Musik-Theater & mehr
Photo: Christian CHAMOURAT
Geschenk/Widmungsexemplar von
Florence Delaage
Photos: Bazzechi, Firenze
Florence Delaage zum 70sten
Oder der andere Blick der Franzosen auf Richard Wagner
Friedrich Nietzsche war es, der konstatierte: "Richard Wagner ist unter Deutschen bloß ein Missverständnis". Anders in Frank-reich, wo Wagner seit der skandalösen Tannhäuser-Erstaufführung in Paris 1861 quasi Kultstatus erhielt. Der Blick der Fran-zosen auf Wagner ist bis heute anders als der der Deutschen. Die Pianistin Florence Delaage ist Zeitzeugin des traditionellen französischen Wagnerismus. Am 1. Juni feiert sie ihren siebzigsten Geburtstag. An Richard Wagners Geburtstag, am 22. Mai dieses Jahres, gab sie in ihrem Pariser Salon gegenüber dem Invalidendom ein privates Wagnerkonzert als Alternative zu den öffentlichen Wagnerehrungen in der französischen Metropole. Ich hatte die Ehre, dabei sein zu dürfen und habe mit ihr über ihr Verhältnis zu Richard Wagner und zu ihrem Lehrer Alfred Cortot gesprochen.
Florence Delaage, letzte Schülerin des wohl bedeutendsten französischen Pianisten, Alfred Cortot, ist eine jener typischen fran-zösischen Wagnerenthusiastinnen. Sie wurde in eine musikalische Familie hineingeboren. Die Musik wurde ihr quasi in die Wiege gelegt.
Ich habe Klavier zu spielen angefangen mit vier Jahren Dank meiner Mutter. Ihre drei Uronkel waren Geiger und Cellisten in der Opéra de Paris. Sie haben in der Tannhäuser-Uraufführung gespielt.
Die familiäre Wagnertradition ist gewissermassen auf Florence Delaage übergegangen. Auch ihre Mutter spielte gut Klavier, und vor allem viel Wagner. Aber auch ihr wichtigster Lehrer, Alfred Cortot, der sie in seinen letzten fünf Lebensjahren als
Privatschülerin aufgenommen und quasi als Tochter betrachtet hatte, hat ihre Liebe zu Wagner nur bestärkt.
Jede Woche bin ich nach Lausanne gefahren in seine Villa Musee über dem Genfersee, wo ich unter dem Renoir-Porträt von Wagner inmitten von vielen Handschriften Chopin und Liszt spielte. Ich habe bei ihm gelernt, genau zu Phrasieren und den
Klang unendlich zu variieren. Ich habe zwei Leidenschaften im Leben: Wagner und Cortot. Sie haben die gleiche Bedeutung für mich: Die Kunst der Transzendenz.
Obwohl Florence Delaage auch Chopin, Bach, Mozart, Schubert, Schumann und Beet-hoven zu ihren Lieblingskomponisten zählt, hat sie zu Wagner doch eine ganz besondere Affinität. Wie ihr pianistischer Erzieher und Übervater Alfred Cortot!
Cortot war ein großer Wagnerianer. In seiner Zeit war die Musik Wagners wie eine Offenbarung. Cortot gab eine Konzertreihe mit den Werken Wagners auf zwei Flügeln, mit Edouard Rissler. Cortot war der Erste, der in Paris nach 1945 Werke
von Wagner dirigierte: Tristan und Götterdämmerung. In Deutschland, (vor allem in Bayreuth, wohin sie alljährlich pilgert), in Frankreich, aber zuallererst in Italien ist Florence Delaage bis heute gefragte Wagnerpianistin, ob in Turin, Venedig, Neapel oder Mailand, wo sie auch unterrichtet. Ihre enge Verbundenheit mit Italien ist nur zu verständlich: Ihre Karriere begann Anfang der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts in Italien.
Mein erstes Konzert war in Florenz, im Garten des Palazzo Pitti vor 2000 Zuhörern. Das war der Beginn meiner Karriere. Ich spiele auch in Deutschland und France, aber Italien liebe ich bis heute ganz besonders.
Florence Delaages Interpretationen der Musik Frederic Chopins, Gabriel Faurés, Franz Liszts wie Richard Wagners zeichnen sich gleichermaßen durch kraftvollen Anschlag, ungewöhnlich differenzierte Gestaltung bis in kleinste Nebenstimmen und außeror-dentlich berührende Emotionalität aus. Alles, was sie spielt, meint man ganz neu und anders zu hören als sonst. Sie spielt übrigens meist auf den Flügeln von Alfred Cortot, auf Steinways und Instrumenten des Pariser Klavierbauers Pleyel, die einen besonderen Klang haben.
Ich liebe Routine nicht. Ich versuche immer, meine seelischen Empfindungen ehrlich auszudrücken, um sie dem Publikum mitzuteilen.
Auch die Wagnerleidenschaft der Franzosen ist ehrlich und unangefochten von all den historischen Traumata, die das Verhältnis der Deutschen zu Wagner so problematisch machen. Die französischen Wagnerianer waren von je die enthusiastischsten. Wagners großer internationaler Durchbruch ist schließlich den Franzosen zu verdanken. Erst als nach seinem Pariser Tann-häuser-Skandal französische Literaten wie Mallarmé oder Beaudelaire Wagner feierten, wurde er auch in Deutschland endlich ohne Wenn und Aber anerkannt. Bis heute sind die Franzosen die bedingungslosesten Wagnerianer.
Die französischen Wagnerianer sind viel begeisterter als die Deutschen und sie müssen anders als die Deutschen kein schlechtes Gewissen haben dabei. Wagner hat die Franzosen verhext. Sie sind verrückt nach Wagner. Ich kenne eine Dame, die ihren Mann verlassen hat, um ihren Sitznachbarn aus Bayreuth zu heiraten, weil er ein noch enthusiastischerer Wagnerianer als ihr erster Mann war.
Die Pianistin Florence Delaage, die abwechselnd an der bretonischen Küste und in Paris lebt, ist eine lebensfrohe Französin, die mit ihren nun 70 Jahren immer noch gern im Atlantik schwimmt, eine gute Küche und guten Wein liebt, ganz "boubo", wie die Franzosen sagen, also "bourgois-bohème". Sie ist eine reiselustige, gesellige Zeitgenössin mit weitem Horizont und großem Herzen, eine charmante Gastgeberin und eine jener wunderbaren französischen Wagnerianerinnen, die in Wagner vor allem den Musiker bewundern.
Das ist eine Musik, die mich in eine Märchenwelt führt, in ein anderes Universum. Wagner ist für mich der Höhepunkt der Musik.
Und doch verkennt sie nicht die Abgründe des "Bayreuther Meisters".
Es gibt immer Licht und Schatten. Wagner war Chauvinist und Kosmopolit. Er hat viele Seiten. Sein Antisemitismus ist eine seiner unerträglichsten.
Florence Delaage spielt auch in dem soeben erschienenen Mitschnitt ihres Konzertes zum Gedenken an Alfred Cortots 50sten Todestag im vergangenen Jahr in der Pariser Salle Gaveau Wagnertranskriptionen und -Paraphrasen von Franz Liszt. Ihr Bekenntnis zu Wagner ist so ungebrochen, wie das vieler Franzosen, die bis heute zu den treusten Bayreuth-Pilgern zählen.
Beiträge in DLF "Kultur Heute", MDR Figaro und SWR "Cluster" 2013