Carmen Fritsch Hamburg

Fotos: Brinkhoff-Moegenburg / Staatsoper Hamburg

 

Alles Andere als Spanisch
Herbert Fritschs andere "Carmen"

 

Wie auch immer man zu dieser Neuinszenierung stehen mag: Die "Carmen" von Herbert Fritsch in der Hamburgischen Staatsoper ist eine Sternstunde. Es ist die Rettung von Bizets häufig in inszenatorischen Spanienklischees erstickendem Meisterwerk durch Überzeichnung, Ironie, Groteske.


Fulminant ist die einstudierte Gestensprache aller Mitwirkenden. Eine urkomische Aufführung ohne alle spanische Folklore. Eine schwarze und doch karnevaleske Komödie in bunten Bildern zwischen Barocktheater, katholisch-sakralem Brimborium (eine übergroße Madonna und ein Riesenkruzifix dominieren die Aufführung) und grellem Musical.


Als Bühnenbild reichen Fritsch  goldene Schleier/Wände und skizzenhaft expressionistisch bemalte Prospekte.  José Luna hat quietschbunte, hinreißende Kostüme entworfen, darunter exzentrische Outfits, bei denen so manche Dragqueen Augen machen würde.  Es ist eine queere Veranstaltung, fast eine „Offenbachiade“, der man beiwohnt, mit dezenten Travestieinlagen tanzender Männer in Strapsen und komischen Macho-Buben-Möchtegern-Toreros mit angeberischen Beulen in den engen Hosen. Eine tanzwütige, lebensfroh-tragische Show, höheres Blödeltheater (zuweilen Slapstick pur) mit herrlichen Typen, Masken und Perücken. Eine bildnerische, theatralische Welt für sich,  ein fröhliches, ja schwindelerregendes Kostümfest der Superlative, eine gesalzene Abrechnung mit überkommenen Männer- und Frauenklischees. Für alle Freunde des Genderns eine Augenweide fern aller Carmen-Konventionen und frei von Kitsch. Handwerklich ist die Produktion überaus souverän inszeniert!

 

Yoel Gamzou hat Bizet mit extrem rasanten Tempi, mit Biss und Attacke  kompromisslos zupackend und klangschön dirigiert, erschütternd kraftvoll und intelligent. Ich habe diese Musik noch nie so frisch, unverbraucht und analytisch glasklar gehört! Auch die Sängerequipe ist exquisit, bis auf den Escamillosänger Kostas Smoriginas, der allerdings als babyblauer Pfau kostümiert - ein narzisstischer Übertorero - den Vogel abschoss. Seine Stimme bleibt indes schuldig, was man von der Partie erwartet, zumal in der extrem ausgefallenen Kostümierung. Die Carmen von Maria Kataeva ist der alles überstrahlende Stern des Ensembles, eine glutvolle Mezzosopranistin und bildschöne Darstellerin mit raffiniertem Sexappeal und perfekter Körperbeherrschung. Als Micaëla präsentiert Elbenita Kajtazi einen makellosen lyrischen Sopran der Extraklasse. Tomislav Mužek singt einen tragisch anrührenden Looser Don José.  Auch das restliche Ensemble ist ohne Fehl und Tadel.

 

Es gab Buhs für Blake Denson als Moralès. Ein baritonaler Stimmprotz, aber ohne sprachlich befriedigende Gestaltung. Buhs gab es zurecht auch für den Escamillo von Kostas Smoriginas. Die Buhs für den Dirigenten waren für mein Dafürhalten völlig unverständlich und unberechtigt. Das Dirigat war so sensationell wie die Besetzung der Titelpartie. Die Sängerin entete Ovationen, aber auch die übrigen Sänger erhielten Barvi. Bei Herbert Fritsch hat sich ein Sturm von Beifall und Ablehnung entfacht. Es war icht anders zu erwarten beim überwiegend  konservativen Hamburger Publikum. Fritsch spaltet nun mal das Publikum. Aber es ist ohne alle Frage ein großer, ein außergewöhnlicher Abend!