Wahnfried neu

Leer gefegtes, entzaubertes "Ärgersheim"


Die Neueröffnung des Richard-Wagner-Museums in Bayreuth

am 26.07. 2015


Im ersten Band ihrer Tagebücher nennt Cosima Wagner am 23. Dezember 1873 die noch im Bau befindliche Villa Wahnfried „Ärgersheim … da beständig irgend etwas Verfehltes oder Verges-senes sich uns darin entdeckt.“ 1874 bezogen Richard und Cosima Wagner samt Kindern und Personal die hochherrschaftliche Villa am Rande des Hofgartens, mitten in Bayreuth. Freilich, das am Gebäude bis heute lesbare Motto „Hier wo mein Wähnen Frieden fand, Wahnfried sei dies Haus benannt“, erwies sich als trügerisch, wo nicht als uneingelöste Utopie. Schon das Kli-ma der Stadt, in der Wagner sein Haus erbauen ließ, war unentwegtes Ärgernis. Richard Wagner wurde nicht müde sich wortreich über das Oberfränkische Klima zu entrüsten, ja zu empören. Seine Briefe und die Tagebücher seiner Gattin Cosima geben davon Zeugnis. An König Ludwig von Bayern schriebe er am 28.1. 1880: „Leider ist es nun wohl gewiss, dass ich in dem, vor Jahren von mir selbst gewählten, rauhen Klima Ihrer oberfränkischen Provinz nicht mehr recht werde gedeihen können. Um mir für dieses Mal einen temporären Aufenthalt im milden Süden versichern zu können, hielt ich mich drei Jahre lang in Bayreuth festgebannt, und unterlag dadurch den klimatischen Einflüssen, denen eine so erregte Natur wie die meinige durch ihre Körper-Konstitution auf die Länge nicht widerstehen kann.“ Noch deutlicher wurde Wagner gegenüber seinem Parsifal-Bühnenbildner Paul von Joukowsky. Ihm gestand er, daß er sein »schönes Haus mit solch einem Scheiß-Klima« gebaut habe. 


Nicht verwunderlich also, dass der sensible „Meister“ in den letzten Jahren seines Lebens die Wintermonate in Italien verbrachte, wo er ja auch verstarb, um in der im Garten von Wahnfried errichteten Gruft beigesetzt zu werden. Aus seinem Sterbeort Venedig ist lediglich das Sofa, auf dem er sein Leben aushauchte, im sanierten und erweiterten Richard-Wagner-Museum zu sehen. Unter Plexiglas. 


Die einst überreich angefüllten, faszinierenden Vitrinen mit Photos auch aus Venedig, die vor der fünfjährigen Sanierung noch zu sehen waren in Wahnfried, wo sind Sie geblieben? Mancher mag die frühere Museumsgestaltung des Wohnhauses der Wagners, wahrlich eine Villa Kunterbunt, als „vollgerümpelt“ empfunden haben. Aber es war doch ein atmosphärisch dichtes, animieren-des, außerordentlich informationsreiches, anschauliches und anrührendes Museum. Man konnte sich in ihm auf eine Zeitreise begeben, die gefangen nahm und eindrucksvoll das Wagnerleben dokumentierte und auch noch an die besseren Tage der Richard Wagner Festspiele erinnerte mit seinen Bühnenphotos und Sängerporträts.  Es war eine lehrreiche Chronik der Inszenierungsge-schichte Wagners in Bayreuth, nicht zu reden von Familiengeschichte, Kitsch und Kuriosa, die ebenfalls nicht zu kurz kamen.


Nun ist der Wallfahrtsort aller Wagnerianer gründlich entrümpelt worden, aber auch entzaubert. Das nach 5 Jahren Sanierung und um einen an Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie in Ber-lin erinnernde Erweiterungsbau von Volker Staab erweiterte Wahnfried-Museum wirkt enttäu-schend nüchtern, leer, ja steril. Zwanzig  Millionen soll die Überführung der Wagnervilla „in die Moderne“ gekostet haben. Nun gibt es also ein Café und einen Bookshop, großzügige Toiletten- und Schließfächerbereiche. Aber wohin sind die vielen, vielen Exponate gewandert, derer man sich so gern erinnert? Und die immer wieder einen Besuch lohnten. Die meisten Räume im jetzigen Haus Wahnfried sind nahezu leer. Eine radikal entschlackte, ja entkernte Wagnerausstellung.


