Stefano Podas Aida

Photos: Fondazione Arena die Verona / Stefano Poda

 

Aida Ohne Ägypten

Stefano Podas sensationelle, kristallklare "Aida“ am 16. Juni 2023


& Hommage auf das 100. Opernfestival der Arena zu Verona in der italienischen Botschaft in Berlin am 6. Juni 2023

 

Die Oper sei seit 400 Jahren der „Exportschlager Nummer eins made in Italy“, so die Intendantin und künstlerische Leiterin der Stiftung Arena, Cecilia Gasdia in Anwesenheit seiner Excellenz, des Botschafters von Italien, Armando Varricchio, des Gastgebers einer exklusiven Veranstaltung zu Ehren des Opernfestivals der Arena von Arena, das 2023 sein hundertstes Jubiläum feiert.


Dass sie ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt anberaumt wurde, ist kein Zufall: Von den auch in diesem Jahr zu erwartenden rund 450.000 Zuschauern sind immerhin 30 % Deutsche, der größte Anteil ausländischer Zuschauer.

 

Die Arena von Verona, ein gut erhaltenes ehemaliges römisches Amphitheater und gilt als größtes Freilichttheater der Welt. Nach dem Kolosseum in Rom und der Arena von Capua – das drittgrößte der erhaltenen antiken Amphitheater. Die 45 Stufenränge des Zuschauerraums sind jeweils etwa 45 Zentimeter hoch und tief und bieten 22.000 Zuschauern Platz. Alljährlich finden dort Opernfestspiele statt.


Voller Stolz betonte der Italienische Botschafter: „Die Oper ist die Zusammenfassung aller Seiten Italiens“. Exemplarisch könne man dies in der Arena zu Verona erfahren. Wobei er ausdrücklich betonte, dass diese Erfahrung nicht nur den künstlerischen Verstand, sondern alle Sinne einschließe: das Gefühl, soziale Verbundenheit und die einzigartige Atmosphäre des grandiosen Theaterraums unter freiem Sternenhimmel.


Die gefeierte Sopranistin Cecilia Gasdia, seit 2018 künstlerische Leiterin des Festivals, bekannte sich dazu, dass sie seit Kindertagen die Arena kennt, dort ihre Leidenschaft für die Oper erhielt und als Statist angefangen habe, ebenso wie der anwesende stellvertretende künstlerische Leiter, Stefano Trespidi. „Wir sind doch im Grunde alle Statisten, alle Veroneser sind Statisten“, so Cecilia Gasdia, nicht ohne Selbstironie. Dias Opernfestival hat 1400 Mitarbeiter.


In diesem Jahr werden die Festspiele von Verona vom 16. Juni bis zum 9 Juni stattfinden, insgesamt 49 Aufführungen, darunter 8 Opernaufführungen, davon 2 Neuproduktionen, aber auch Revivals besonders erfolgreicher Inszenierungen von Franco Zeffirelli (Carmen, La Traviata und Madama Butterfly) Hugo de Ana (Il Barbiere di Siviglia und Tosca). Natürlich gibt es auch Auftritte von Stars und Publikumsmagneten wie Anna Netrebko, Juan Diego Flórez, Plácido Domingo und Jonas Kaufmann.


Neben einem neuen „Rigoletto“ in der Regie von Antonio Albanese richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Jubiläums- „Aida“, die der (aus Trento stammende) Gesamtkunstwerker Stefano Poda verantwortet, der mit seinen suggestiven Produktionen in aller Welt Furore machte. Er zeichnet auch bei der neuen „Aida“ für Regie, Bühnenbild, Kostüme, Licht und Tanz verantwortlich.


Die 1872 in Alexandria uraufgeführte „Aida“ Giuseppe Verdis ist die erste Oper, die in der Arena zu Verona gespielt wurde und in den vergangenen 40 Jahren eigentlich immer in der Arena präsent war, ist unbestritten die ´“Königin der Arena“, so die Veranstalter.


