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Opportunistischer Nutznießer
Oliver Rathkolb: Carl Orff und der Nationalsozialismus
Carl Orffs »Carmina Burana« gehören zu den populärsten Werken der Chormusik. Sie erlebten ihre Uraufführung 1937. Die Jahre von 1933 bis 1945 liegen genauin der Mitte der Lebensspanne des bayerischen Komponisten Carl Orff (1895-1982), wie Thomas Rösch, der Direktor des Orff-Zentrums München, betont. Er ist Herausgeber der Publikationen des Zentrums. In den betreffenden zwölfeinhalb Jahren seien gerade all jene Werke entstanden, die »bis heute zu den international [...] erfolgreichsten und beliebtesten« von Carl Orff zählen. Und Rösch stellt zurecht Fragen nach Orffs Haltung: »War er ein glühender Anhänger, war er Mitläufer, war er Nutznießer, war er passiver Gegner, war er Widerstandskämpfer?« Der Historiker Oliver Rathkolb geht diesen Fragen in einer monografischen Studie nach, die nicht nur die wichtigsten bisherigen Ergebnisse der Forschung (vor allem Fred K. Priebergs und Michael H. Katers) zu diesem Thema diskutiert, sondern auch teilweise widerlegt. Wie steht es um die künstlerische und politische Rezeption des »Olympischen Reigens« anlässlich der Olympischen Sommerspiel 1936, des »Orff-Schulwerks«, der »Carmina Burana« und weiterer Bühnenwerke wie etwa »Der Mond«, »Die Kluge« oder auch der »Catulli Carmina«. Nicht zu reden von Orffs Neukomposition der als jüdisch verpönten und verfemten Mendelssohn’schen Bühnenmusiken zu Shakespeares »Sommernachtstraum«. Die politischen Gutachten der NS-Börden waren durchaus zwiespältig, denn Carl Orffs Werk fügte sich keineswegs nahtlos in die NS-Musikpolitik. Orff galt außerdem als politisch unzuverlässig. Obwohl er durchaus Nähe zu NS-Persönlichkeiten suchte und im Dritten Reich Zuwendungen erhielt, die seine Existenz sicherten, von Hitler sogar auf die »Gottbegnadeten-Liste« gesetzt wurde, waren weder die »Carmina Burana« noch seine anderen Kompositionen NS-Propagandastücke. Orffs Interesse für außereuropäische Musik widersprach der NS-Musikideologie. Die Aufführungszahlen seiner Werke
schließlich ließen zu wünschen übrig. Auch die Märchen- und Antikenvertonungen Orffs betrachtet Rathkolb im Gegensatz zu Prieberg oder Kater nicht als eindeutige »Indikatoren für Widerstand oder Anpassung«. Es seien umstrittene »Projektionsflächen«, so wie Orff ein geschickt lavierender Komponist sei, der sich mit den Machthabern arrangiert habe, wie man liest. Orff wurde denn auch nach 1945 von den amerikanischen Behörden zum »passive antinazi« erklärt. Rathkolb, der die erhaltenen amerikanischen Verhörprotokolle undsonstige Quellen akribisch auswertet, entlarvt die von Orff nach 1945 in die Welt gesetzte »Widerstandslüge«. Orff sei zwar kein bekennender Nazi, kein Rassist, kein Antisemit gewesen, aber seine »Abneigung gegen den Nationalsozialismus« habe ihn weder in den aktiven Widerstand noch ins Exil getrieben. Er war nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Mitläufer und ein opportunistischer Nutznießer des Systems.
Beitrag auch in "Orpheus"
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