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"Unsere Seele ist musikalisch" - Sängerland Lettland
Opernfestival in Riga - 2009
Lettland, der kleine baltische Staat, an Litauen im Süden, im Südosten an Weißruss-land, im Osten an Russland, im Norden an Estland und im Westen an die Ostsee grenzend, ist nach langer Fremdbesetzung durch die Sowjetunion seit 1990 wieder unabhängige Republik und seit 2004 in der Europäischen Union. Das Land ist klein, es hat gerade mal etwas mehr als 2 Millionen Einwohner, aber es hat eine besondere musikalische Tradition. Es wird nicht ohne Grund das „singende Land“ genannt.
Die „Zauberflöte“ als anatomisch-ideologisches Lehrtheater über die Antinomie von Körper und Geist (fabelhaft dirigiert von Ģintars Rinkevičs), war eine der Vorzeige-produktionen des diesjährigen Opernfestivals in Riga, der Hauptstadt Lettlands. Das prachtvolle Haus, die Nationaloper und das einzige Opernhaus in Lettland, stammt aus dem Jahre 1863 und wurde erst 1995 renoviert. Der Kulturminister des Landes, Ints Daldäris, ehemaliger Klarinettist, später Generaldirektor des Lettischen Nationalorchesters, betont:
"Es war die wichtigste Entscheidung nachdem wir wieder ein unabhängiger Staat waren, das Opernhaus zu renovieren. Es ist heute der Leuchtturm in unserer Kulturlandschaft."
Man ist stolz in Lettland auf sein Opernhaus, wie auf seine Gesangskultur an sich. Gunda Voi-vode, Direktorin des Staatlichen Lettischen Klassik Radios in Riga, bestätigt denn auch das geflügelte Wort von Lettland als einer „singenden Nation“.
"Ja, und wir singen nicht nur Schlagermusik. Auch, natürlich. Aber vor allem singen wir viel in Chören, in Ensembles, in Folkloregruppen. Das ist bei uns sehr stark entwickelt. Als wir vorigen Sommer das Sängerfest hatten, waren dreißigtausend Menschen auf der Bühne des Waldparks in Riga."
Das Sängerfestival in Riga findet alle 4 Jahre statt, es ist das größte Musikereignis in Lettland. Und das wohl größte Sängerfest Europas. Die ganze Nation nimmt da-ran teil, im Radio, im Fernsehen oder live vor Ort. Kein Wunder, denn wie Atvars Lakstigala, Solohornist des Rigaer Opernorchesters erläutert:
"Singen ist bei uns eine nationale Angelegenheit. Jede Familie singt, jede Stadt hat 3 oder 4 Chöre. Das hat eine große Tradition."
Dass die Chöre in Lettland so außerordentlich professionell sind, die Laien- wie die Berufschöre, hat seinen Grund: Der Musikunterricht in allen Schulstufen ist her-vorragend. Die Menschen lernen in Lettland schon in der Grundschule das Singen. Kein Wunder, dass das Land so viele Nachwuchssänger hervorbringt, wie etwa die wunderbare Marina Rebeka als Adina in der jüngsten Opernproduktion von Doni-zettis Liebestrank, die Oper spielt (in der launigen Inszenierung von Guy Montavon) in Adinas Nudelfabrik. Der junge lettische Kulturminister Ints Daldäris, ist stolz auf die Gesangskultur seines Landes und betont denn auch den Reichtum allein der Kindermusikschulen in dem kleinen Land.
"Wir haben allein 150 Kindermusikschulen im Land."
Die lettische Opernsängerin Inga Kalna, sie lebt seit 12 Jahren in Deutschland und ist längst international renommiert, betont aber auch die Tradition des häuslichen Volksliedgesangs, der hierzulande ja nahezu ausgestorben ist:
"Als ich noch klein war, kam unsere große Familie regelmäßig zusammen, dann saßen 16, 18 Leute am Tisch, und nach dem großen Essen haben wir alle Volkslieder gesungen."