Stefano Poda hat immerhin so viel vorab erklärt, er wolle keine konventionelle „Aida“ präsentieren, Oper dürfe aber auch niemals „Netflix“ sein. Oper sei Zauber, Phantasie, Unwirklichkeit, Traum, Mythos. Das sei ihre Stärke. Er wolle die vielschichtige „Aida“ (intimes Kammerspiel und pompöse Staatsaktion, in der geliebt und gemordet, intrigiert und gelitten werde, niemals aber verurteilt!) als „Hommage an den Menschen und sein Tun“ (eine riesige Hand symbolisiere das) zeigen.  In unseren Zeiten der Kriege, Orientierungskrisen  und Verwirrungen könne der Zuschauer in dieser Oper beispielhaft Humanismus in all seinen Facetten. aber auch Manches über sich selbst erfahren, so betonte er. Wenn er mit seiner Inszenierung eine Botschaft aussenden wolle, dann diese.


Wie immer setzt Poda auf szenische Metaphern, Symbole und Zeichen, Psychologie, Traumhaftes und Archetypisches, auf große Effekte und moderne Techniken, vor alle Laser-Einsatz. In diesem Sinne sei seine „Aida“ durchaus „eine Art Raumschiff“, aber auf dem Weg in unser Inneres, in Vergangenheit, Zukunft und möglicherweise Wiedergeburt, wie es im fiktiven Ägypten der Handlung exemplarisch angelegt sei. Cecilia Gasdia sprach bewundern von einer „kristallinen Aida“. Stefano Poda fügte hinzu, dass er an die Oper glaube, die schließlich von Anfang (seit mehr als 400 Jahren) an ein multimediales Kulturspektakel gewesen sei. Um ihre Zukunft sei ihm gar nicht bange.  Darin waren sich alle geladenen Anwesenden mit den Veranstaltern einig.


Mit Sängerdarbietungen der Extraklasse (Opernausschnitte mit Monica Conesa, Angelo Villari, Youngjun Park und Cecilia Gasdi am Klavier) , mit vorzüglicher,  schlichter, aber authentischer Bewirtung (hervorragend die Weine), mit zwangloser Plauderei und ästhetischem „Budenzauber“ der feinsten, geschmackvollsten und höflichsten Art wurde diese außergewöhnliche Veranstaltung als Botschafterin der Oper schlechthin, der Arena von Verona und Stefano Podas Bühnenkunst großzügig abgerundet.


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Die Aufführung, die auf RAI 1 weltweit übertragen wurde (und somit akustisch wie bilddramaturgisch nicht der Zuschauerperspektive entspricht!) war denn auch ein Großereignis, kolossal und überwältigend, ästhetisch, technisch und dramaturgisch. Es war nicht anders zu erwarten bei Stefano Poda, dem gegenwärtig ohne Zweifel beeindruckendsten „Gesamtkunstwerker“ weltweit, der bei seinen Produktionen, die stets den Weg des Konventionellen meiden, für Bühnenbild, Licht, Kostüme und Choreographie verantwortlich zeichnet. Auf der gigantischen Bühne der Arena konnte er aus dem Vollen schöpfen und brauchte sich keinerlei Beschränkungen aufzuerlegen.


Auf verspiegelt transparenter Spielfläche aus Plexiglas, die auf pyramidenartigen Stahlträgern platziert war, durch Licht und Qualm vielfältigen Stimmungen ausgesetzt, entfaltete er das Drama Ghislanzonis als monumentale Show ohne jeden „altägyptischen“ Postkartenkitsch, ganz in Weiß und Schwarz,  Und doch entfaltete er ein Kostümfest der Superlative, auf der Hauptspielfläche und zwei vorgelagerten Vorbühnen zeigt er modische Kreationen, die ihresgleichen suchen, eine geschmackvolle, raffinierte Mischung aus Dior und Altägypten, Schleiern und Brokaten, Samt und Seide, Pailletten und Strass, an Pharaonen- bzw. Priesterkopfschmuck mangelte es nicht. Und doch hatte die Aufführung nichts Museales.  

Altägyptische Gottheiten wie der Gott der Mumifizierung, Anubis und der Totengott Set marschierten massenweise als „Minister des Todes“ wie des Himmels vor allem im vierten Akt auf.


