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"Kindertrompete" und Lolita
„Der letzten noch lebenden "Neubayreuther" Tragödin, Anja Silja zum 80. Geburtstag am 17.04.2020
Sie steht seit 1956 auf der Bühne und war stets eine der faszinierendsten Sängerdar--stel-lerinnen des Musiktheaters: Anja Silja. Am 17. April wird sie 80 Jahre alt. Als Zwanzig-jährige verblüffte sie die Opernwelt als kindliche Wagnersängerin in Wieland Wagner „Neubayreuth“. Nach dessen frühem Tod wurde sie zu einer der ausdrucksstärksten Persönlichkeiten des Musiktheaters. Über Jahrzehnte hindurch bewies die Silja sänge-rische Vielseitigkeit und erstaunliche stimmliche Überlebenskunst. Eine der großen Interpretinnen gebrochener Frauencharaktere auf der internationalen Opernbühne.
Fast ein halbes Jahrhundert stand die Silja auf der Bühne, bevor es still wurde um sie, in den letzten Jahren. Das "Wunderkind" gab schon im zarten Alter von zehn Jahren Opern-Konzerte in ihrer Heimatstadt Berlin. Mit Sechzehn wurde Anja Silja ans Braunschweiger Theater engagiert und sang die Zerbinetta in Richard Straussens „Ariadne“ und die Rosina in Rossinis „Barbier von Sevilla“.
Zwei Jahre später war sie an der Stuttgarter Staatsoper engagiert, wo sie Wieland Wag-ner kennenlernte. Sie war gerade zwanzig Jahre alt, als sie bei den Bayreuther Festspie-len 1960 als Senta in Wielands Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ debütierte. Es war der Auftakt einer einzigartigen Liebes- und Arbeitsbeziehung bis zu Wielands Tod im Jahre 1966:
"Es ist das prägende Erlebnis gewesen, für mein ganzes Leben. Und nicht nur als Sänge-rin, auch persönlich. Ich glaube, das war die dominierende Figur meines Lebens, neben meinem Großvater, der mich ja ausgebildet hat, sowohl im Singen als auch im Schuli-schen. Ich war ja nie in der Schule, durch dieses frühe Studium. Also diese beiden waren wirklich bis zu meinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr prägend."
Es waren von früh an die (gebundenen) Männer, die das Leben Anja Siljas bestimmten. Da war zunächst ihr Großvater Egon Friedrich Anders, der ihr das Singen beibrachte – er war Maler und Sänger, ausgebildet übrigens bei demselben Lehrer, der schon Benja-mino Gigli ausgebildet hatte - dann kam Wieland Wagner, der geniale Regie-Spross des Wagnersohnes Siegfried, der nach dem zweiten Weltkrieg Neubayreuth initiierte. Sechs Jahre lang verkörperte Anja Silja, die „Kindertrompete“ wie er sie nannte, seine künst-lerischen Träume auf der Bühne nicht nur Bayreuths: blutjunge, ganz und gar unheroi-nenhafte, eher lolitahafte Wagnerheldinnen. Anja Silja und Wieland Wagner verband eine heftige Liebesbeziehung, die damals am Grünen Hügel für Aufregung und in den Klatschkolumnen der Printmedien für Skandale sorgte. Die Silja hat darüber bereitwillig Auskunft gegeben in ihren Memoiren, die sie vor elf Jahren veröffentlichte. Ein sehr persönliches Buch der Rückschau auf ein an Rollen, an Liebhabern, an Erfahrungen reiches und vielschichtiges Leben.
"Ich habe immer, nicht nur heute, die vielschichtigen Rollen gerne gesungen. Für mich sind jetzt die wichtigsten Figuren die Janacek-Partien, vor allem die Emilia Marti in der Sache Makropoulos. Das ist für mich eine Schlüsselrolle geworden, weil ich mir sehr verwandt vorkomme mit dieser Frau, mit meiner Endloskarriere. Und weil ich so viel Menschlichkeit in dieser Rolle sehe, und das fasziniert.“
Wer die Silja je in dieser Rolle erlebte, weiß, wie sehr sie ihr auf den Leib geschrieben ist. Eine Rolle, die wie nur wenige andere Rückschau auf ein gelebtes Leben zum The-ma hat. Für Anja Silja, ein zentrales Moment ihres heutigen Lebens.
„Na, ja, ich schaue immer nur zurück! Weil, wie gesagt, mein Theaterleben hat eigent-lich mit dem Tod von Wieland Wagners aufgehört, wirklich zu sein. Wieland Wagner und sein Bayreuth waren mein eigentliches Leben. Und das war unglückseligerweise schon vorbei, als er 1966 starb und ich Sechsundzwanzig war. Das ist, wenn man so will, die Tragödie meines Lebens, und damit muss man fertig werden.“
Anja Silja ist damit fertig geworden! Und sie hat, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, auch nach Wielands Tod weiterhin Wagner gesungen, und nicht nur Wagner, sondern auch Verdi, Puccini, Berlioz, Richard Strauss, Alban Berg, und immer wieder und bis heute vor allem Partien von Leos Janáček.
Die Küsterin und die Emilia Marti. Anja Silja war gerade in diesen Partien eine der ausdrucksstärksten Persönlichkeiten des Musiktheaters. Nicht zuletzt, weil Singen für sie mehr ist als nur Schöngesang.
„Die ganze Singerei ist für mich völlig witzlos, wenn die Sprache und die Darstellung nicht im Vordergrund stehen. Das Wort ist entscheidend, die Wortverständlichkeit! Und wenn man das gesungene Wort nicht nur illustriert, sondern überhöht durch Darstellung, dann wird Oper wirklich interessant.“
Nach dem Tode Wielands hat die Silja übrigens noch einmal eine romantische Liebesge-schichte erlebt, mit dem Dirigenten André Cluytens. Er sei ihr bester Liebhaber gewe-sen, wie sie in ihren Erinnerungen freimütig bekennt. Dann kam die scheiternde Ehe mit dem Dirigenten Dohnanyi – die Silja ist nicht geschaffen für die "Nur-Mutter-und-Haus-frau-Rolle" - es kamen Theaterjahre in Frankfurt, in Hamburg, und nach ihrer Scheidung die große internationale Karriere. Noch heute hat die offenherzige Anja Silja einen ju-gendlich-spröden „Alterscharme“. Sie ist das Paradebeispiel einer willensstarken wie sensiblen, selbstbewussten aber auch selbstkritischen Frau, die große Kunst mit großer Liebe zu verbinden suchte. In beidem war sie getrieben von der „Sehnsucht nach dem Unerreichbaren“. So hat sie auch ihre Memoiren überschrieben. Sie ist die letzte noch lebende "Neubayreuther" Musiktheater-Tragödin alten Schlages. Freilich: Ihre große Zeit liegt hinter ihr. Inzwischen lebt sie in ihrer Vergangenheit. Aber für sie aber kein Grund zur Trauer.
„Worüber ich wirklich traurig bin, dass ich eigentlich keine Wünsche mehr habe, weil ich alles gemacht habe. Und das ist wirklich ein großes Problem, das ist traurig!“
Beiträge im SWR, Oper & Tanz u.a.
Meine Gesprächsrunde im Hebbel-Theater mit Anja Silja im Rahmen der "Berliner Lektionen"
Ausfürliches Interview mit Anja Silja in meinem Buch