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Photo: Michele Crosera
Des Meeres und der Liebe Wellen - Politik contra Natur &Gefühl
Das Opernsterben im Land der Oper
Eindrucksvoller „Simon Boccanegra" an Venedigs Teatro La Fenice
Premiere 22.11.2014
Giuseppe Verdi hatte die Oper „Simon Boccanegra“ für das Teatro La Fenice komponiert, wo sie 1857 uraufgeführt wurde. An diesem traditionsreichen Haus, ging heute abend eine Neuinszenierung des Werks über die Bühne. Venedig liegt zwar weit nördlicher von Rom, im reicheren Teil Italiens. Doch die Horrormeldungen für alle Musikschaf-fenden, die im Oktober aus Rom verbreitet wurden, wurden auch in Venedig mit Bestürzung registriert.
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Das Opernsterben im Land der Oper ist beschämend. Nirgends gaben so viele Opernhäuser auf wie im Land, in dem die Oper erfunden wurde. Die Etats fast aller Opernhäuser Italiens – und es spielen ja nur noch 13 - sind in der Regierungszeit Berlusconis gewaltig beschnitten worden. Kürzungen bis zu 50 Prozent sorgten für viel Unmut, ja Verzweiflung. Rom hat neben der Mailänder Scala, die die meisten Schulden hat, aber einen Sonderstatus genießt, der sie schützt, enorme Schulden und stand vor der Zahlungsunfähigkeit. Im Grunde sind alle italienischen Opernhäuser nahezu bankrott, weil sie alle völlig überschuldet sind. Nur der Initiative des neuen Kulturministers der Regierung Renzi ist es zu verdanken, dass jetzt ein Gesetz erlassen wurde, das zusätzliche Mittel bereitstellte, die Schließungen der Theater, und Roms Entlassung seiner sämtlichen Theatermitarbeiter, was ja im Raum stand, verhinderte. Nun war Rom nie eine Stadt mit alter Operntradition, schon der Päpste wegen, die die Oper ja mieden wie der Teufel das Weihwasser.
Venedig ist nach Florenz, wo die Gattung erfunden wurde, eigentlich die Geburtsstadt der Oper, zumal der nichtaristo-kratischen, bürgerlichen. In Venedig gibt es bis heute ein großes, traditionsbewußtes wie zahlungskräftiges Publikum und es gibt viele anreisende Operntouristen aus aller Welt. Dass das Teatro La Fenice das einzige Opernhaus Italiens ist, das schwarze Zahlen schreibt, verdankt sich aber auch der Einsicht des Künstlerischen Direktorsa Fortunato Ortombinas, dass man in Italien bisher immer zu wenig Oper gespielt habe. Die Opernhäuser sind zu oft geschlossen, was die Einnahmen an der Kasse be-schränkt. Insofern ist das bislang vorherrschende Stagioneprinzip (Serienaufführungen) zu ineffektiv. Ein neues Gesetz des Kulturministers sieht vor, von nun an die Theater danach zu subventionieren, wie oft der Vorhang aufgeht und wie viel sie an den Kassen einnehmen. Das Teatro La Fenice wagt schon seit einiger Zeit den Spagat einer Mischung aus Repertoire- und Stagionebetrieb, was deutlich mehr Aufführungstage zur Folge hat und infolgedessen köhere Einnahmen erbringt. Eben deshalb ist Fortunato Ortombina der erfolgreichste Künstlerische Direktor der italienischen Opernhäuser.
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Was die Neuiszenierung von „Simon Boccanegra“ angeht: Das Stück spielt im spätmittelalterlichen Genua, kein leichter Plot um den Korsaren Simon Boccanegra. Er hat mit der Patriziertochter Maria ein gemeinsames, verheimlichtes Kind, das geraubt wird und erst 25 Jahre später wieder auftaucht. Boccanegra, der sich auf dem Meer um die Seerepublik Genua verdient gemacht hat, wird zum Dogen gewählt. Seine Karriere begann auf dem Meer und endet nach vielfachen Intrigen, Konflikten, Enthüllungen und finalem Giftmord am Meer, dem er in seiner ergreifenden Sterbearie noch einmal huldigt.
