Herheim Rusalka Dresden

Photos: Semperoper / Matthias Creutziger

Psychologisches Zaubertheater

 Stefan Herheims "Rusalka" in Dresden


Im Dezember 2008 hat Stefan Herheim in Brüssel Dvoráks "Rusalka" herausgebracht. Jetzt ist die Produktion an die Dresdner Semperoper geholt worden.



Herheim erzählt das Stück aus der Perspektive des Wassermanns, eine ungewöhnliche Perspektive. Rusalkas Märchen ist bei Stefan Herheim der Alptraum des Wassermanns, der stellvertretend für die Männer schlechthin steht (der Prinz im Matrosenkostüm ist sein Alter Ego). Und er ist ein Mann von heute. Herheim holt das Stück in die Moderne. Rusalka ist für ihn eine Mischung aus femme fatale und femme fragile, Hure und zugleich madonnenhaftes Ideal männlicher Wunschphantasien, die sich in der bürgerlichen, christlichen, Gesellschaft nicht ausleben lassen. Also eine psychoanalytische Lesart des Stücks, die Herheim wagt. Er erzählt nicht die Geschichte der Waldnymphe, die sich nach dem Menschsein sehnt,  sondern die Geschichte des (Wasser-) Mannes, der sich nach dem Naturzustand sehnt. Aber auch die Geschichte der Entfremdung des männlichen Eros in einer von patriarchalischen Machtprinzipien geprägten, verlogenen Welt. Ein faszinierendes Konzept.


Heike Scheele hat Herheim wieder einmal eine hinreißende Bühne gebaut: Eine realistische, heruntergekommene Altstadtstrasse mit Kirche und großem Baum. Sie könnte Brüssel ebenso wie Dresden Neustadt meinen. Links eine Kneipe (die Lunatic-Bar), rechts ein Wohnhaus. In der ersten Etage die Wohnung des Wassermannes und der Balkon, von dem aus seine Frau ihn beobachtet, wie er sich auf die Hure Rusalka einläßt. Darunter ein Laden, erst Sexshop, dann ein Geschäft für  Brautkleider, schließlich Metzgerladen.  Plötzlich bewegt, verschiebt sich alles, öffnen sich Wände, lagern sich Traumsequenzen vor die scheinbare Realität.


Das ist Herheims magischer Realismus. Eine Litfaßsäule fährt aus dem Boden der Strasse empor, auf ihr singt Rusalka ihr Lied an den Mond. Statt seiner leuchten die Satellitenschüsseln. Im Hintergrund wird der Zuschauerraum der Semperoper gespiegelt. In der Litfassäule später dann der Fischschwanz der Nixe, aber auch ihr Tod durch Ertrinken. Nonnengruppen marschieren auf, Hexentänze mißgestalteter Monsterfrauen werden aufgeführt, Wassermännchens Karneval im Zuschauerraum. Die Schwestern Rusalkas fliegen und schwimmen wie Wagners Rheintöchter hinter Wasserprojektionen gen Bühnen-Himmel. Hinreißend poetisch, wie Herheim das macht. Kompliment an die Dresdner Bühnentechnik! Das Wunder funktioniert ohne alle Pannen, reibungslos, perfekt im Timing. Herheim zieht alle Register der Bühnenmaschinerie. Er bedient sich der ganzen Trickkiste des Theaters. Er spielt mit Traum und Wirklichkeit, Illusion und Demaskierung, Poesie wie Ironie, Theater und Publikum. Das ist großes, sinnliches Zaubertheater, wie man es nur selten erlebt.


Auch die Sänger dieser Produktion überzeugen ausnahmslos. An erster Stelle sei Rusalka genannt: Tatjana Monogarova schafft den darstellerischen Spagat zwischen Hure und Heiliger, Schöner und Biest. Und sie hat eine wunderbar warme, große, lyrische,  aber auch dramatischer Ausbrüche fähige Stimme.  Der Bassist Georg Zeppenfeld ist ein traumhafter Wassermann. Die hochdramatische fremde Fürstin (bei Herheim ist sie auch die Frau des Wassermannes) von Marjorie Owens ist genauso faszinierend wie die dunkeltimbrierte Mezzosopranistin von Tichina Vaughn, die die Hexe Jezibaba alias Blumenverkäuferin an der Metro singt. Auch die Elfen und die Nebenrollen vorzüglich. Alles in allem eine Idealbesetzung! Ein stimmlicher Quantensprung in der Semperoper. Die neue Intendantin (und Herheim-Bewunderin), Ulrike Hessler, hat es geschafft,  mit dieser Produktion ihr Haus zu Weltklasse-Niveau auffahren zu lassen, nicht nur, aber auch sängerisch.


Die musikalische Leitung dieser "Rusalka" liegt in Händen des jungen Dirigenten Tomás Netopil. Er ist Musikdirektor des Nationaltheaters Prag. Er kostet die hochromantische Musik bis zur Neige aus und animiert die Dresdner Staatskapelle zu großer Form. Sie spielt zum Niederknien. Wohl kein anderes Orchester vermag hierulande die böhmische Romantik derart betörend zum Klingen zu bringen.  Aber Netopil läßt in der Romantik Dvoráks bereits die Moderne Janaceks anklingen. Eine ebenso ungewöhnliche,  faszinierende musikalische Lesart wie die szenische von Stefan Herheim. Ich wage zu sagen: Eine Jahrhundertaufführung, so theatralisch suggestiv und überwältigend, reich an Assoziations-räumen und gedanklichen Anregungen in der Wirkung wie Herheims "Parsifal" in Bayreuth. Diese "Rusalka" muß man gesehen haben.


Beitrag  im MDR