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Photo: DDS
Turandot in Mannheim
Premiere 02. 11. 2023
Geburt des Dramas aus der Musik
Fulminante Aufführung ohne Kulissen
As Mannheimer Nationaltheater befindet sich im Umbruch. Das seit 1957 durchgehend in Betrieb gewesene Haus ist sichtbar in die Jahre gekommen und weist wesentliche Mängel auf. Die Generalsanierung ist seit dem 1. Augst 2022 beschlossene Sache. Das große traditionsreiche Vierspartenhaus ist geschlossen, Aber man spielt weiter in Ausweichspielstätten. Gleichzeitig wurde Roberto Rizzi Brignoli, Riccardo Muti-Schüler an der Mailänder Scala, und zuletzt Musikchef am Teatro Municipal de Santiago de Chile, zum neuen Generalmusikdirektor am Nationaltheater Mannheim berufen. Mit Puccinis „Turandot“ gab er seinen Einstand und eröffnete die Spielzeit des Opernhauses 2023/2024.
Am 4. Nov. 1872 notierte Cosima Wager in ihrem Tagebuch: „R. sagt am Morgen, er habe über die Geburt des Dramas aus der Musik noch einmal nachgedacht, ‚wie das Kind im Mutterschoß sich vom Blut der Mutter ernähre, so ersteht das Drama aus der Musik, es ist ein Geheimnis; tritt es in die Welt, dann kommen die äußeren Bedingungen des Lebens hinzu‘.“
Dieser Gedanke Wagners hat sich in der Mannheimer Turandot“-Produktion bewahrheitet, die in einer der Ausweichspielstätten, dem „Rosengarten, einem enormen Konzerthaus mit mehreren Sälen, gegeben wurde, im sogenannten „Musensaal“. Die Generalsanierung des Mannheimer Nationaltheaters wird wohl ein Jahr länger dauern als geplant. Das Theater könne den Betrieb erst zur Spielzeit 2028/2029 wieder aufnehmen.
Die Sanierung des Mannheimer Nationaltheaters ist deutlich aufwendiger als gedacht, teilte eine Sprecherin des Mannheimer Nationaltheaters mit. Bei den Arbeiten seien mehr Schadstoffe gefunden worden, als zuvor von außen absehbar gewesen sei. Das neue (provisorische) Opernhaus am Luisenpark (OPAL), das mit Zusatzinvestitionen in Höhe von ursprünglich 6,3 Millionen Euro geplant war, ist noch nicht fertiggestellt. Durch die Insolvenz des Unternehmens, das OPAL ursprünglich bauen sollte, hat sich unter anderem die Bauzeit verlängert und die Baukosten sind in der Zeit gestiegen. Die anderen sieben Ersatzspielstätten erwiesen sich als ungeeignet für eine Realisierung der schon, was die Orchesterbesetzung angeht, aufwendigen Puccini Oper, sodass man gezwungen war, in den „Rosengarten“ auszuweichen. Indes, es war ein Glücksfall. Zwar gibt es im „Rosengarten“ kein Bühnenhaus, aber es verfügt über ein enormes Podium., der Musensaal fasst bis zu bis zu 1.360 Besucher verfügt über eine hervorragende Akustik.
Also war eine konzertante Aufführung angekündigt worden, die sich aber doch als halbszenische entpuppte (Szenische Einrichtung Claudia Plaßwich). Auftritte gab es im Zuschauerraum, die Chöre waren auf den Seitenrängen untergebracht, der Kaiser und Turandot durften ebenfalls (einmal) im Zuschauerraum auftreten und es gab Gänge und Gesten der Sänger, Kostüme und Lichteffekte auf dem Podium, auf dem das Riesenorchester als Mittelpunkt der Handlung saß. Die Musik (das fabelhafte Orchester des Nationaltheaters) wurde selbst zum Handlungsträger und ersetzte Kulissen und Dekorationen, zumal der neue GMD des Hauses eine derart plastische, transparente und klangprächtige Wiedergabe des Stück „in Szene“ setzte, dass die Komposition an sich mehr erzählte, als es oft mittelmäßige oder gar grotesk aktualisierte Inszenierungen vermögen.