Chorgesang ist in Lettland so populär, dass in fast jeder Familie gesungen wird. Insbesondere seit der Unabhängigkeit der Letten ist Kultur im Allgemeinen, Ge-sang im Speziellen, identitätsstabilisierend. Noch einmal Minister Ints Dälderis:
"Der Gesang spielt eine besondere Rolle, zumal im kleinen Lettland, er ist unser hervorstechendstes Zeichen und zeigt, dass wir anders sind als andere Länder. Ich glaube, dass diese musikalische Seite von uns sehr stark ausgeprägt ist. Wir können am meisten mit Musik glänzen."
Kein Wunder, dass so viele lettische Sänger wie Inga Kalna, Elena Garancia oder Egils Silins auch im Ausland Karriere machen – aber auch Instrumentalisten und Dirigenten wie Misha Maisky, Gidon Krämer, Mariss Jansons und Andris Nelsons. Die lettischen Chöre, nicht nur die Laienchöre, auch und gerade die die professio-nellen, etwa der Lettische Radio Chor und der Akademische Chor Riga zählen zu den besten Europas, was auch vom Opernchor Rigas gesagt werden darf. Guter Musikunterreicht und frühkindlicher Chorgesang zahlen sich eben aus. Lettland demonstriert es.
Das Opernfestival in Riga, das nun schon zum 12. Mal stattfand und in diesem Jahr neben der schon erwähnten „Zauberflöte“ einen frechen „Don Giovanni“ auf einem Luxusdampfer zeigte, einen liebevoll-ironischen „Liebestrank“ und einen musika-lisch außerordentlich mitreißenden „Fliegenden Holländer“ - unter der Stabführung von Modestas Pitrenas, findet alljährlich im Mai/Juni statt und zieht viele Besucher aus dem In- und Ausland an. Andrejs Žagars, General-direktor der Lettischen Oper:
"Die Idee dieses Festivals besteht darin, die besten Produktionen eines Jahres zu-sammenzufassen und als Paket zu präsentieren, gemeinsam mit unseren großen Künstlern, die inzwischen internationale Karrieren gemacht habe und im Juni zurückkehren."
Man ist erstaunt über das durchweg hohe sängerische und dirigentische Niveau des Opernlebens in Riga. Aber auch die sängerischen Besetzungen und die große Spiel-freude der Sänger. Auch die Inszenierungen können sich im internationalen Ver-gleich sehen lassen. Im Jahre 2013 übrigens, zum 200. Geburtstag Richard Wagners und zum 150. des Opernhauses, bringt man eine neuen „Ring“ heraus. Die Platz-ausnutzung beträgt heute stolze 97 Prozent. Und das Publikum ist wesentlich jünger als hierzulande. - Auch wenn die ehemals Deutsche Hansestadt mit ihrem noch immer mittelalterlichen Kern und den beispiellosen Jugendstilvierteln so rausge-putzt ist, dass sie Budapest und Wien fast die Show stiehlt: Die Finanzkrise geht auch an Lettland nicht vorbei. Und man sieht neben neureichen Phänomenen noch viel postsowjetische Tristesse und viele bettelnde alte Menschen auf den Straßen Rigas. Intendant Andrejs Žagars:
"Die Regierung hat ihren Zuschuß um 20 Prozent gekürzt. Wir verkürzen deshalb die Saison, geben weniger aus und haben 11 % der Angestellten entlassen."
Man setzt auf junge, preiswerte Sänger, baut sie auf zu Stars und exportiert sie dann, um sie zum alljährlichen Opernfestival wieder einzuladen. - Man ist stolz auf seine Sänger in Riga, wie auf Rigas Musikgeschichte, die freilich erst im 19. Jahrhundert begann. Aber immerhin, Persönlich-keiten wie Richard Wagner, Leo Blech und Bruno Walter waren in Riga. Und viele große Sänger. Andrejs Žagars:
"Wir sind Sänger, wir haben diese Chorkultur, eine solide Musikausbildung und unsere Seele ist musikalisch."
Beiträge in SWR, Das Orchester, NDR DW