Die denkmalgeschützen Räume auch im erstmals ins Museum einbezogenen Siegfried-Wagner-Bau habe man weitgehend unmöbliert gelassen, um sie für sich sprechen zu lassen, so  hörte man. Aber was erzählt denn das absolut leere Kaminzimmer, in dem einst Adolf Hitler gesessen hatte?  Ja, es gibt natürlich Monitore mit Kurfilmen, die diesen Teil der Wagnerrezeption erläutern.  Es gibt auch die „Originalpartitur des "Tristan" im Keller des Anbaus zu sehen, einige Kostüme und die berühmten Bühnenbildmodelle, die allerdings schlecht beleuchtet sind. Was sagt einem schon eine heroisch anmutende Wagnerbüste vor goldenem Halbrund im Keller des Neubaus?


Vielleicht erfährt man es in den  dreisprachigen Media-Guides.  Mag sein. Natürlich fehlt auch nicht eine „interaktive Partitur“, wie man sie auch im Bachmuseum in Leipzig und an anderen Orten der Welt hat. Ein nettes Spielzeug, gewiß!  Alle „unechten“ Erinnerungsstücke (Mobiliar, Bilder etc.) in den Wohnräumen der Familie Wagner sind gespenstisch mit weißen Tüchern ab-gedeckt, nur sehr wenige authentische Einrichtungsgegenstände werden noch gezeigt. Alte Ta-peten hingegen wurden nachgebildet. Sparsam beschriftete Stelen geben Auskunft über die ehemalige Ausstattung der Räume. 


Das Museum mag  zwar den Anschluß „an die Heutezeit“ gefunden haben, aber es ist, mit Ver-laub gesagt, ein wenigl nichtssagend geworden. Kein Ort mehr für Nostalgiker und für neugie-rige Lese- und Augenmenschen. Kein Staub mehr von Vorgestern. Auch das Herz kommt zu kurz. Wie schade!


Nike Wagner, die Kluge und Unerschrockene, hat in ihrer brillianten Rede beim Festakt der Er-öffnung des Museums nicht nur die wechselvolle Geschichte der Bewohner (zu denen sie ja auch zählt) von Villa Wahnfried Revue passieren lassen, sondern auch den Finger an die neuralgischen Punkte der Neukonzeption gelegt, die „Mühen des langen Weges zu Wahnfried heute, die Diskussionen, Wettbewerbe, Zuständigkeitsprobleme und Versäumnisse“: „nach allen Regeln zeitgenössisch-interaktiver Museumspädagogik, barrierefreier correctness und klimatischer Zen-tralsteuerung. Die Nichtwiederherstellung der historischen Gartenanlage war der Preis, dafür erhielt die Zufahrtsallee - gottlob -wieder ihre originale Länge. Daß für die Idee eines Wahnfrieds als  „musée sentimental“ – durchaus richtig und zeitgemäß - die Theatergeschichte dieser Fami-lie  mitsamt Museums- und Archiv-Depot  unter Tage verlegt wurde, in Nacht und Künstlichkeit, in ein gewaltiges Nibelheim, mag zu Reflexionen über das unterirdische Arbeiten des Wagner-Mythos selbst anregen, der sich über die sog. Sachzwänge der „großen Lösung“ eingeschlichen hat.  Oder war es nur das große Ego des Museumsleiters? Der Stiftung – die kein Geld hat – oder der Stadt - die auch kein Geld hat - stehen nun die großen Betreiberkosten bevor. Mögen die Bay-ernministerialen im Geist ihres Märchenkönigs handeln, ohne den einer der bedeutendsten Opernkomponisten unserer Kulturgeschichte ja auch verhungert wäre. Jedenfalls ist mit viel Geld und vielen Grabungen der hundertjährige familiäre Wahn-Sinn nun wirklich in eine geschicht-liche Sicherheitszone verwandelt und  Wahnfried – jenseits bloßer Neo-Restauration - zum eige-nen musealen Ort geworden. Ich vermeide bewußt das Tourismus-Wort vom „Erlebnisort“, ob-wohl Wahnfried ja auch das werden soll. Wie alles marktgängig zu machende Kulturgut.

