Bayreuther Festspiele Auftakt 2017

Photo: Dieter David Scholz


Bayreuth ist nicht mehr der skandalumwitterte Wagner-Olymp


Ein Gespräch in MDR Kultur am Morgen: 25.07.2017, 08.40 Uhr 


Zum Auftakt der Bayreuther Festspiele 2017

 


Heute beginnen sie wieder, die Bayreuther Richard Wagner-Festspiele, das älteste und bedeu-tendste deutsche Opernfestival. Die Bayreuther Festspiele finden vom 25. Juli bis 28. Augst 2017 statt. Was zu erwarten ist, was geboten wird, und was drum herum, um den Grünen Hügel in Bayreuth so ansteht, darüber sprechen wir jetzt mit unserem langjährigen Bayreuth-Experten und  -Beobachter Dieter David Scholz.


Moderator: Früher begann ja im Grunde keine Bayreuther Saison ohne einen handfesten Skan-dal. In diesem Jahr ist weit und breit keiner in Sicht. Was ist los? Ist Bayreuth nicht mehr so, wie es immer war?


Dieter David Scholz: Das kann man so sagen. Es ist geradezu ein Skandal, dass kein Skandal in Sicht ist zum Auftakt der diesjährigen Festspiele, um es mal paradox zu sagen. Keine Fami-lienfehde,  keine noch so kleine  private Schlammschlacht zwischen Mitgliedern des Wagner-clans ist in Sicht. Das gab´s noch nie. Stattdessen sind die Beetes chön bepflanzt, die Hecken rund um das Bayreuther Festspielhaus sind gestutzt. Nur das Sicherheitspersonal ist aufgeregt und geschäftig. Auch in diesem Jahr gelten bei den Bayreuther Festspielen wieder verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. Grund dafür ist laut Polizei die weltpolitische Lage und die daraus resultierende nach wie vor abstrakte Gefährdungslage für Oberfranken. Ansonsten geht es recht ruhig  auf dem Grünen Hügel zu, ruhiger als sonst. Festspielchefin Katharina nannte auf der Pressekonferenz  die Situation "wahnsinnig ruhig“. Sie weiß, wovon sie redet. Man konnte ei-gentlich fast jedes Jahr damit rechnen, dass irgendein Skandal den Adrenalinspiegel der Wag-nerianer noch einmal nach oben treiben würde, bevor der erste Ton dem Orchestergraben ent-stieg. Mal wurde ein Sänger wegen eines früher sichtbaren Hakenkreuz-Tattoos geschasst, mal schmiss die Sängerin der Titelpartie einen Monat vor der Eröffnung hin, mal reiste kurz vor der Premiere aus undurchsichtigen Gründen der Dirigent ab.


Und heuer? Man habe Spaß an der Probenarbeit und freue sich auf die Festspiele, ließen Barrie Kosky und Dirigent Philippe Jordan verlauten. Sie scheinen perfekt zu harmonieren, sie loben die Besetzung, die ihnen Festivalchefin Katharina Wagner bescherte. Pure Harmonie scheint in Bayreuth in diesem Jahr zu herrschen. Aber es ist auch  nichts von Glamour, Knistern oder gehobener Festspielstimmung zu spüren. Das war schon mal anders. Die Bayreuther Festspiele verändern sich, das Publikum hat sich sehr stark verändert, seit Katharina und Eva Wagner das Ruder in die Hand nahmen. Bayreuth ist nicht mehr der skandalumwitterte Wagner-Olymp der Opernwelt. Und nicht mehr „die Utopie der Alternative“, von der Wagner einst träumte.



Moderator: Andere Länder haben ihre Königshäuser - wir haben die Wagners. Seit mehr als 100 Jahren steht der Familienclan für große Triumphe, bittere Niederlagen,   Verstrickungen, Intrigen - und immer wieder für große Kunst. Also alles, was das Herz eines Volkes begehrt, das ohne Königshochzeiten und Krönungszeremonien auskommen muss. Und so ist die Er-öffnung der Bayreuther Festspiele Jahr für Jahr ein Medienereignis ersten Ranges. Ist das auch heute so?


