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Photos: Rossini Opera Festival
Studio Amati Bacciardi
Photos: Dieter David Scholz
Ein Fest der Tenöre: Das Rossini-Opera-Festival in Pesaro 2014
"Armida", "Il Barbiere di Siviglia" & "Aureliano in Palmira"
Zum 35. Male findet an der italienischen Adria-Küste, in Pesaro, dem Geburtsort Rossinis, in der Provinz der Marken, das „Rossini-Opera-Festival“ statt. Das Mekka aller Rossini-Pilger. Vom 10. bis zum 22. August wird dort dem berühmtesten Sohn der Stadt gehuldigt mit Konzerten und Opernaufführungen in der Adriatic Arena und im altehrwürdigen Teatro Rossini. Rossini-Freunde aus aller Welt sind wieder angereist, um das ausschließlich dem Schwan von Pesaro verpflichtete Programm zu erleben.
Ein Terzett für drei Tenöre konnte nur Rossini einfallen: Randall Bills, Dmitry Korchak und der herausragende Antonino Siragusa singen es in der Oper „Armida“, mit der das Festival eröffnete. Rossini verlangt in diesem „Dramma per musica“ nicht weniger als sechs Tenöre, davon immerhin drei in tragenden Hauptpartien. Wo außer in Pesaro wagt man heute, diese Oper auf den Spiel-plan zu setzen. Zu schweigen von der Titelpartie, für die man eigentlich eine zweite Callas benötigte. Carmen Romeu ließ leider zu wünschen übrig. Da war René Fleming in der letzten Produktion des Werks in Pesaro vor 21 Jahren doch ein anderes Kaliber. Dabei ist das Stück, frei nach Episoden aus dem Epos „Das befreite Jerusalem“ von Torquato Tasso eine bühnenwirksame Zauberoper. Luca Ronconi, neben Giorgio Strehler zweiter Altmeister unter den großen italienischen Regisseuren, hat den Kon-flikt zwischen Christen und Heiden, zwischen der Liebe der Zauberin Armida und dem Ritter Rinaldo als Hommage ans sizilia-nische Marionettentheater inszeniert. Die Bühne hängt voller „Pupi siciliani“, also sizilianischen Ritter-Marionetten. Ronconi hat – gemeinsam mit der Kostümbildnerin Giovanna Buzzi und der Bühnenbildnerin Margherita Palli - den Konflikt Sinnlichkeit contra Religion, Orient contra Okzident einleuchtend als barocken Kontrast silberglänzender, rotsamtener Ritter, schwarzer Teufel und goldener Blumenmädchen gestaltet. Ein Hell-Dunkel-Theater, ironisch stilisiert und durchzogen von expressiven Schatten-spielen, bewegten Stoffwänden und barocker Bühnenmaschinerie.
Die musikalische Lesart der 1817 im Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführten Oper durch den international geschätzten Diri-genten Carlo Rizzi offenbart eindrucksvoll den Romantiker Rossini, der mit unerwarteten Delikatessen der Instrumentierung und enormem melodischen Einfallsreichtum aufwartet. Trotzdem ist es ein langer Abend! Nicht zuletzt, da alle Ballette getanzt wer-den. Es ist die erste Aufführung der soeben erschienenen historisch-kritischen Ausgabe des Werks durch die Fondatione Rossini in Pesaro. Künstlerischer Direktor des Festivals und graue Eminenz in Sachen Rossini, Alberto Zedda:
„Das bedeutet, dass wir die Oper komplett und strichlos aufführen, wie es bei diesem Festival üblich ist, auch wenn wir nicht unbedingt alle Längen der Partitur gutheissen“
Die zweite Neuproduktion des Festivals ist eine halbszenische Aufführung des „Barbiere di Sivigla“, die Studenten der Accademia di Belle Arti di Urbino verantworten, eine in ihrer schlingensiefhaften Projektions- und Kommentierungswut verwirrende Misch-ung aus Mittelmaß und Mätzchen. Giacomo Sagripanti immerhin gibt seinen vielversprechenden Einstand als Nachwuchsdirigent in Pesaro. Und ein junger Tenor namens Juan Francisco Gatell aus Buenos Aires als Conte d´Almaviva läßt aufhorchen. Bei der allzu molligen, jungen Rosina von Chiara Amarù hält man sich eher die Ohre zu, so unsensibel laut dreht sie ihr Stimmorgan auf. Aber der Tenor, immerhin, hat Zukunft! Dem künstlerischen Nachwuchs gilt denn auch das besondere Interesse des Rossini-For-schers, und –Dirigenten Alberto Zedda, der seit 1980 auch Leiter der Áccademia Rossiniana ist, der weltweit einzigartigen Aus-bildungsstätte für Rossinigesang. Woher stammen die ungehörten Stimmen, die neuen Talente, die er alljährlich präsentiert?
“Es ist kein Geheimnis. Ich lasse vorsingen und meine Erfahrung sagt mir sehr schnell, wer geeignet ist. Wenn die Sänger eine gute Technik haben und gute Musiker sind, dann kann ich sie in wenigen Wochen zu Rossini-Sängern entwickeln. Es ist bei Rossini doch wie beim Kochen. Und Rossini war ein großer Koch! Kochen ist eine Art von Kreativität, bei der man aus einfachen Zutaten etwas Köstliches zaubert. Jeder kann Rossini singen! Er braucht nur Phantasie, Kreativität und einen theatralischen Sinn, Imagination!“
Auch in der dritten Neuproduktion des diesjährigen Festivals, im selten gespielten „Dramma serio“ „Aureliano in Palmira“, trumpft man in Pesaro mit einem großartigen Nachwuchstenor auf, mit dem US-AmerikanischenSänger Michael Spyres , der schon letztes Jahr in Pesaro debütierte, nun aber seine erste große Titelpartie singt, den römische Kaiser Aurelian. Und er stiehlt allen übrigen Sängern der Oper die Show. Der aus Neapel stammende Filmemacher und Regisseur Mario Martone zeigt das exotische Imperialistenstück über Liebe, Treue und Eifersucht als orientalisch-exotische Kostümparade in einem Labyrinth aus transparenten, nach und nach sich verflüchtigenden Schleierwänden. Vielleiht muss man diese Produktion gesehen haben, um zu wissen, dass man das musikalisch noch arg konventionelle Stück, das Rossini 1813 für die Mailänder Scala schrieb, einer seiner wenigen Mißerfolge zu Lebzeiten, eigentlich nicht gesehen und gehört haben muss (obwohl Dirigent William Crutchfield ihm ordentlich Beine zu machen versuchte). Aber auch das gehört ja zu den Vorzügen des Rossini-Festivals in Pesaro, dass es den „ganzen“ Rossini präsentiert, also auch diejenigen Stücke von ihm (es sind nicht viele), die keine „Meisterwerke“ sind. Fürs nächsten Jahr sind übrigens „La Donna del Lago“, „La Gazetta“ und „Adelaide di Borgogna“ angekündigt. Man darf gespannt sein.
Beitrag darüber in DLF „Kultur heute“ 15. 08.2014