Berlin Wagner 2013

Photos oben: Akademie der Künste Berlin / rechts: Oper Leipzig / Bayreuther Festspiele


Wagner und kein Ende - "Wagner 2013"

Ausstellung in der Akademie der Künste Berlin                                  Dauer: 7.12.2012-17.02.2013

  

Am 6.12.2012 wurde in der Berliner Akademie der Künste eine Ausstellung eröffnet, die den Titel trug "Wagner 2013. Künstlerpositionen". Sie dauerte bis zum 17. Februar 2013. Es handelt sich um eine multimediale Präsentation unterschiedlichster, ja konträrer Wagner-Lesarten und -Kommentare promi­nenter Künstler und Akademiemitglieder aus Musik, Literatur, Regie und Bildenden Künsten. Eine Art Bilanz und Panorama gegenwärtiger Auseinandersetzung mit dem nach wie vor polarisierenden Bayreuther "Meisters" aus Anlass seines 200stern Geburtstag.

   

Wagners Musik ist immer wieder als Filmmusik benutzt worden, ob in Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" aus dem Jahr 1979 oder in Lars von Triers Science-Fiction-Drama "Melan-cholia" aus dem Jahre 2011. Das ist bezeichnend für die ungebrochene Rezeption des Kompo-nisten Wagner, der immer noch fasziniert, aber auch polarisiert. Die Theatermacherin Nele Hertling, künstlerische Leiterin der Ausstellung macht darauf aufmerksam, dass ...

"... die Musik Wagners bei Vielen heute nur bekannt ist als unterlegte Musik von Werbung, von Film, medialen Ereignissen, wo Musik gebraucht oder missbraucht wird eigentlich zur emotionalen Unterstützung von Bildwelten."


Diese Bildwelten werden in der großen Ausstellung der Berliner Akademie der Künste durch Installationen, Gemälde, Plastiken, aber auch Video-Vorführstationen ausgewählter Szenen exemplarisch veranschaulicht."Es ist der Versuch, diese Nutzung durch Medien in unserem Zeitalter deutlich zu machen.“

Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste.: „Meine Sorge, die ich am Anfang hatte, war, dass wir in dem großen zu erwartenden Rausch, der nächstes Jahr über uns herein-brechen wird, nur ein bisschen mitrauschen würden."

Seine Sorge ist unbegründet, denn differenzierter, kontroverser könnten die Künstler-Positionen dieser Ausstellung, ob von Anna Viebrock, Jonathan Meese oder Achim Freyer nicht sein, einer Ausstellung, die sich auf die Fahnen geschrieben hat "Es geht ums Ganze", also um Wagner in seiner ganzen Widersprüchlichkeit.

"Nichts ist erledigt. Und das glaube ich, ist wirklich die Überschrift über der Beschäftigung mit Wagner. Denn dass er einer der Großen Genies ist, bezweifle auch ich nicht. Solche Genies sind aber immer gefährlich und man muß sie im Auge behalten." (Klaus Staeck)


Um die politische Gefährlichkeit Wagners geht es vor allem Regisseur Hans Neuenfels, einem der unkonven­tionellsten Wagner-Inszenatoren, der zuletzt bei den Bayreuther Festspielen mit seiner umstrittenen Lohengrin-Inszenierung auf sich aufmerksam gemacht hatte. Einige seiner pinkfarbenen und weißen Rattenkostüme daraus sind in der Berliner Ausstellung zu sehen. 

"Ich fand das Problem, das Wagner auslöst durch eine Schrift, die 1850 von ihm erschienen ist, "Das Judentum in der Musik" eine starke Belastung. Wenn Kunst das Humane bewahren soll und der letzte Hort des Humanen ist, dann hat noch nie ein Genie, wie es Wagner getan hat, durch eine Schrift, durch eine Verhaltens­weise, so gegen das Humane verstoßen. Weder ein Mozart, noch ein Verdi, noch überhaupt Einer. Es gibt keinen Menschen, der ein Vokabular geliefert hat, dass für den größten Schrecken, den ein Land je verbreitet hat, nämlich das Nazitum, sozusagen Vorschub geleistet hat. Mit diesem Bewusstsein muss man dieses Genie Wagner auch hören und sehen." (Hans Neuenfels)


Die Grundfrage der Berliner Wagner-Ausstellung bringt Nele Hertling auf den Punkt: "Kann man die Person von dem Werk trennen, kann man die Musik trennen von der Ideologie und von der Schrift? Beide denkbaren Antworten gibt es ständig in den Gesprächen." (Nele Hertling)

Gespräche sind denn auch in vielen Hörstationen abrufbar. Gespräche mit Barrie Koskie, Ale­xander Kluge oder Christoph Schlingensief, um nur drei Beispiele zu nennen. Sie sind wichtiger Teil der Ausstellung.  Sven Neu­mann ist dafür verantwortlich. Er betont denn auch..."dass es uns um die Künstlerpositionen ging und wir dafür in der Vorbereitung der Ausstellung, bis ganz zuletzt, Gespräche mit den beteiligten Künstlern geführt haben." (Sven Neumann)

Nele Hertling fügt hinzu: "Für mich sind sie der entscheidende Teil des Projektes geworden, denn Vieles ist visuell nicht darstellbar, auch akustisch in der Musik kaum darstellbar."   

Ob Achim Freyer, Claus Guth, Stephan Suschke, Einar Schleef oder die australischen Künstle­rinnen Hold Your Horses: Sie alle beziehen mit Installationen, Inszenierungskonzepten, Plakaten, Lesetexten, Bühnenbildmodellen oder Video-Dokumentationen kritisch Position zu Richard Wagner. Es ist ein Panorama sehr persönlicher Lesarten Wagners und Wahrnehmungen  seiner Musik und seiner Person, ein Panorama, das Antworten gibt auf die Frage: Wie hältst Du´s mit Richard Wagner? 

