser scheint jedoch damit völlig einverstanden gewesen zu sein.
Unter dem Motto „Wohin kommen wir? Wohin gehen wir“ steht vom 21. Juli bis 30. August 2024 die Wiederaufführung der Oper „Cesare“ von Geminiano Giacomelli auf dem Programm des diesjährigen Festivals Alter Musik in Innsbruck, dessen finanzielle Verhältnisse erfreulicherweise als stabil gelten dürfen. Ottavio Dantone hat Giacomellis Oper für seine erste szenische Produktion als neuer Musikalischer Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik auserkoren. Eine an sich begrüßenswerte Ausgrabung eines vergessenen Werks.
Man spielt allerdings nicht die Kritische Ausgabe von Holger-Schmitt Hallenberg., der gleichwohl einen gelehrten Essay im Programmheft beisteuert, sondern eine Kritische Ausgabe von Bernardo Ticci und Ottavio Dantone nach der Uraufführungsversion von Venedig 1735. Als Librettisten werden ausdrücklich Carlo Goldoni und Domenico Lalli genannt. Dantone nennt das dreiaktige „dramma per musica“ schlicht „Oper“. Er wolle „die Emotionen der damaligen Zeit ins Heute übersetzen“, so erklärte der Italiener seine künstlerische Programmatik. Dass sei eben etwa durch die Reduzierung der Spieldauer möglich. Damit gelinge „eine Anpassung an die heutigen Gegebenheiten.“ Tatsächlich dauert die Aufführung „nur“ drei Stunden, doch die werden lang! Dantone erklärte vorab: „Unser Ziel ist es, dem Publikum die stärksten Empfindungen erlebbar zu machen, die Wahrnehmung von Raum und Zeit aufzuheben und sie in eine ferne und dennoch gegenwärtige Ära mitzunehmen.“
Die Inszenierung von Leo Muscato, der sein Debut in Innsbruck gibt, löst dieses Versprechen nur bedingt ein. Er verlegt die Handlung in das augenscheinlich schon muslimisch besetzte Ägypten, die Herren Ägypter tragen den klassisch arabisch-türkischen Fez (in blau) zu sandfarbenen Uniformen. Die Leibgarde des ägyptischen Hofes trägt moderne rote Kampfanzüge und Helme, die Kalaschnikows stets im Anschlag. Die Herren fuchteln in Machopose mit Pistolen herum, oder sie rennen von einem Raum der aus altägyptischen Tempelruinen bestehenden Drehbühne in den nächsten. Im Hintergrund fünf römische rote Krieger mit geschlossenen Helmen als Kolossalstatuen. Während der Ouvertüre stehen sie an der Rampe. Bei den vielen Arien verharren die Sänger meistens in theatralischer Starre. Die Kostüme (Giovanna Fiorentini) sind zeitlos modern, vor allem die der Damen. Cesare, der von einer Frau gesungen wird, was die erotische „Sache" nicht sehr glaubwürdiger macht, trägt einen roten Kampfanzug, Cleopatra indifferente Damengewandung mit Turban.
Alle altägyptischen Erwartungen in Kostümierung (wie Dekoration) werden Lügen gestraft.
Ob die nicht wirklich einsichtige Aktualisierung geeignet ist, eine „Anpassung an die heutigen Gegebenheiten“ zu vermitteln oder gar „dem Publikum die stärksten Empfindungen erlebbar zu machen, die Wahrnehmung von Raum und Zeit aufzuheben und sie in eine ferne und dennoch gegenwärtige Ära mitzunehmen,“ sei dahingestellt. Gewiss zeigt das bewegte, leicht variierte Bühnenbild von Andrea Belli immer wieder schöne Momente, zumal in stimmungsvoller Beleuchtung von Alessandro Verazzi, aber die Aufführung ist weitgehend statisch, spannungslos, um nicht zu sagen langweilig. Die Personenführung ist weitgehend konventionell, von Personenpsychologie kann kaum geredet werden, allerdings enthält das (deutsch übertitelte) Libretto auch wenig individuelle Charaktere, verbleibt weitgehend stereotyp und reichlich pathetisch. Worthülsen statt Emotionen. Eine gefühllose Staatsaktion.
Wie überwältigend anders kommt Händels (und seines Librettisten Nicola Francesco Hayms) „Giulio Cesare“ daher. Und selbst Carl Heinrich Grauns “Cesare e Cleopatra“ ist um Vieles lebendiger, überzeugender, weniger klischeehaft, gefühlsechter und auch – last not least – musikalisch interessanter, ja faszinierender.