Die roten bodenlangen Kostüme der Priesterinnen, die weißen Ballkleider der Hofgesellschaft waren imposant in ihrer phantasievoll eklektischen Mischung aus Moderne, 19, Jahrhundert und Antike. Hieroglyphenhemdchen,- Schals und -Trikots, vor alle aber Gewänder aus Spiegelscherben und transparentem Flitter und Paillettenstickerei. Rote Schuhe und Handschuhe gehören auch dazu. Durch die bewegten Massenchoreographien, die Poda beherrscht wie kaum ein anderer, hatte die Aufführung, die bis weit nach 1.00 Uhr nachts dauerte (sie begann später wegen einsetzenden Regens), etwas Traumhafte, Unwirkliches.  Sie schwankte zwischen Hofzeremoniell und intimem Drama, Krieg und Frieden, verlogenem Sakralpathos und Utopie des Menschlichen. Poda erzählt nicht Verdis Pharaonen-Oper, die der Khedive von Ägypten, Ismail Pascha zur Eröffnung des Suez-Kanals für das Opernhaus „in ausschließlich ägyptischem Stil“ in Kairo in Auftrag gab. Die Handlung dient Poda nur als Vorlage für eine Parabel über menschliche Leiden und Leidenschaften.


Die Titelfigur Aida ist eine äthiopische Königstochter, die nach Ägypten als Geisel verschleppt wurde. Der ägyptische Heerführer Radamès muss sich entscheiden zwischen seiner Liebe zu Aida und seiner Loyalität dem Pharao gegenüber beziehungsweise der Hochzeit mit Amneris, der Tochter des Pharaos. Er entscheidet sich für Aida. Er wird daraufhin lebendig eingemauert und findet dort überraschenderweise Aida vor. Einem gemeinsamen Liebestod steht nichts mehr im Wege.


Aida präsentiert eine Serie von persönlichen Tragödien, die sich vor einem eindrucksvollen Hintergrund abspielen, getragen von Riten und pompösen Prozessionen. Einerseits Triumphszenen mit Pauken und Trompeten, andererseits finden die inneren Konflikte der Liebenden Ausdruck in den Streichern und Holzbläsern, und in der Ferne die unheilvolle Stimme von Isis. Unter dem Himmel des antiken Ägypten, erreicht Verdi eine Reife und Tiefe, die erneut seine unablässige Suche nach menschlicher Wahrheit versinnbildlicht, und in den Sorgen und Qualen von Aida, Amonasro und Radames verdeutlicht wird.

Was Verdi meint, ist, dass hinter dem Unglück der Liebenden und hinter dem Thron als treibende Kräfte die Priester stehen. Nicht der König ist der wahre Machtträger, sondern der Oberpriester. An allen wichtigen Wendepunkten trifft der Oberpriester Ramphis die Entscheidungen. Das letzte Gespräch zwischen Amneris und Radames und die anschließende Gerichtsszene des vierten Aktes, die mit einem feierlichen Triumphgesang der Priester und gleichzeitig mit deren Verfluchung durch Amneris endet, sind an emotionaler Dramatik kaum zu übertreffen. Verdi hat die Kleriker gehasst, auch in Aida kommt es klar zum Ausdruck. Poda lässt in seiner Inszenierung auch daran keinen Zweifel.

Aida ist einerseits ein Effektstück im Sinne der französischen Grand Opéra nach Vorbild der Opern von Giacomo Meyerbeer und anderen, aber andererseits geht sie darüber hinaus und beendet dieses Genre.  Die Handlung ist nicht historisch, sondern fiktiv und verwoben in das große Spektakel ist die Erzählung menschlicher Konflikte, die in vielen Opern Verdis das Wichtigste sind, immer ohne happy end. Aida endet nicht mit einem bombastischen fortissimo Finale, sondern verhaucht in einem vierfachen pianissimo.


Besonders hoch waren die Erwartungen an die neue Regie der Aida, mit der die neue Geschichte der Arena im Jahre 1913 begann, da die Inszenierung von Stefano Poda nach der philologischen Aufführung aus dem Jahre 1913 und der Version von Zeffirelli die erste neue Darbietung dieser Oper darstellt.

