Franz Lehár zum 150. Gbtg.

Der „Meister der deutschen Operette“ oder

„dem kleinen Mann sein Puccini"


Zum 150. Geburtstag von Franz Lehár am 30. April 2020


 

Von wegen deutsch, weder Person noch Musik (Werk) Lehárs waren typisch deutsch. Es war Adolf Hitler, der Franz Lehár den „Meister der deutschen Operette“ nannte, bloß weil „Die Lustige Witwe“ (und nicht etwa ein Werk Wagners) sein  Lieblingsstück gewesen war.  Nur deshalb wurde der strittige, schon wegen seiner engen Zusam­men-arbeit mit dem jüdischen Tenor Richard Tauber bei den Nazis keineswegs beliebte Lehár (der mit einer jüdischen Frau verheiratet war und dessen Librettisten ausnahms-los Juden waren) geduldet. Er erhielt vom „Führer“ eine Sondergenehmigung zur wei-teren Ausübung seines Berufs und zur Aufführung seiner Werke. Seine Frau  wurde zur „Ehrenarierin“ erklärt. Einer seiner Librettisten, der großartige Fritz Löhner-Beda hin-gegen, dem er wesentliche Erfolge zu verdanken hatte, kam ins Konzentrationslager Auschwitz und wurde dort ermordet. Neueren Recherchen zufolge soll Lehár nichts dagegen unternommen und nach dem Ende der Naziherrschaft sogar beteuert haben, von nichts gewusst zu haben, ja stets unpolitisch gewesen zu sein. Dabei hatte er sich 1941 dem Regime für Propagandakonzerte in Paris zur Verfügung gestellt, hatte für eine Aufführung in Budapest seine „Zigeunerliebe“ arisierte. Auch bei den Auffüh-rungen der „Lustigen Witwe“ während des NS-Reichs erwähnte er die jüdischen Librettisten Victor Léon und Leo Stein nicht.


Lehár war - der Karriere wegen - einer jener typischen Mitläufer und Opportunisten, zu denen auch Richard Strauss im Bereich der Oper gehörte. War Richard Strauss der berühmteste und erfolgreichste deutsche Opern-Komponist der Zeit, so war es Franz Lehár im Bereich der Operette.  Mit beiden schmückten sich die Nazis. Nicht zuletzt mit seiner starken Präsenz in Rundfunk und auf Schallplatte in den Dreißiger- und Vier-zigerjahren konnte Lehár seien führende Stellung in der Operetten­branche ausbauen.


Kurt Tucholsky hatte Franz Lehár spöttisch „dem kleinen Mann sein Puccini“ genannt. Auch wenn das durchaus abwertend gemeint war, so ist der Vergleich mit Puccini nicht aus der Luft gegriffen. Die beiden Komponisten beobachteten einander und versicher-ten sich gegenseitiger Wertschatzung. Lehár kokettierte mit der veristischen Oper, Puc-cini mit der Operette. Nicht zuletzt „La Rondine“ schrieb Puccini unter dem starken Ein­druck von Lehárs Operette „Die ideale Gattin“, die er 1909 im Theater an der Wien gesehen hatte. Er wollte für Wien eine komische Oper schreiben, aus der schließlich die wenig erfolgreiche Commedia lirica „La Rondine“ wurde. Dass ausgerechnet Puccinis sonstiger Verleger Tito Ricordi, den er diesmal ausgeschlagen hatte, die Oper nach der Premiere „schlechten Lehár“ nannte, war zumindest ein Kompliment für den Operet-ten­komponisten, mit dem sich Puccini, der sich unter Wiener Theater- und Verlags-direktoren umsah, eng befreundete. Die beiden Musiker spielten gelegentlich sogar gemeinsam Klavier. Was Wunder, dass Franz Lehár Puccini ein Foto widmete mit der Aufschrift „sein treuster Anhänger“ Die Anhängerschaft war durchaus gegenseitig.  Noch 1940 betonte Lehár in einem Radiointerview: „Uns verband eine wirklich tiefe, aus innerem Herzen kommende Freundschaft. Sie war begründet auf völliger Über-einstim­mung unseres musika­lischen Empfindens, auf gegenseitigem Verstehen dessen, was wir in Tönen ausdrücken woll­ten“. Puccini sah in Lehár einen Mitstreiter - im ge-mein­samen Kampf um "semplicità e melodia“. Er nannte ihn verehrungsvoll „il mio amico Franz Lehár."


In der Tat waren sich beide Komponisten der Nachwagner-Ära in ihrer Affinität zu Massenet, Bizet und Debussy einig, um ihren je eigenen Weg zwischen zartem Lyris-mus, parfümierten Verismo und klangspielerisch kunst­vollem, schmerzlich-süßem In-nenleben zu beschreiten. Aber auch das stoffliche Motiv der Entsagung verband beider Werke. An Orchestrie­rungs­kunst stand Lehár Puccini in Nichts nach.

