Musik-Theater & mehr
Giacomo Meyerbeer - Weltbürger der Musik
Hervorragender Katalog! Dr. Ludwig Reichert Verlag
Grandiose Ausstellung der Musikabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz
zum 200. Geburtstag des Komponisten.
Eröffnung: 31.10. 1991
Die disqualifizierende Formel von der "Wirkung ohne Ursache", die Richard Wagner 1851 in "Oper und Drama" als das "Geheimnis der Meyerbeerschen Opernmusik" in die Welt setzte, hat Folgen gezeitigt - bis heute. Zu schweigen von der Meyerbeer-Attacke in dem berühmt-berüchtigten Pamphlet "Das Judentum in der Musik". Zehn Jahre zuvor noch ließ derselbe Richard Wagner in dem wenig be-kannten Aufsatz "über den Standpunkt der Musik Meyerbeers" verlautbaren: "Meyerbeer schrieb Weltgeschichte, Geschichte der Herzen und Empfindungen, er zerschlug die Schranken der National-Vorurtheile, vernichtete die beengenden Grenzen der Sprachidiome, er schrieb Thaten der Musik, ... und Meyerbeer ist ein Deutscher."
Die Nationalsozialisten schließlich sprachen Meyerbeer das Deutschtum ab, ja versuchten ihn aus der Musikgeschichte zu eliminieren. Was ihnen auch fast gelang, denn bis heute steht der eigentliche Schöpfer der Grand Opéra mit seiner erstaunlich unnationalistischen, europäischen Geistes- und Kunsthaltung sowohl im öffentlichen Bewußtsein, als auch in den Opernhäusern, unter dem infamen Verdikt der nationalsozialistischen Schmähung. Insofern tritt die Ausstellung der Musikabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz - als einzige übrigens ihrer Art im Meyerbeerjahr - mutig einem beträchtlichen Informationsdefizit entgegen. Dies Engagement allein rechtfertigt schon den finanziellen Aufwand der Ausstellung. Zumal in Berlin, das allen Grund hat, aus Anlaß seines zweihundertsten Geburtstages an Meyerbeer, seinen größten Komponisten, zu erinnern.
Die Ausstellung schenkt zwar der Berliner Herkunft, der Generalmusikdirektorenzeit Meyerbeers an der Berliner Hofoper und seiner be-sonderen Verbundenheit mit König Wilhelm dem Ersten von Preußen große Aufmerksamkeit, aber die Ausstellung ist beileibe keine über den Berliner Komponisten Meyerbeer. Und das ist auch gut so, ist doch gerade das Hervorstechende an Meyerbeer die Tatsache seines Weltbürgertums. Jede Art von Patriotismus und Nationalismus war ihm fremd. Die Ausstellung zeigt denn auch in chronologischer Folge die biographischen Stationen des Komponisten und sein Schaffen. Schwerpunkte sind die Kindheit in Berlin, die Zeit Meyerbeers als preußischer Generalmusikdirektor und sein inniges Verhältnis zum preußischen Hof, für den er ja eine Reihe von Kompositionen schrieb, und natürlich Paris, wo Meyerbeer den größten Teil seines Lebens verbrachte und die bedeutendsten Opern schrieb. Überhaupt bilden die großen Opern Meyerbeers, "Robert der Teufel", "Die Hugenotten", "Der Prophet" und "Die Afrikanerin", so etwas wie einen thematischen Leitfaden der an Exponaten reichen Ausstellung. Gezeigt werden Briefe, Partiturhandschriften, Dokumente, Notizbücher, Aufsätze, Meyer-beer-Literatur, reichlich authentisches Photomaterial, Gemälde und Graphiken, zum großen Teil als Originale - aus Dresden, München, New York, Bordeaux, Paris.
Die Ausstellung beleuchtet eindrucksvoll detailliert auch das Judentum Meyerbeers, dem er sein Leben lang treu geblieben ist. So sind etwa Judaica aus dem Hause Meyerbeer ausgestellt, darunter zwei prächtige Sabattleuchter und ein Thoravorhang. Die Ausstellung spart aber auch so heikle Themen wie das Verhältnis Wagners zu Meyerbeer, oder auch das Verhältnis Meyerbeers zu seinen übrigen Bittstellern nicht aus. Und natürlich fehlen auch nicht Meyerbeer-Kuriosa wie Neuruppiner Bilderbogen oder Werbe-Karten von Liebigs-Fleischex-trakt mit Figurinen aus Meyerbeer-Opern. Das Prachtstück der Ausstellung ist ohne Frage das berühmte Gemälde von Falkon und Nourrit, das das Liebesduett Valentine-Raoul aus den Hugenotten darstellt, daneben gibt es aber auch Kostbarkeiten von Degas, Lenbach, Kretsch-mar, Krüger und Gärtner, und vor allem aus der Pariser Bibliothèque de L'Opéra eindrucksvolle Bühnenentwürfe und originale Bühnen-bildmodelle aus dem 19. Jahrhundert. Raum- und Platzprobleme haben dazu geführt, daß man in die Sonderausstellungshalle der Staat-lichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Dahlem auswich. Dort konnte man großzügig präsentieren. Mit Kulissenwänden, auf die geraffte rote Vorhänge gemalt sind, hat man den großn Raum in thematische Nischen unterteilt. Das gibt der Ausstellung einen theatra-lischen Rahmen, der dem Sujet durchaus angemessen ist. Es erwartet einen alles andere als spröde Museumsatmosphäre.
Über den Anlaß der Ausstellung hinaus macht die Musikabteilung der Staatsbibliothek mit dieser Ausstellung natürlich auch auf ihre be-sondere Verbundenheit mit Meyerbeer aufmerksam. Nicht nur darauf, daß Meyerbeer selbst nachweislich Besucher der ehemals Königli-chen Bibliothek gewesen ist: bereits 1915 gelangte ja die Vorgängerin der Staatsbibliothek, eben die Königliche Bibliothek, in den Besitz des musikalischen Nachlasses Meyerbeers. Er ist ihr später wieder abhanden gekommen. Der größte Teil der nach Polen ausgelagerten Bestände gilt als verschollen. Die Autographen der vier großen Pariser Opern "Robert-le-Diable", "Les Huguenots", "Le Prophète" und "L'Africaine" haben sich in Krakau wiedergefunden. Heute lagern die meisten Autographen Meyerbeers in Paris, in der Bibliothèque Nationale. In Berlin, und da vor allem in der Musikabteilung der Staatsbibliothek PK - neben Altbeständen in der (Ost-) Deutschen Stats-bibliothek - befindet sich allerdings mit Abstand der zweitgrößte Posten des Meyerbeer-Nachlasses, vor allem der Briefwechsel, der nach einigem Hin und Her erst 1987 bei Sothebys von der Staatsbibliothek ersteigert werden konnte.
Der 200ste Geburtstag Meyerbeers ist ein willkommener Anlaß, diesen der Öffentlichkeit einmal vorzustellen - in ausgewählten Exem-plaren, versteht sich. Die Fülle der Objekte, die Perspektivenvielfalt und die sinnliche Präsentationsform machen diese Ausstellung zum sehenswerten Panorama eines Lebens und Schaffens zwischen Wiener Klassik und modernem Musikdrama: Meyerbeer wurde im Todesjahr Mozarts geboren und starb im Geburtsjahr von Richard Strauss. Daran zu erinnern ist keineswegs überflüssig!
Beitrag in „Neue Zeitschrift für Musik" 1991