Für Poda ist die „Aida“ ein Werk über Feindschaft und Krieg der Nationen Ägypten und Äthiopien, zur Zeit der Pharaonen, die Hegemonie von Staat und Priesterschaft, die skandalöse, wegen Landesverrat mit dem Tod bestrafte Liebe des ägyptischen Feldherrn Radames zur äthiopischen Sklavin Aida, der Spagat zwischen Vaterlandspflicht und Liebe, ein Stück über den Menschen und sein  Tun/Wollen, das in einer riesigen durchsichtigen Hand auf der Bühne symbolisiert wird. "Die Geschichte von Aida ist die einer Welt im Krieg", sagt Poda, der eine universelle, interdisziplinäre Aufführung konzipiert hat, die alle ansprechen will, "ein Krieg, der zwei benachbarte und brüderliche Völker zu Todfeinden macht. Aber das Werk selbst endet mit einem Flüstern des Friedens: Eine Reise im Sinne von Dante, vom höllischen Anfang bis zu einer himmlischen End-Vision".


Poda, lässt parallel zum riesigen Chor und Ballett eine handverlesene Statisten-Truppe mit somnambulen Gebärden und Gesichtsausdrücken der Verängstigung, des Leidens und der Verzweiflung vorführen. Sie macht das vorzüglich. Die Botschaft: Das Stück ist ein Stück über das „irdische Jammertal“, alles andere als ein Triumphstück. Bein Triumphmarsch werden denn auch keine Siegestrophäen aufgeboten. Stattdessen Lichtdome und Suchscheinwerfer, die an schlimme Erinnerungen anknüpfen. Auch Leichenberge mit einzuwickelnden Mumien werden hereingefahren und Poda spart auch Totentänze, Nackte und Leichenberge nicht aus. Immer wieder Lasershow. Flashlight und Leichtröhre, Pyramidenmodelle. Schließlich als Grab der Protagonisten im letzten Akt.


Die drei Ballette sind eindrucksvolle Beispiele schlichten modernen Ausdrucks­tanzes jenseits aller üblichen pseudoägyptischen Hopserei. Was die musikalische Seite angeht, so hat Marco Armiliato vor allem auf pompöse, nicht eben kraftvolle Breite und Langsamkeit gesetzt, was dem Stück Spannung und Dramatik nahm. Alles Raffinierte dieser Musik blieb in der braven, wenig scharfen, transparenten oder gar analytischen Lesart des Dirigenten außen vor. Freilich, es ist ein Kraftakt, das Riesenorchester der Arena zusammenzuhalten und mit den weit auseinanderliegenden Aktionen (vor allem des Chors) auf der Bühne zu koordinieren. Armiliato ließ diesbezüglich denn auch Manches zu wünschen übrig.


Die Premieren-Sängerbesetzung war glamourös und setzte ganz auf Publikumsgeschmack und Starkult. Die sängerisch wie politisch umstrittene Sopranistin Anna Netrebko (die von den Interviewten tatsächlich „La Divina“ genannt wurde, eigentlich ein Titel, der Maria Calls vorbehalten war) singt eine nicht mehr aber auch nicht weniger als respektable Aida (von "göttlich" kann die Rede nicht wirklich sein), ihr Gatte und Bühnenpartner Yusif Eyvazov einen wirklich eindrucksvollen Radames, (obwohl er schon bessere Tage hatte), Michele Pertusi eine Autoritäte von Ramfis. Man hat alle Partien aber schon glanzvoller gehört.


Wie auch immer: Das Publikum jubelte, die VIPS (unter denen die greise, 88-jährige, kaum mehr des Gehens fähig Sophia Loren herausragte und sich feiern ließ) jubelten auch und spendeten viel Lob, das allerdinggs (wie man den Interviws entnehmen konnte) nicht eben von  sachlich kritischem Opernverstand zeugte. Immerhin, mit den Einnahmen, die nach jüngsten Universitätsstudien auf über 500 Millionen Euro geschätzt werden, dürfte das Festival wieder gut dastehen.


Die Intendantin und künstlerische Leiterin Cecilia Gasdia, die als eine der wenigen Kulturmanager im Laufe ihres Lebens sowohl als Komparse als auch Chorsängerin und Solistin auftrat und das riesige Theater heute in einer Doppelrolle leitet, kommentiert die begonnene Saison wie folgt: „Wir haben fünf schwierige Jahre hinter uns, vor allem die beiden Pandemiejahre mitten in meiner Mandatszeit waren nicht einfach.“


 Die 100. Opernfestspiele in der Arena di Verona, ein besonderes Ereignis, das weit über die Grenzen der Stadt hinausreicht, sind somit zu fast aller Zufriedenheit eröffnet.