Wagner Dream von Jonathan Harvey

Photos © 2007 Clärchen and Matthias Baus


That is not my work“ Aber ein intelligenter Wagner-Traum

Jonathan Harvey: Wagner Dream. Oper in neun Szenen
Libretto von Jean-Claude Carrière


UA : De Nederlandse Opera Amsterdam in Kooperation mit dem Grand Théâtre de Luxembourg, Holland Festival und IRCAM-Centre Pompidou, Paris. Premiere im Cultuurpark Westergasfabriek, 6. Juni 2007

 

Venedig. 13. Februar 1883. Die letzten Stunden im Leben Richard Wagners im Palazzo Vendramin.  Familienkrach im Hause Wagner. Das Erscheinen einer sehr jungen und attraktiven Sängerin macht Cosima spürbar nervös, ja aggressiv. Carrie Pringle heißt sie, und sie ist eines der Blumenmädchen im "Parsifal". Wagner hat sie eingeladen, heimlich. Wohl nicht nur zum Vorsingen. Cosima ist außer sich. Szenen einer Ehe, die von den Schauspielern Johan Leysen (Richard Wagner) und Catherine ten Bruggencate (Cosima) darstellerisch anrührend und bewegend umgesetzt werden. Bracha van Doesburgh spielt die kecke, rothaarige Nachwuchssoubrette als kühle Britin. Soweit die Rahmenhandlung an der schwarzen Rampe des in eine gründerzeitliche Gasfabrikhalle außerhalb Amsterdams eingebauten Guckastentheaters.

Die Binnenhandlung: Wagner geht die nicht vollendete Oper „Die Sieger“, die er in Zürich, im Umkreis der Komposition des "Tristan" schrieb, durch den Kopf. In einem Tagtraum nimmt er Teil an einer Aufführung derselben. Nur als Operntraum findet diese buddhistische Geschichte um das indische Mädchen Prakriti, die verbotenerweise den Mönch Ananda liebt. Es geht um Erfüllung und Entsagung, Liebe und Opfer, Regeln und Regelbruch. Worum es ja oft geht bei Wagner. Am Ende finden und lieben sich Prakriti und Ananda, allerdings nur platonisch-spirituell. Der endliche Sieg der Entsagung. Da schreit Wagner von der Rampe auf. „That is not my work“. In der Tat: Dieses buddhistische Märchen ist nicht sein Werk, und die Quintessenz desselben nicht die seines Lebens. Entsagung war ihm von je fern. Cosima weiß davon ein Liedchen zu singen. Aber sie schweigt, lügt und „dient“ selbstverleugnend. Sie verklärt den „Meister“ schon vor seinem Tod. Verstanden hat sie ihn wohl nie. Wagner ist ein einsamer Mensch. Man streitet bis zuletzt. Dann erliegt Wagner einem Herzanfall. Nicht ohne zuvor Frau Cosima, seinen Arzt Dr. Kepler und Carrie Pringle der Lächerlichkeit preisgegeben zu haben.

Der französische Autor Jean-Claude Carrière hat aus den historisch verbürgten Umständen von Wagners Tod und aus dem Opernfragment "Die Sieger" ein stringentes, phantasievolles und intelligentes Libretto verfasst. Er kennt offenbar die Tagebücher Cosimas sehr gut! Das Stück spielt sinnigerweise auf zwei Ebenen. Die 'reale' Wagner-Welt spricht und streitet sich in bestem Oxford-Englisch. In Fernost wird gesungen. Da darf es etwas blumiger sein, sprachlich.

Der Engländer Jonathan Harvey, versierter – wenn auch umstrittener – Komponist, ist Buddhist, wie man weiß. Sein besonderes Interesse gilt dem Stehenbleiben der musikalischen Zeit. In vielen Stücken hat er bereits eindrucksvoll demonstriert, wie sich Klangräume von kreativer Statik anhören können. Harveys Partituren lieben dicht gewebte Netze aus Klangfiguren, die durch den Einsatz von Elektronik eine raumgreifende Dynamik entfalten. Da wandern Töne, Klänge, Geräusche, manchmal auch Melodien durch den Raum, treffen sich, überlagern sich, und scheinen plötzlich still zu stehen.

Auch "Wagner Dream", die neuste Oper Jonathan Harveys, verbindet anspruchsvolle Klangverbindungen mit ausgetüftelter Elektronik. Mal grummelt es im Untergrund, ein andermal wabern die Klänge traumartig durch den Raum. Es ist ein betörender wie verstörender Klangrausch voller exotisch-pittoresker Effekte und selten gehörter Töne. Fern alles Illustrativen. Und ohne jedes Wagnerzitat  Siegfried Matthus hat ja jüngst mit seiner Oper „Cosima“ demonstriert, wie peinlich Wagnerei aus zweiter Hand sein kann. Aber Jonathan Harvey spielt in einer deutlich anderen, einer höheren Liga!

Regisseur Pierre Audi sorgte wie schon bei der Uraufführung am 28. April in Luxemburg auch in Amsterdam für ein eindrucksvolles Spektakel mit magischen Lichtstimmungen. Das hinter der Rampe und unter der Opernplattform angesiedelte ICTUS Ensemble wird geografisch zur Brücke zwischen Außen- und Innenwelt und verkörpert die Musik als Bindeglied zwischen Realität und Traum. Über dem Orchester, in dem rund zwei Dutzend Musiker unter der Leitung von Martyn Brabbins mit einem Höchstmaß an Präzision und klangschön spielen, hat Audi eine Reihe von Neonröhren anbringen lassen. Darüber ist – quasi über dem Orchester schwebend - eine kleine quadratische Spielfläche gebaut. Auf ihr findet im Wesentlichen die Opernhandlung statt. Weit entfernt von der Rahmenhandlung, dem Konversationsstück in unmittelbarer Nähe des Publikums.   

Audis Inszenierung überzeugt durch gut gearbeitete Personenführung. Wagner und Cosima agieren in historisch verbriefter, schwarzer Kostümierung. Bei der buddhistischen Liebesgeschichte schwelgt er in farbenfroher, vor allem orangefarbiger indischer Kleidung. (Kostüme Robby Duiveman) und intensiven Beleuchtungsorgien. Auf der Bühne ein kleiner Feuerzauber. Projektionen an der Bühnenrückwand zeigen Wolken, Gesichte, Schatten, Traumhaftes. Die Aufführung hat etwas Suggestives, dem man sich nicht entziehen kann.

Die sängerische Besetzung hat großes Format. Vor allem Claire Booth als liebendes Mädchen und Gordon Gietz als in sich ruhender Mönch singen mit großen, schönen Stimmen die Legatolinien ihrer fast belcantischen Partien. Eindrucksvoll auch Rebecca de Pont Davies und Dale Duesing, der als leibhaftiger Buddha – ganz in Gold gewandet - auftritt und stimmmächtig seine Philosophie vertrat.

Schön auch der kommentierende Sehnsuchtsgesang der Choristen, der gelegentlich hereinschwebt. Die aufwändige Live-Elektronik programmierte Gilbert Nouno, der Komponist höchstselbst sorgt an den Mischpulten für ihre gewissenhafte und höchst professionelle Realisierung.

Zurecht war das Publikum von dieser Produktion begeistert und feierte Harvey und Carrière, Pierre Audi und alle übrigen Mitwirkenden. Die eine Stunde und vierzig Minuten dauernde Aufführung war außerordentlich kurzweilig. Eine intelligent komponierte wie konzipierte, eine geschmackvoll inszenierte Auseinandersetzung mit Richard Wagner auf der Opernühne! Chapeau!


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