 

Lehár wurde am 30. April 1870 im ungarischen Komorn geboren und ist in verschie-denen ungarischen Garnison­städten, als Sohn eines k. u. k. Militär­kapell­meisters auf-gewachsen. Schon mit 12 Jahre begann das Wunderkind am Prager Konservatorium zu studieren: Violine, Kom­po­sition und Musiktheorie unter anderem bei Antonin Dvorák. 1888 wurde er Konzertmeister in Barmen-Elberfeld, 1890 jüngster Militärkapellmeister in Wien, dann in slowakischen, kroatischen, italienischen, slowe­ni­­schen und ungari­schen Garnisonstädten, wo er sich mit der landestypischen musikalischen Folklore ver-traut machte. Sein erstes Bühnenwerk war die Oper Kukuschka“ (Leipzig 1896) Es blieb seine einzi­ge Oper, zumal er in Wien Kontakt zur führenden Operettenbühne, dem Theater an der Wien gewann, was den Abschied von der Militärmusik zur Folge hatte. Daneben komponierte er Lieder, Märsche, Tänze; sein berühm­tester ist wohl der Gold und Silber-Walzer.(1902). Lehár lebte bis zu seinem Tod in Wien und Bad Ischl, als Komponist und Dirigent seiner Werke, die er seit den dreißiger Jahren auch mit großer unternehmerischer Begabung als sein eigener Verleger betreute (Glocken-Verlag, Wien). „Seine Entwick­lung als Protagonist der Wiener und bald auch der europäi­schen Ope­rette im 2O.Jahrhundert begann 1902 mit zwei Stücken, die schon bezeichnende Züge seiner weiteren Produktionen aufweisen: einerseits den mondänen Salon­ton in Wiener Frauen (Thea­ter an der Wien, Wien), andrerseits die geradezu Wahlverwandt­schaftliche Aneignung folklo­ristischer Lokalklänge im slowakisch-ungarisch-wiene-risch geprägten "Rastelbinder!. (Carl-Theater, Wien). Internationalen Durchbruch und fortdauernden Weltruhm brachte, nach zwei schwächeren Werken, Die lustige Witwe  (1905).“ (Volker Klotz)

 

Das Neuartige dieser Operette lag in der offenen Erotik ihres Sujets und in der raffi-nierten Kühnheit, mit der die vibrierende Sinnlichkeit der Handlung musikalisch um-gesetzt wurde. Die Melodien der Partitur singen von nichts als Wünschen und Begier-den, Passionen und Trieben, Umarmungen und Küssen. Lehár hatte sie kraft seiner individuellen Orchesterbehandlung ins neuartig Gewagte gesteigert. Er überraschte mit Klangkombination, die man bis dato nicht gehört hatte in Operetten: Orchesterfarben, wie sie im symphonischen Werk der Richard Strauß, Mahler und Debussy aufgeklung-en waren.“ Damit hob Lehár „Die lustige Witwe“ und mit ihr das Genre Operette aus dem Behaglich-Wienerischen ins Mondän-Internatio­nale.“ (Bernard Grun)

 

Der schlagartige internationale Erfolg dieser Operette wurde nie von einem anderen seiner Werke übertroffen und bescherte ihm bis zu seinem Lebensende finanzielle Sorg-losigkeit. Bis zum Tod Lehárs wurde das Stück mehr als 300 000 Mal aufgeführt. Er konnte sich ein großes Mietshaus in Wien und eine großzügige Villa in Bad Ischl leis-ten, in der er 1948 starb. 1931 erwarb er auch noch das 1737 errichtete „Schikaneder-Schlössl“ im Wiener Heurigenort Nußdorf.

 

Lehár hat an die 40 Operetten geschrieben, auf dem nicht ungefährlichen Grat zwischen Militärmusik, multikulturellen folkloristischen Erfahrungen, Tanzmusik (wobei ihm lateinamerikanische mehr lag als jazzartige) und opernhaftem Verismo. Immer neue Experimente wagte er, von der Tanzoperette („Die lustige Witwe“) über die Arbei-teroperette („Eva oder das Fabrikmädel“) bis hin zur Traumoperette („Zigeunerliebe“) und zur exotischen Ausbruchsoperette („Das Land des Lächelns“). Der Verzichtsgestus der meisten seiner Operetten darf als wohl­kalkuliertes Eingehen auf sozialpolitische Befindlichkeiten seines Publikums verstanden werden: Stellvertretend fürs kleinbür-gerliche Publikum verzichten seine Bühnenfiguren nach großen Gefühlen und eroti-schen Abenteuern am Ende, um die bürgerliche Normalität wiederherzustellen. Das Geheimnis der Operetten Lehárs liegt (neben deren musikalischer Qualität) in der vorzüglichen Eignung zur Sublimierung der Sehnsüchte eines internationalen moder-nen Publikums. Kein Wunder, dass Lehárs Operetten bis heute Standard­werke des inter-nationalen Reper­toires sind. „Die Lustige Witwe“, „Der Graf von Luxemburg“ und „Das Land des Lächelns“ liegen an der Spitze der Aufführungszahlen.


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