Offenbachs Fantasio in Karlsruhe 2014

Photos: Falk von Traubenberg  Badisches Staatstheater Karlsruhe

Romantisch-melancholische Komödie als Oper
Ein pazifistischs Bekenntnisstück


Fantasio, Opéra comique in drei Akten von J. Offenbach   

Szenische  UA der Edition Keck am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Premiere 13.12. 2014



Im Badischen Staatstheater Karlsruhe ist ein vergessenes Meisterwerk von Jacques Offenbach durch eine Neuausgabe wiederbelebt geworden: die Opéra comique  „Fantasio“. Zum ersten Mal seit der Pariser Uraufführung 1872 hat dieses Stück – in deutscher Übersetzung von Car-sten Golbeck - in der Uraufführungsfassung wieder das Licht der Opernbühne erblickt.



Diese Ausgrabung ist eine kleine Sensation, denn in Karlsruhe hört man einen Offenbach jen-seits von Parodie, Ironie und Satire, wie sie die von ihm kreierte Gattung der Opéra bouffe auszeichnet, jenseits also von heiter-satirischem Musiktheater.  Es handelt sich um eine roman-tische Oper. Frank Harders-Wuthenow vom Verlag Boosey & Hawkes, der seit 1999 eine von Jean-Christphe Keck edierte neue wissenschaftliche Offenbach-Edition herausgibt, betont denn auch:


Man sollte nicht vergessen, dass Offenbach immer nach Höherem strebte, aber nicht durfte, weil in Paris sowohl an der Opéra comique wie am Garnier der Claim so abgesteckt war, dass man die jungen Leute nicht nachrücken ließ, und er war einfach gezwungen, das erst Mal auf eigene Kosten und selbständig zu machen. Deshalb war er als Impresario ja oft genug pleite. Offenbach wollte den großen Orchesterklang und nicht den kleinen. Er sagte ja auch selber, "wenn ich meine Musik hören will, gehe ich nach Wien". Deswegen gibt es ja die ganzen Wiener Fassungen mit sehr viel größerem Orchesterapparat als in Paris, was auch den Fantasio betrifft."



Offenbach hat immerhin 5 Opern komponiert neben seinen  weit über hundert Buffonnerien.  „Fantasio“  entstand genau zwischen den 1864 in Wien uraufgeführten, erst vor wenigen Jahren ausgegrabenen „Rheinnixen“ (siehe meine Besprechung dazu) und seinem Weltabschiedsstück „Hoffmanns Erzähungen“. Was auch als Vorwegnahme zu hören ist. Andreas Schüller, in Sach-en Offenbach erfahrener Dirigent der Aufführung und seit der Saison 2013/14 Chefdirigent der Dresdner Staatsoperette:


"Also der Offenbach-Kenner wird sich ganz stark an Hoffmanns Erzählungen erinnert fühlen, namentlich an die Euphorie und Melancholie im Antonia-Akt.  Das ist ganz offensichtlich, dass er da beim Komponieren von Hoffmann wieder auf Ideen zurückgegriffen hat, die hier in Fan-tasio zum ersten Mal auftauchen, gerade was die Männerchöre angeht, auch ist der Topos ja ein ähnlicher, auch im im Phantasio gehts es andeutungsweise  um deutsche Romantik. Man ist in München, Studentenchöre, das ist natürlich nicht so weit entfernt von dem, was er im Hoff-mann  als  Handlungsgrundlage benutzt, insofern ist auch die musikalische Nähe nicht verwun-derlich. 


Fantasio, ein junger heimatloser Student, flüchtet in die Rolle eines Narren, findet die Liebe seines Lebens, verhindert eine Zwangsverheiratung und auch einen Krieg, indem er empfiehlt, dass sich doch die Staatsoberhäupter (die natürlich zu feige dazu sind) persönlich duellieren, aber nicht ihre Völker in den Krieg schicken sollten. Köstlich, wie er dem vermeintlichen Prin-zen von Mantua die Hosen herunterreisst.  Diese  melancholische Komödie basiert auf einem Libretto von Paul de Musset, Camille du Locle , Charles Nuitter und vermutlich auch Alexandre Dumas Sohn. Die Handlung spielt in München , wo Krieg droht zwischen Bayern und dem Her-zogtum Mantua.  Mit der Verheiratung der bayerischen Prinzessin Theres und dem Prinzen von Mantua soll der Krieg verhindert werden. Zwar ist dieses Stück voll von burlesken Szenen, Ver-kleidungs- und Rollentauschsituationen, aber es ist keine Opéra bouffe. Andreas Schüller:


"Was auffällt, ist die große Melancholie, die Weltschmerzhaftigkeit, die Offenbach den beiden Hauptdarstellern zugesteht. Einerseits der Student Phantasio, Mezzosopran, andererseits die bayerische Prinzessin Therese. Die Figuren sind alles andere als komisch. Sie haben fast ausschließlich, auch in den drei Liebesduetten, sehr berührende, sehr melancholische, sehr zukunftsängstige Musik, also es hat nichts zu tun mit Unterhaltungsmusik oder Tanzcouplets, was man von Offenbach erwarten mag."