Das Meer ist der eigentliche Hauptakteur des Stücks. Verdi schreibt nicht ohne Grund seine schönsten Naturschilderungen in dieser Oper. Diese musikdramaturgische Idee Verdis hat der Regisseur Andrea de Rosa, der vor allem in Sizilien sehr viel Schauspiel inszenierte, ins Bild gesetzt. Er hat Verdis Utopie einer ganzheitlichen, bildhaften Konzeption ernst genom-men, denn man sieht von Anfang bis Ende der Oper brilliante Filme der ligurischen Meeresküste im Mondschein oder bei Sonnenauf- und Untergang. Aber die Inszenierung de Rosas ist keineswegs eine nur Kulinarische, Romantische, Konven-tionelle. De Rosa setzt vor die bewegten wie bewegenden Meereslandschaften schwarzgraue Architekturfragmente, die die Spielörtlichkeiten der Oper andeuten, zuweilen nur scherenschnitthaft, zuweilen mit kostbaren textilen Wandbespan-nungen, aber nie als historische Ausstattung. Historisch sind allerdings die geschmackvollen Kostüme von Alessandro Lai. In der dialektischen Bild- und Raumkonzeption, zwischen stimmunsgsvoller Naturromantik und nüchterner Stadtarchitektur entwickelt de Rosa die Konflikte zwischen menschlichem Gefühl und Realpolitik. Er zeigt die Auseinandersetzungen zwischen den aristokratischen Stadteliten und dem nichtaristokratischen Dogen, und die Liebesgeschichte zwischen seiner tot geglaubten Tochter und dem Adligen Adriano, dem Todfeind ihres Vaters als so einleuchtende wie eindrucksvolle Inszenierung jenseits allen Regietheaters in bildnerischer Sinnlicher und mit einer fast selbstverständlich wirkenden Personenführung.
Die Sensation des Abends ist der Dirigent Myung-Whun-Chung. Das Publikum hat ihn frenetisch gefeiert. Zurecht, denn er ist einer der bedeutendsten Verdi- und auch Wagnerdirigenten. Wie er diesen musikalisch recht anspruchsvollen „Simon Boccanegra“ mit einer elementaren Wucht zum Klingen bringt und die düstere Grundfarbe, von der Verdi im Zusammen-hang dieses Stücks spricht, in ein nicht weniger tragisch-abendglühendes Rotgold verwandelt, ist ungemein eindrucksvoll. Chung setzt einerseits auf gnadenlos Partiturtreue, auf Tempo und auf erschütternde Dramatik des Stücks, aber er scheut sich andererseits auch nicht, die romantischen, melodischen Schönheiten auszukosten und die Feinheiten und Kostbarkeiten der Partitur zum Klingen zu bringen. Das Orchester des Teatro La Fenice spielt präzise und klangprächtig. Chungs Dirigat besticht durch eine analytisch scharfe Durchsichtigkeit der musikalischen Struktur, wie man sie, seit der junge Claudio Abbado das Stück 1971 an der Scala wiederentdeckt hat, es gibt davon eine maßstabsetzende Schallplatteneinspielung, nicht wieder gehört hat.
Auch sängerisch ist die Produktion exquisit. Ein ausnahmslos junge Ensemble beweist einmal wieder, dass Oper auch ohne teure Stars funktioniert! Fortunato Ortombina - selbst Musiker – verseht viel von Gesang und versteht es immer wieder, junge Stimmen zu finden, die großes Potential haben. Alle Hauptpartien des insgesamt überzeugenden Ensembles, immer-hin drei tiefe Männerstimmen in den Hauptpartien, im Mittelpunkt Simone Piazzola als Boccanegra, aber auch die Sopra-nistin Maria Agresta und der wirklich senationelle Tenor Francesco Meli als ihr Geliebter Gabriele Adorno sind mehr als nur überzeugend. Eine Aufführung, für die sich eine Reise nach Venedig lohnt!
Beitrag auch in DLR Kultur, Fazit 23. 11. 2014