Die schlimmsten Auswüchse solchen Denkens wurden - ich darf daran erinnern – mit  Hilfe meiner kämpferischen Schwester Iris Wagner vermieden, sowohl das „Bratwurstglöckl“, das in den Räumen des Siegfried-Hauses errichtet werden sollte, um den ideologisch verruchten Ort zu „humanisieren“ -– wie der schwungvollen Caféhausbetrieb unmittelbar neben dem Grab von Richard und Cosima Wagner. Immerhin ist es nun auch gelungen, das Erdgeschoss des Siegfried-Hauses, dieses perfekt erhaltene Interieur der 30-er Jahre und Absteigequartier Adolf Hitlers, zum Lehrpfad lebendiger Geschichte werden zu lassen. Daß der Winifred-Film von Hans Jürgen Syberberg, ein einzigartiges historisches Dokument, dort seinen Platz hätte finden müssen, wenn schon auf „Authentizität“ Wert gelegt wird -  dort, wo sie überhaupt noch zu haben ist!  -   sollte dem Museumsleiter freilich erneut und dick unterstrichen ins Stammbuch geschrieben werden. Ein bedeutender Cineast schrieb Zeitgeschichte: auf Bildschirm wäre Wini, wie sie leibte und lebte, zu haben gewesen. Aber natürlich in toto, nicht nur per Clip, nicht nur mit ihrem skandalösen Bekenntnis zu Adolf Hitler, wie man es hier gerne verkürzt haben wollte.“


Nike Wagner ist nichts hinzuzufügen.


Vom Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung soll an dieser Stelle gar nicht erst geredet wer-den. Nur soviel: Mehrere Wissenschaftler haben ja zuletzt die mangelhafte Inventarisierung scharf kritisiert, die veraltete wissenschaftlichen Aufbereitung des Bestands, das Versäumnis, alle Handschriften zu digitalisieren und sich um die Intergrierung der noch im Besitz der verstreuten Familienstämme befindenden Briefwechsel etc. zu bemühen.  Nicht zuletzt der Politologe und profunde Wagnerkenner Udo Bermbach hat in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19.07. 2015  beklagt: „Vor allem der Nachlass von Winifred und Siegfried Wagner, der sich weitgehend im Besitz von Amélie Hohmann befindet, sollte endlich der Wissenschaft zugänglich gemacht wer-den. Dass hier Material, welches für die Bewertung der politischen Rolle der Wagner-Familie wie der Festspiele bedeutend ist, der öffentlichen Auswertung und Diskussion entzogen wird, ist ein Skandal angesichts der Bedeutung, die Bayreuth in der deutschen Geschichte zukommt, und man kann sich nur wundern, wie wenig öffentliche Aufregung diese fragwürdige Privatisierung wich-tiger Quellen erzeugt…. Das Archiv ist seit langem unterbesetzt, viele Bestände sind unzurei-chend erfasst, die knappen Öffnungszeiten – eine Zumutung. Dass ein weltweit so einzigartiges Archiv schlechter ausgestattet ist als manche Stadtbibliothek, kann nur als Skandal bezeichnet werden und zeigt die Geringschätzung, die inzwischen dem kulturellen Erbe Deutschlands entge-gengebracht wird. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, die Bestände im Festspielhaus mit denen des Archivs zusammenzuführen, um sie der Forschung zugänglich zu machen. Das gilt auch für die privaten Nachlässe. Denn Richard Wagner gehört nicht seinen Nachkommen, er gehört allen, die sich für ihn interessieren.“



Verschiedene Beiträge dazu auch in der ARD und in Printmedien





Alle Photos: Dieter David Scholz