Offenbach verwendet im Fantasio eine große romantische Orchesterbesetzung  mit vier Hör-nern, doppelter Holzbläserbesetzung und drei Posaunen, was sich sehr von dem unterscheidet, was Offenbach für die meisten seiner übrigen Werke (nicht nur aus Gründen der Kostenmini-mierung) verwendet hat.  Die einzelnen Akte der dreiaktigen Opéra comique, sind denn auch mit blechlastigen Zwischenmusiken versehen.  Zwar läßt  Offenbach die bayerische Hofgesell-schaft Boléro tanzen, zitiert den Bayerischen Defiliermarsch  und wartet mit einer Reihe sub-tiler Anspielungen auf: etwa auf Mendelssohns Sommertnachtstraum, Verdis Rigoletto und Webers Freischütz. Doch es handelt sich bei dieser Oper mit integrierten Sprechdialogen um keine parodistische  Offenbachiade. Frank Harders-Wuthenow:

 

"Fantasio ist wahrscheinlich der Schlüssel zum Verständnis der europäischen Romantik im neunzehnten Jahrhundert. Ein Werk, das eine unglaubliche Symbiose aus französischem und deutschem Esprit, darstellt, eine Mischung aus Melancholie und Parfum deutscher Tiefgrün-digkeit, die aber nie gründelt, sondern immer sehr direkt zu Herzen geht,  und es ist ein Selbts-porträt von Offenbach, es ist der Künstler als Narr, aber eben der Melancholiker, der Seiltänzer, der über dem Abgrund tanzt und jeder Zeit herunterfallen kann, und es ist natürlich ein durch und durch antibürgerliches Stück, da wird der bürgerlichen Gesellschaft eine lange Nase gedreht." 


Offenbach schrieb den Fantasio 1871, als preußische Truppen Paris besetzten. Der deutsch-fran-zösische Krieg verhinderte die Aufführung der Oper. Sie kam erst ein Jahr später, nach dem Frieden von Versailles, heraus.  Das Stück, das für die Pariser Opéra comique geschrieben wur-de, ist dort nach nur zehn Aufführungen abgesetzt  worden. Kein Wunder:  Eine so dezidiert pazifistische Oper entsprach nach der französischen Niederlage in Sedan nicht gerade dem Zeitgeist.

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Im zwanzigsten Jahrhundert kam der Fantasio nur zweimal szenisch und einmal konzertant auf die Bühne, jeweils in stark bearbeiteter Fassung. Nun endlich kann man am Badischen Staats-theater die originale Gestalt des Werkes erleben: In der vitalen Inszenierung von Bernd Mottl, die Otto Pichler launig durchchoreographiert hat.  In Karlsruhe ist das Stück unter weiss-blau schraffiertem Himmel zwischen Bayerischem Trachtentanz und Studentenmilieu von heute angesiedelt. König Ludwig II. (Renatus Meszar) tritt persönlich auf. Ein Klische-Bayern, ein Playmobil-Bayern mit aufgedruckten Lederhosen, Schuhplattler-Geklatsche und tapetenhaftem Alpenpanorama. Etwas hintergründiger  hätte es allerdings sein dürfen, um der feingistigen Ironie Offemnbachs gerecht zu werden. 



Immerhin, man spielt das nur wenig mehr als zweieinhalbstündige Stück, nahezu ungekürzt. Die sängerische Besetzung mit der jungen türkischen Mezzosopranistin Dilara Bastar als Fanasio und der bulgarischen Koloratursopranistin Ina Schlingensiepen als Theres in den weiblichen Hauptpartien ist vorzüglich. Mit einer brillianten, sängerischen wie darstellerischen Charakterstudie ganz im offenbachischen Sinne wartet Klaus Schneider als Marinoni, Adjutant des Printen von Mantua auf. Auch die übrige Besetzung aus dem eigenen Ensemble, einschließ-lich des  singschauspielerisch und tänzerisch sehr engagierten Badischen Staatsopernchors läßt keinen Wunsch offen. Fantasio hätte nach Meinung des Dirigenten Andreas Schüller, der mit der Badischen Staatskapelle einen rhythmisch mitreißenden wie romantisch bewegenden, anrührenden Offenbach dirigiert,  durchaus  das Zeug zum Repertoirestück.


"Man muss sagen, dass das sehr gut besetzbar ist, das normale Deutsche Stadttheater verfügt genau über die Art von Sängern, die Art von Stimmen, die benötigt werden in so einem Stück, die Handlung ist nicht zu verworren, die Musik ist kraftvoll, mag sein, dass diejenigen, die sich so eine brachiale Schenkelklopferkomödie erwarten, enttäuscht sein könnten. Wenn man sich aber auf das einläßt, was Offenbach hier komponiert hat, wenn einen diese Weltschmerz-haftigkeit ein wenig anrührt, dann kommt das Publikum, glaube ich, sehr wohl auf seine Kosten.“ 


Das Karlsruher Premierenpublikum dieser Uraufführung der Fassung von Jean- Christophe Keck, darunter viel angereiste Offenbachianer, feierte die Reanimierung des wunderbaren Stücks jedenfalls enthusiastisch. Zurecht! Eine Reise zu dieser Offenbachiade der anderen Art lohnt! Denn immer noch wird Jacques Offenbach, der Romantiker, der Melancholiker und der Opernkomponist viel zu wenig beachtet!





Besprechung auch in SWR 2 Cluster 15.012.2014