Dieter David Scholz: Ja, die Schaulustigen in Bayreuth dürften in diesem Jahr dem Festspiel-Auftakt besonders entgegenfiebern, nachdem der rote Teppich im Vorjahr aus Respekt vor den Opfern des Amoklaufs von München nicht ausgerollt wurde. Heute Nachmittag vor 16 Uhr, wenn sich der Vorhang zu Eröffnungspremiere hebt, ist das Schaulaufen der VIPs  angesagt.  Das schwedische Königspaar Carl Gustaf und Silvia werden zum ersten Mal nach Bayreuth kommen. Royalen Glanz im Festspielhaus gab es zuletzt vor 30 Jahren, als der britische Thro-nfolger Charles eine Vorstellung besucht hatte. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt wieder zur Eröffnung, nachdem sie sich im Vorjahr wegen Terminschwierigkeiten hatte entschuldigen lassen. Also an der Promi-Front scheint alles in schönster Ordnung zu sein. Die Bundespolitik wird mit einer ganzen Reihe von  Ministern vertreten sein. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Claudia Roth, hat ihr Kommen angekündigt. Die bayerische Lan-despolitik zeigt in Person von Ministerpräsident Horst Seehofer sowie mehrerer Staatsminister und Staatssekretäre Flagge. Auch die Schar der sonstigen Premierengäste weist viele promi-nente Namen auf: Neben Fürstin Gloria von Thurn und Taxis werden zahlreiche Schauspieler und Regisseure anreisen. Zaungäste dürfen sich außerdem auf die ehemaligen Skirennläuferin Rosi Mittermeier-Neureuther und den Erzbischof des Erzbistums Bamberg freuen. Wie gesagt, die Promifront ist gesichert.


Moderator:Was erwartet die Besucher denn an Aufführungen in diesem Jahr in Bayreuth?


Dieter David Scholz: Zuallererst natürlich die Eröffnungspremiere, eine Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“, dem Stück, dem in der braunen Historie Bayreuths am Übelsten mitgespielt wurde, in der Regie von Barrie Kosky,  dem Intendanten der Komischen Oper Berlin. Die musikalische Leitung hat Phillipe Jordan, Chefdirigenten der Pariser Oper und der Wiener Symphoniker. Eine große Besetzung: Michael Volle singt den Sachs, Klaus Florian Vogt den Stolzing, Anne Schwanewilms die Eva, Johannes Martin Kränzle die heikle Partie des Beckmesser.  Barry Kosky hat ja im Vorfeld schon viel übers eine Inszenierung verraten. Noch mehr wird er heute Abend in MDR-Kultur  verraten. Er berührt heikle Themen in seiner Produktion, es wird heiß hergehen, wahrscheinlich zu Kontroversen kommen. Man  darf gespannt sein!

Erneut steht die „Tristan“- Inszenierung  von Katharina Wagner auf dem Programm, mit Chris-tian Thielemann am Pult.  Der „Parsifal“ von Uwe Eric Laufenberg geht in die zweite Runde. Mit dem großartigen Dirigenten Hartmut Haenchen am Pult. Der hat auch gestern das Fest-spielorchester einen Tag vor der Eröffnung geleitet. Denn es gab einen Festakt zu Ehren Wie-land Wagners, dessen  Geburtstag sich in diesem Jahr zum 100sten Male jährte. Bei diesem Konzert gab es Musik nicht nur von Wagner, sondern auch von Verdi und von Alban Berg.  Dass der 100. Geburtstag von Wieland Wagner zum Anlass genommen wird, den mit 49 Jahren früh verstorbenen Begründer Neu-Bayreuths mit einem Gala-Konzert im Festspielhaus zu ehren, wäre zu Lebzeiten Wolfgang Wagners wahrscheinlich undenkbar gewesen. Schließlich waren sich die Familienzweige Wielands und seines Bruders Wolfgang Wagner nicht immer grün. Vielleicht ein Versuch Katharinas, der Tochter Wolfgang Wagners, den verfemten Kindern Wielands, darunter Nike Wagner, die Hand zu reichen?