Von seinen Zeitgenossen wurde Giacomelli sowohl als Opernkomponist als auch als Gesangslehrer hochgeschätzt. Es gelang ihm, wie Benedetto Marcello im siebten Brief seines „Estro poetico-armonico rühmte, „seine Werke optimal an die Fähigkeiten der jeweiligen Sänger anzupassen. Gleichzeitig hatte er ein starkes Gespür für die Bedürfnisse des Theaters und eine schlichte traditionelle Tonsprache, durch die er große Popularität erlangte. Seine Melodien wirken weich, spontan und kantabel. Sie sind dem Zeitgeschmack entsprechend mit Vokalisen und Koloraturen Gespür für die Bedürfnisse des Theaters und Modulationen belebt.“ Das mag schon sein, aber die Bedürfnisse des Theaters wie des Publikums, die Hörgewohnheiten und die Erwartungen an die Oper. waren zu Giacomellis Zeiten eben andere als heute.
Giacomellis Vertonung des „Cäsar“-Stoffs hält dem uns vertrauten Händelschen Vorbild jedenfalls nicht stand. Er erreicht das psychologische Einfühlungsvermögen Händels nicht, auch wenn er sich bemüht, einen präzisen Blick auf die Seelenzustände seiner Protagonisten in Töne zu setzen. Doch die Arien seiner Protagonisten sind eher hochvirtuos als persönlichen oder gar gefühlvoll. Man kann sie bewundern, aber man wird von ihnen nicht berührt.
Giacomellis schon zu seinen Lebzeiten sowohl in der Gesangslinie als auch im genau durchgearbeiteten Orchestersatz als anspruchsvoll geltende Musik, akzentuiert die Persönlichkeitszüge häufig mit großen Intervallsprüngen, expressiven Dissonanzen, synkopierten Akzenten und einer oft imitierenden, selbständigen zweiten Violinstimme.
Anspruchsvoll kann man seine Musik wohl nennen, (uns heute affizierende) Gefühlstiefe ist ihr fremd.
Ottavio Dantone und seine Accademia Bizantina bemühen sich redlich, nach Maßgabe der historisch informierten Aufführungspraxis die Reize der Musik Giacomellis, das ihr Eigene und Besondere zu Gehör zu bringen. In der dreiteiligen, recht rasant genommenen Ouvertüre hörte sich das noch vielversprechend an, doch im weiteren Verlauf des Abends machte die Musik einen immer drögeren Eindruck, gar nicht zu. Nicht zu reden von den vielen, langen Rezitativen
Vor allem das (bei Händel) so Flirrende, das erotisch Bezaubernde Cleopatras vermisst man. Sie wird im Libretto als eiskalte, ehrgeizige Machtpolitikerin gezeichnet, die nur Eines im Sinne hat: Das römische Imperium an sich zu reißen. Ihre Liebe zu Cäsar ist lediglich strategisch und berechnend. Wenn überhaupt, ist die Rolle der Cornelia „sympathisch“ gezeichnet, obwohl auch sie eine selbstsüchtige Politikerin ist, die ihre Rolle im rücksichtslosen und grausamen Machtpoker des Stücks spielt, in dem die Frauen die dominanten Persönlichkeiten sind und Cäsar eher eine „milde“, weshalb das Stück auch mit einem „lieto fine“ endet.
Die sängerische Besetzung der Aufführung ist - zumal auf weiblicher Seite – vorzüglich, bei den männlichen Partien gab es hingegen Licht und Schatten: Die Sopranistin Arianna Vendittelli singt einen anständigen, wenn auch (naturgemäß) wenig „männlichen“ Giulio Cesare. Die Mezzosopranistin Emöke Baráth singt eine hochvirtuose, aber keineswegs einschmeichelnde oder gar betörende Cleopatra, Königin von Ägypten und Schwester des Tolomeo. Die sängerischen Höhepunkte des Abends sind der Altistin Margherita Maria Sala zu verdanken, die eine beeindruckende Cornelia, Witwe des Pompeo singt. Der Tenor Valerio Contaldo leiht Tolomeo, König von Ägypten seine Stimme. Der Sopranist Federico Fiorio singt den römischen Senator Lepido, Liebhaber der Cornelia, den Achilla, General des Tolomeo der Countertenor Filippo Mineccia.
Alles in allem eine respektable, aber nicht gerade mitreißende Reanimierung eines Stücks, das nicht ganz zu Unrecht in den Archiven der Operngeschichte vergessen wurde und einstaubte.
Rezensionen in verschiedenenen Online- und Printmedien