Roberto Rizzi Brignoli gelang es auf fulminante Weise, den Spagat zwischen belkantischer Spätromantik und schroffer Moderne, exotischen Anklängen und Verismo-Rückgriffen als aggressiv-archaisierende wie lyrisch-einlullende, tausend orchestrale Details offenbarende Überrumpelungs-Musik von unglaublicher Klangopulenz vorzuführen. Eindrucksvoll, wie es ihm gelingt, die Zwiespältigkeit, Brüchigkeit, ja Widersprüchlichkeit, auch die Modernität dieser „Weltabschiedsmusik“ Puccinis hörbar zu machen.
Puccinis letzte, unvollendete Oper (entstanden 1920-1924), das Libretto stammt von Giuseppe Adami und Renato Simoni und fußt auf Carlo Gozzi, handelt von der „eisumgürteten“ Prinzessin Turandot. Diese lässt, männerhassend aus Solidarität mit einer von Männern misshandelten Ahnin, alle Männer ermorden, die um ihre Hand anhalten, wenn sie ihre drei Rätsel nicht lösen können. Einer allerdings löst die drei Rätsel, Prinz Calaf. Er begehrt sie und es ist sein Kuss, der die eiskalte Prinzessin umstimmt und dann mit viel Pomp doch noch heiraten lässt. Dieses fulminante Ende mit Hochzeit und Chor wurde allerdings nicht von Puccini, sondern von Franco Alfano komponiert. Die Opulenz der Musik täuscht allerdings darüber hinweg, dass es eigentlich kein Happyend ist, denn diese Liebe geht über Leichen. Über zwei Akte hindurch breitet Puccini das gewalttätige Herrschaftssystem der männermordenden, eisumgürteten Prinzessin Turandot vor dem Zuschauer aus. Am Ende dann sollen Menschlichkeit und Liebe siegen? Regielich ist das kaum glaubhaft zu realisieren.
Puccini soll übrigens den richtigen, musikalischen Schluss zu finden, als Tortur empfunden haben. Er suchte für den Schluss nach einer «ungewöhnlichen, markanten Melodie». Fünfmal ließ er das Libretto zum dritten Akt verändern. Er wollte das Werk mit einem Happyend beschließen, mit einer Szene „in der die Liebe explodiert“, wie in der Korrespondenz mit seinem Librettisten nachzulesen ist, und was nur schwer verständlich ist. Puccini konnte sich auf keinen Schluss festlegen, obwohl er wusste, dass er schwer krank war. So endete Puccinis Werk mit dem Tod von Liù – und seinem eigenen.
Der Dirigent Arturo Toscanini verzichtete bei der Uraufführung an der Mailänder Scala am 25. April 1926 denn auch mit gutem Grund auf dieses Finale und legte den Taktstock nach dem Tod der Liù nieder mit den Worten „Hier endet das Werk des Meisters“. Viele haben sich in der Folge schwer getan mit dem Schluss der Oper, mit der Musik wie mit dem Szenario. Einige Alternativen wurden, von Alfano-Kürzung bis Neukomposition durch Luciano Berio ausprobiert. Jede Neuinszenierung des Fragments steht vor der Frage: Wie halt ich´s mit dem Schluss der Oper? Auch Roberto Rizzi Brignoli hat sich sinnigerweise entschieden, die Aufführung mit dem Tod Lius enden zu lassen, also nur originalen Puccini zu spielen.
Dass die Aufführung so außergewöhnlich war, ist auch der exquisiten Besetzung zu verdanken. Die deutsche Sopranistin Maida Hundeling, die in Bizerta / Tunesien geboren wurde, ist längst eine international gefragte Hochdramatische, Sie singt eine imposante Turandot, die mühelos über die geforderten Trompetentöne der Partie verfügt, eine überwältigend große, eindrucksvolle Stimme. Durschlagend in Höhe wie in Attacke der Tonbildung, aber auch eleganter Vortragsweise fähig ist der (eingesprungene) brasilianische Tenor Riccardo Tamura, auch er international bereits ein Star der Opernbühne. Die Südkoreanerin Seunghee Kho, Ensemblemitglied des Hauses, gab mit ihrem bezaubernd zarten und lyrisch glasklaren Sopran ihr Debüt als Liu. Mit Spiel und Stimme überzeugen auch Nikola Diski?, Christopher Diffey und Rafael Helbig-Kostka als Minister Ping, Pang und Pong. Eindrucksvoll der koreanische Bass Sung Ha als Timur am Stock mit Augenklappe. Auch er ist eine der Säulen des Mannheimer Ensembles. Auch Chor und Kinderchor des Nationaltheaters Mannheim ließen nichts zu wünschen übrig. Die Aufführung wurde vom Publikum umjubelt.
Rezension auch in der nmz online