Zum letzten Mal in Bayreuth zu sehen ist in diesem Jahr der „Ring des Nibelungen“ in der umstrittenen Regie von Frank Castorf. Bei der Premiere 2013 erntete seine Version der Tetra-logie mit sich vermehrenden Krokodilen, Motel-Ambiente am Highway Number One, mit sozialistischem Mount Rushmore und Blowjob am Berliner Alexanderplatz heftige Buhrufe. Von Jahr zu Jahr schwand zwar die extreme Aufregung, in Begeisterung schwenkte die Stim-mung bis heute nicht um. Bis vor kurzem konnte man auf dem Onlineportal der Festspiele offiziell noch Karten für alle Ringvorstellungen kaufen. Man wird sehen, wie das Publikum im Abschiedsjahr reagieren wird


Ja und pünktlich zur Festspielsaison kommt  die letztjährige Premiere des „Parsifal“ in der Inszenierung von Uwe Eric Laufenber mit Hartmut Haenchen am Pult und mit Klaus Florian Vogt in der Titelpartie als DVD bzw. Blue-ray auf den Markt. In diesem Jahr wird den Parsifal übrigens Andreas Schager singen. Und wer kein  „Meistersinger“- Ticket erwerben konnte, kann trotzdem “live” bei der Festspieleröffnung dabei sein, denn die „Meistersinger von Nürn-berg“ werden in ausgewählte Kinos übertragen. Allein in Deutschland steht die Premiere in 140 Lichtspielhäusern auf dem Spielplan.


Moderator: Und was gibt es ansonsten in Bayreuth, unterhalb des Grünen Hügels in Sachen Wagner?


Dieter David Scholz: Nicht so sehr viel . Im Richard Wagner Museum gibt es eine Sonderaus-stellung mit dem Titel: „Es gibt nichts ‚Ewiges‘. Wieland Wagner – Tradition und Revolution.“ Eine Jubiläumsausstellung zum 100. Geburtstag. Sie wurde gestern eröffnet. Wirklich neu ist in der „Diskurs Bayreuth“, ein Symposium, das jährlich im Richard Wagner-Museum als „intel-lektuelle Ergänzung“ stattfinden soll und zum Auftakt die „Gretchenfrage“ stellt, inwieweit man den Antisemiten Richard Wagner für die Geschichte des 20. Jahrhunderts mitverantwort-lich machen kann. Was allerdings bereits hinreichend behandelt wurde in den letzten Jahren.


Die altehrwürdige Klaviermanufaktur Steingräber hat wieder ein reichhaltiges Angebot an Begleit- und Konkurrenzveranstaltungen zum Festspielprogramm anberaumt:  Wagnereinfüh-rungsvorträge, Konzerte für Klavier vornehmlich, versteht sich, Buchvorstellungen, und im hauseigenen  Hoftheater freche Wagnerparodien.


Einen Verlust möchte ich noch beklagen: Die seit 40 Jahren führende Markgrafenbuchhand-lung, hat dicht gemacht. In ihr  haben ja alljährlich die Künstler der Festspiele Signierstunden gegeben und viele Wagnerautoren ihre Bücher vorgestellt. Es war eine Buchhandlung, die alles, was an neuster Wagnerliteratur, auch kritischer Wagnerliteratur auf den Markt kam, auslegte zur Festspielzeit. Das war konkurrenzlos. Das war weltweit einzigartig. Und das auch im Buch-stand am Festspielhaus. Der war immer ein Treffpunkt kritischer, neugieriger, rebellischer Wagnerianer. Das gibt es nicht mehr. Schade! Ein Verlust für Bayreuth.