"Wir haben, um die lebenden Positionen zu ergänzen und ihnen noch mal ´ne andere Grundlage zu geben, einige "historische" Positionen aufgenommen, weitgehend aus den Beständen des Archivs der Akademie der Künste." (Nele Hertling) 


Es sind Ausschnitte abgefilmter Wagnerinszenierungen etwa von Ruth Berghaus, Joachim Herz, Patrice Chéreau,  Heiner Müller und Jürgen Flimm. Ein reichhaltiges Begleitprogramm aus Lesungen, Vorträgen, Gesprächen und Diskussionsrunden - mit Nike Wagner, Peter Sloterdijk, Gerard Mortier, aber auch den Komponisten Helmut Oehringer, Enno Poppe oder Dieter Schne-bel umrahmt die Ausstellung. Auch eine öffentliche Probe von Szenen aus dem Fliegenden Hol-länder mit Peter Konwitschny und eine alle drei Säle bespielende Performance zu den vier Ring-Teilen mit Studierenden der Universität der Künste und der Hochschule für Musik Hanns Eisler gehört dazu. Es ist eine vielfältige, facettenreiche Ausstellung, die sich ohne starres Konzept und in offener Form mit dem Thema "Wagner und kein Ende" auseinandersetzt.


"Es ist eben ein Projekt entstanden, das aus von uns nicht planbaren Einzelteilen besteht und das doch vielleicht ein gesamtes Bild des Phänomens Richard Wagner gerade noch vor dem Wagnerjahr bieten kann." (Nele Hertling)

 

Diverse ARD-Beiträge

Die Ausstellung belegt das eindrucksvoll,  indem sie auf Bachs theologische Bibliothek verweist, aus der repräsentative Werke ausgestellt sind, vor allem seine Ausgabe der Schrift „Von den Jüden und ihren Lügen“ aus dem Jahre 1543. Bach besaß 52 Titel in 81 Bänden, darunter ein Viertel Werke Martin Luthers und neben allerhand Predigt- und Erbauungsliteratur auch die toleranzfeindlichen antijüdischen  Bücher des Hamburger Pastors Johannes Müller. Offenbar teilte Bach Luthers Geschichtstheologie, die im 1500-jährigen „Exil und Elend“ der Juden einen Beweis für den eigenen Glauben sah (Gottes ewige Strafe für die verstockten Juden sei die Kehrseite seiner Gnade für die Gläubigen). So legen es jedenfalls Bachs eigenhändige Bibelkommentare nahe. Die Eisenacher Ausstellung lässt keinen Zweifel daran: Bach war lutherisch geprägter Antijudaist.

Umso erstaunlicher, dass die Wiederentdeckung Bachs im frühen neunzehnten Jahrhundert, der der zweite Teil der Ausstellung gewidmet ist, ausgerechnet jüdischen Salondamen zu verdanken ist. Sie spielten in ihren Berliner und Wiener Salons Bachsche Instrumentalmusik und legten damit den Grundstein der Bachrenaissance.


„Die Familie Itzig mit ihren Salonieren Sarah Levy, Fanny  von Arnstein, Cäcilie von Eskeles, Bella von Salomon, die Großmutter Mendelssohns, die ihm dieses großartige Geschenk, die Partitur der Matthäuspassion zum 14. Lebensjahr machte und ohne dieses Geschenk hätte es die Wiederaufführung der Matthäuspassion, damit vielleicht die Popularisierung von Bachs Musik im 19. Jahrhundert, keine Bachgesellschaft und auch kein Bachhaus gegeben.“


Erstaunlicherweise nahmen die jüdischen Pioniere der Bachwiederentdeckung an den antijüdischen Stellen in Bachs Passionen und Kantaten keinerlei Anstoß. 


„Dass die plötzlich sich die Sache Bach zu ihrer eigenen gemacht haben. Es war dieses Streben nach Bildung, Teilhabe an der Emanzipation und hier hat man eine Sache, die plötzlich diese Teilhabe ermöglicht. D.h. da weht wirklich dieser Wind der jüdischen Aufklärung  durch die Musikgeschichte."

Auf museumsdidaktisch übersichtlich  aufbereiteten Texttafeln lassen sich sowohl die Geschichte der jüdische Bachwiederentdeckung als auch Bachs Vertonungen antijüdischer Luthertexte nachverfolgen. Auf Hörstationen  kann man die entsprechenden Musiken Bachs anhören. Es sind in dieser Ausstellung aber auch viele Porträts, Bücher und anderer Schriften von der Zeit Luthers bis ins 20. Jahrhundert ausgestellt, die das Beschriebene illustrieren.


„Besonders perfide ist das Heftchen von Martin Sasse, thüringischer Landesbischof, führender Kopf der "Deutschen Christen" in Deutschland, der 1938  die Reichskristallnacht als Geburtstagsgeschenk an Martin Luther gedeutet hat, der ja bekanntlich am 10. November Geburtstag hat,  und der sagt: In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der der größte Antisemit seiner Zeit gewesen ist.“


Damit wird die Brücke der Rezeption Luthers über Bach bis ins Dritte Reich geschlagen.

Ein heikler Zusammenhang und ein brisantes Thema, dem bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit zuteilwurde.  Der bedeutendste deutsche Kirchenmusiker, das „Alpha und Omega aller Musik“, wie er oft gepriesen wurde, muss nach dieser Eisenacher Ausstellung neu überdacht werden. Es ist die erste zu diesem Thema. Eine wichtige Ausstellung, die mit einem Tabu bricht, die Denkanstöße gibt und  in der man viel dazulernen kann. 


Beitrag auch in SWR 2 Cluster am 27.06.2016